Kapitel 6
Das Zeltstangenmassaker
Samstag, 20. Januar 2018
NamibRand Family Hideout - Koiimasis Ranch
Das feste Ritual auf unseren Reisen; wer zuerst aufsteht, macht den Kaffee - mit oberster Priorität und vor allem anderen - wird auch dieses Mal eisern durchgeführt. Dann setzt du dich mit der Tasse mit dem wohlriechenden Brühgetränk in den Campingstuhl, schaust in die Natur hinaus und bist einfach nur zufrieden.
Ein schöner Morgen draussen in der Wüste? Bittesehr.
Heute nehmen wir es gemütlich, frühstücken irgendwann und machen uns dann an den Abbau unseres Lagers. Der erfahrene Camper weiss: beim Zusammenräumen des (Boden-) Zelts immer vorsichtig anheben und unter den Zeltboden schauen. Skorpione verkriechen sich gerne dort drunter. Und siehe da; auch heute wieder einmal hat sich einer seinen Schlafensplatz unter meinem Zelt ausgesucht. Also immer schön dran denken!
Ein stattliches Exemplar von einem Skorpion, der es sich da unter meinem Zelt gemütlich gemacht hat. Wenn man sie "aufdeckt", verkriechen sie sich so schnell als möglich in ein Versteck. Dieser hier sucht sich eine unserer Plasticboxen neben unserem Frühstückstisch aus und als wir diese nachher anheben, bin ich schon bereit für das Foto.
Nun zischt der Skorpion schnell zum nahen Kameldornbaum, was aber von dieser schönen Echse sofort bemerkt wird. So etwas haben wir noch nie gesehen; die Echse kennt gar nichts und attackiert den Skorpion blitzartig. Dieser sticht nicht einmal zu und verzieht sich so schnell er kann in einem Rindenloch.
Kurz vor Elf sind wir Abfahrbereit und so begeben wir uns wieder auf Pad. Es geht weiter gen Süden, der Tag ist schön und die Laune gut. Auf etwa der Hälfte der Strecke liegt Betta, ein winzig kleiner Ort mit ein paar Farmhäuser, einer Tankstelle und einem wirklich kleinen Minishop. Dort halten wir kurz an und stocken unsere Wasservorräte auf. Dann geht es aber gleich weiter und wir biegen auf die D707 ein, oft als die schönste Strasse Namibias bezeichnet.
An der D707 in den Tirasbergen.
Und ja, es ist mit Sicherheit eine der schönsten Strecken hier. Rote Sanddünen schmiegen sich an aus der ferne Schwarz schimmernde Berge, riesige Ebenen erstrecken sich über anscheinend endlose Weiten mit einsam dastehenden Akazien drauf. Die Hitze flimmert und manches Mal wirkt es aus der Distanz, als liege ein flacher See dort.
Nach einer Weile erreichen wir das Farmtor zur Koiimasis Ranch, unserem heutigen Tagesziel.
Die Farm ist so riesengross, dass alleine die Zufahrt zum Farmhaus und Campsite 20km lang ist. Für uns einfach unvorstellbare Grössenverhältnisse. Aber kein Wunder, bei solch spärlichem Bewuchs braucht das Vieh natürlich viel mehr Weidefläche und dementsprechend riesig sind die Farmen auch hier in Namibia. Man stellt sich vor, wie das damals gewesen sein muss, als die weissen Siedler sich dieses Land genommen und hier Farmen aufgebaut haben. Und heute verdienen sie sich mit dem Gästebetrieb natürlich etwas dazu, es gibt auch eine Lodge hier.
Auf dem Farmgelände der Koiimasis Ranch.
Wir fangen an, uns einzurichten, spannen dann aber doch erstmal die Hängematten auf und machen ein wenig Pause. Als der Schatten der Berge unsere Campsite erreicht, baue ich mein Bodenzelt auf. Beziehungsweise will es aufbauen. Schock! Es fehlen zwei Zeltstangen…
So sehr ich mich beim Zeltabbau auf die Skorpione geachtet habe, so wenig habe ich selbiges in Bezug auf diese beiden Stangen gemacht. Es ist nämlich so: das von unserem Autovermieter geliehene Bodenzelt hat ein Stangensystem aus Metall, die man zusammensteckt und dann wie ein Gerüst über vier Ecken spannt. Und diese Stangen sind alle mit einer Schnur verbunden, so dass beim Auseinanderstecken keine verloren gehen kann. Aber zwei davon waren uns lose mitgegeben worden und anstatt dass wir diese einmal selber mit einer Schnur wieder an den restlichen angebunden hätten, habe ich diese jeweils einfach so wieder mit eingepackt. Und ich sag beim Zusammenräumen auf der Family Hideout Campsite noch so: «Hmmm, wo sind denn jetzt die anderen zwei Stangen? Na, dann werde ich sie wohl schon mit den anderen zusammen in die Zelttasche gepackt haben». So kann man sich täuschen.
Nun also stehen wir, also vor allem ich, ziemlich dumm da. Und ich werde für einen Moment echt wirklich sauer. Also so richtig angepisst. Mann, was kann ich mich darüber ärgern! Das führt dann auch dazu, dass mein Bruderherz mir «befiehlt», sofort in meine Laufklamotten zu steigen und eine Runde zu drehen. Das mache ich dann auch tatsächlich und kann mich dabei bestens wieder abreagieren. Da schon nach 17 Uhr ist, ist auch keiner mehr am Farmhaus/ Reception erreichbar, wo wir allenfalls nach Hilfe für unser Zeltstangenproblem hätten fragen können.
Auf den Felsen direkt um unsere Campsite (Nr 3 haben wir uns übrigens ausgesucht; diese hat auch tagsüber etwas schatten und für Hängematten-Liebhaber bieten sich gute Möglichkeiten zum Aufspannen) wuseln auch ständig Rock Dassies herum. Wie es scheint, werden sie von «netten» Touristen auch immer mal wieder angefüttert, anders können wir uns jedenfalls nicht erklären, dass sie fast jegliche Scheu vor uns verloren haben.
Denn das erlaubt mir dann auch eine solche Portraitaufnahme aus ein paar wenigen Metern Entfernung.
Es ist nebenbei bemerkt aber auch eine wunderbare Laufrunde, denn es gibt über das Farmgelände einen schönen Rundwanderweg. Im schönsten Abendlicht ballere ich da also so durch die Gegend und scheuche dabei noch einen armen Steinbock auf, der in Panik vor mir davongaloppiert sowie eine grössere Herde Springböcke, die ebenfalls das Weite suchen.
Zurück auf der Campsite verschieben wir die Beratschlagung auf Morgen und widmen uns dann gescheiter wieder angenehmerem zu, nämlich dem Abendmahl. Wir haben noch einen Resten an Bolognese über und machen die mit Penne zusammen warm. Dazu einen Gurkensalat und in Butter gedünstete Karotten. Das schmeckt dann auch sehr gut und mit vollem Bauch und meiner Bettdecke lege ich mich in die Hängematte - aufgrund des Zeltstangendramas für heute auch meine Ruhestätte.
Tageskilometer: 157km
Gesamtreisezeit: 3h
Tageshöchsttemperatur: 36° C