THEMA: Betreutes Wohnen 5.0 - Fomi Edition (BOT 2023)
14 Dez 2023 15:22 #678812
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Alternativprogramm für Ferrophile

Fast so lange, wie ich mich für Vögel interessiere, habe ich ein weiteres, skurriles Hobby: ich bin seit Mitte der Siebziger dem Dampflokbazillus erlegen. Wenn meine Mitschüler damals von ihren Ferien erzählt haben, ging es um Italien, Spanien, Südfrankreich, Hauptsache Strand. Ein Horror für mich.
Ich hatte mich derweil in meiner freien Zeit in Ländern des real existierenden Sozialismus rumgetrieben, um den damals noch im Planbetrieb eingesetzten Dampfrössern aufzulauern und sie zu fotografieren. Ich konnte also nur von der Magdeburger Börde oder der Oberlausitz berichten, aus den polnischen Beskiden, aus Böhmen und Mähren, vom Balaton, aus Siebenbürgen oder dem anatolischen Hochland. Dafür habe ich manchen mitleidigen Blick geerntet.
Was ich aber nie gemacht habe, obwohl es damals noch ein Paradies für Dampffreaks war, ich habe meinen Fuß nie nach Südafrika gesetzt. Diesem damaligen Apartheidsstaat wollte ich meine mühsam verdienten D-Mark nicht übereignen.

Dabei gab es hier und in den angrenzenden Ländern wie Rhodesien, Mocambique oder Botswana noch wahre Dampfgiganten zu bestaunen, die hauptsächlich schwere Güterzüge über schwierige Bergstrecken geschleppt haben. Es waren sogenannte Garratt-Lokomotiven, die zumeist in Großbritannien, zum Teil aber auch in deutschen Lokschmieden gebaut worden sind.
Bei diesen Maschinen befand sich der Kessel nicht wie normal auf einem Rahmen mit Fahrwerk, sondern er war praktisch frei zwischen zwei Triebwerken beweglich aufgehängt. Dadurch hatten die Loks eine sagenhafte Kurvengängigkeit, und durch die doppelte Kraft von den vier Zylindern waren sie sehr leistungsfähig.

Die Zeit dieser Dampfdinosaurier ist aber lange abgelaufen, die meisten sind verschrottet, ein paar wenige als Ausstellungsstücke erhalten. Aber: es gibt eine einzige dieser so beeindruckenden Maschinen in Zimbabwe, die mehr schlecht als recht noch am Leben, sprich unter Dampf, erhalten wird. In Victoria Falls gibt es zweimal die Woche einen Zug, der Touristen für läppische 200 $, US versteht sich, zuerst zum Sunset auf die berühmte Brücke überm Zambesi fährt und anschliessend ein paar Kilometer in den Busch Richtung Bulawayo, währenddessen dann den Gästen ein an Bord frisch gekochtes Fünfgängemenu serviert wird.

Diese Maschine wollte , nein musste ich endlich mal live sehen. Im Vorfeld hatte ich recherchiert, dass der Zug immer dienstags und freitags von VicFalls aus fährt, mittwochs und samstags dann von Livingstone in Sambia aus.
Wir wären an einem Dienstag in VicFalls, das sollte also passen.
So habe ich mich der Gruppe angeschlossen, die die Fälle besuchen wollte, aber nicht, um für teuer Geld Wasser über Felsen in die Tiefe rauschen zu sehen, sondern ich wollte mich abseilen und mein eigenes Programm durchziehen. Da wir unseren eigenen Fahrer hatten an diesem Tag, war ich also sogar mobil vor Ort.

Nachdem wir die Gruppe an den Fällen abgesetzt und im Lookout Café den Tisch mit Aussicht vorbestellt hatten, hat mich Joe, unser Fahrer, zurück zum Bahnübergang gebracht, denn dort war ein solches Fossil abgestellt. Zwar kalt und schon ziemlich gerupft, aber dennoch beeindruckend.


Die Aussicht vom Café auf die Gorge und hinten links die berühmte Brücke. Hier flogen gleich mal zwei Trumpeter Hornbills über die Schlucht, was mich sehr gefreut hat, denn bislang habe ich diese Vögel nur auf große Entfernung gesehen.


Da also stand sie, die Garratt No. 512 der Reihe 14A, gebaut 1953 bei Beyer, Peacock&Company in Manchester, England.


Ein wahrliches Monster, und das auf Kapspur von 1067 mm, also für unsere europäischen Verhältnisse auf Schmalspur.




Natürlich habe ich den Führerstand geentert und mir vorgestellt, wie das wohl gewesen sein muss, diesen Boliden zu feuern.


British Patent


Blick auf die Strecke von Lokführers Warte

Soweit war das schonmal sehr hübsch, nun galt es, die lebende Schwester zu finden. Dazu ließ ich mich von Joe zum Bahnhof fahren. Dort schaute ich mich suchend um, und sogleich sprach mich ein Arbeiter auf der ansonsten verlassen wirkenden Station an, was ich denn suchen würde. Meine Antwort: the steam engine quittierte er, indem er seine Kollegen fragte, die aus dem Nichts aufgetaucht waren. Einer deutete in Richtung Süden und murmelte was von Depot. Der sehr freundliche Arbeiter fragte mich, ob ich wisse, wo das Depot sei, ob ich alleine unterwegs wäre und ob ich ein Auto habe. Er begleitete mich vor den Bahnhof und erklärte Joe, wie er das Depot finden könnte. Wir fuhren zurück über den Bahnübergang, durch ein betriebsames Viertel, wo gerade Markt war, immer weiter in die Outskirts, wo man schon eine verräterische Qualmwolke aufsteigen sah. Nur noch einen ausgewaschenen kleinen Weg längs gerumpelt, und ich stieg aus und stand vor dem Objekt meiner Begierde.


Die dampfende Schwesterlok No. 523, ebenfalls zur Reihe 14A gehörend und auf Hochglanz gewienert und poliert.


Drei Mann waren gerade damit beschäftigt, die für die Fahrt benötigten Kohlen auf den Führerstand zu schippen. Auf meine Frage, ob ich die Maschine denn fotografieren dürfe, fragte mich sogleich einer der Männer, ob ich auch auf den Führerstand kommen möchte. Was für eine Frage?! Er erklärte mir die wesentlichen Bedienelemente, und als ich ihm erzählte, dass ich eine Heizerausbildung gemacht habe, vor vielen Jahren, und schon wisse, wie so ein Stahltier zu bändigen sei, taute er komplett auf. Ja, er müsse mir unbedingt den Zug zeigen, und mit dem Heizer und natürlich dem Lokführer müsse ich auch sprechen.


Hier muss ich mal unterbrechen,
es geht bald weiter.
Matthias
Letzte Änderung: 14 Dez 2023 18:41 von fotomatte.
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14 Dez 2023 15:26 #678813
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  • Champagner am 14 Dez 2023 15:26
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EDIT : HUCH, während ich geschrieben habe, hat Matthias geliefert, das konnte ich nicht wissen! :woohoo:

Liebe Simone, liebe Tanja, lieber Matthias,

danke für eure Ergänzungen! Ich denke sehr gerne an diesen Tag zurück (von dem ich nicht so recht wusste, wie er wird.... :S ) inklusive dem Sundowner, zu dem wir alle wieder vereint waren.

Ich warte jetzt mal, bis Matte sein Kapitel schreibt, bevor ich weitermache. Aber bitte keine Eile Matthias, ich habe noch kein einziges Foto vom nächsten Tag rausgesucht! Und unseren Abschied zögern wir ja gerne auch noch ein bisschen raus, oder?

Liebe Grüße aus dem Dauerregen von Bele
Letzte Änderung: 14 Dez 2023 15:31 von Champagner.
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14 Dez 2023 15:53 #678814
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Matthias....das ist ja mal ein Ding....hast Du gut gemacht......sowas mach

ich auch gerne...... :) :) :) :) :)

LG....................BMW
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15 Dez 2023 12:44 #678853
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Nachdem ich also den mit Kohlen schon gut gefüllten Führerstand ausgiebig begutachtet und fotografiert hatte, stiegen wir ab und ich folgte dem Arbeiter zum aus drei Wagen bestehenden Zug. Das war mir einigermaßen peinlich, denn ein paar Frauen waren damit beschäftigt, die Teppiche zu saugen und das Interieur auf Hochglanz zu polieren. Und wir kamen direkt vom Kohleberg auf der Lok mit entsprechend aussehenden Schuhen. Ich entschuldigte mich, aber mein Begleiter war nicht zu bremsen.
Also besichtigte ich zuerst den Salonwagen, hier würden abends dann Cocktails und Drinks gereicht werden. Der mittlere Waggon war der Speisewagen, hier waren die Tische schon mit blütenweißen Tischdecken belegt und das Personal war dabei, die Gedecke aufzulegen. Der dritte Wagen schließlich war die Bordküche, wo alle Gerichte frisch zubereitet werden.
Die Wagen waren allesamt alte Teakholzwagen mit Vertäfelungen und Intarsien, die Böden mit schweren Teppichen belegt, alles sehr gediegen im Stil der Belle Epoque.
Wieder draußen angelangt, wandte sich mein Begleiter wieder seiner eigentlichen Arbeit an der Lok zu. Ich fotografierte weiter und freute mir ein Loch in den Bauch ob dieser so entspannten, freundlichen Atmosphäre. Ich war der einzige Weiße weit und breit, und niemand wollte mir alte Zimdollarnoten, Holztiere, Armbänder oder sonstiges andrehen.


Die Jungs waren immer noch mit Kohleschippen beschäftigt.


Rechts vor der Lok lag ein Haufen Holz zum anfeuern der Lok. So von der Seite kann man gut das Prinzip der Garrattlokomotiven erkennen. Vor dem Kessel läuft ein Boogie mit Triebwerk und darüber befindlichem Wassertank. Hinterm Führerhaus ein baugleiches Triebwerk mit dem Kohlenkasten. Und unterm quasi "schwebenden" Kessel nur Luft über den Schienen.


Auf einem Abstellgleis standen noch uralte, ausgemusterte Reisezugwagen, vielleicht waren das die Vorgänger des heutigen Zuges.


Dann hielt ich ein Schwätzchen mit dem Heizer, der damit beschäftigt war, die Stangenlager abzuölen und das Fahrwerk zu putzen.


Zum guten Schluß unterhielt ich mich geraume Zeit mit dem weit in seinen Siebzigern stehenden Lokführer, der schon über fünfzig Jahre auf und an den Maschinen gearbeitet hat. Er erzählte mir von der regen Betriebsamkeit früherer Tage und meinte, die Maschine sei in einem ganz passablen Zustand, allerdings werde sie ja mit dem recht überschaubaren Zug auch nicht wirklich überfordert.


1953 gebaut, 1954 in Dienst gestellt, also ist die Maschine nun siebzig Jahre alt und damit jünger als der sie bedienende Lokführer.
Auf der Plakette sind die Untersuchungsdaten sowie der zulässige und der zu prüfende Überdruck eingeschlagen.

Ich verabschiedete mich von allen diesen freundlichen Leuten und bedankte mich, dass ich einen kleinen Einblick nehmen durfte.
Dann fuhr mich Joe zurück und bis kurz vor die Grenzstation an der Brücke.
Dort bekam ich einen Stempel auf ein Stück Papier, mit diesem wurde es mir erlaubt, über die Brücke bis auf die sambische Seite zu gehen.


Vorbei an einer endlos langen Schlange von LKWs, die alle darauf warteten, über die Brücke zu rollen, musste ich ein gutes Stück gehen, um zur Brücke zu gelangen. Dabei wurde ich permanent von Verkäufern diverser Schnitzereien, soft Drinks, sehr häufig alter Dollarnoten im Billionbereich oder einfach Bettlern bedrängt und verfolgt. Also machte ich, dass ich schnell zur Brücke komme, denn dahin könnten sie mir nicht folgen. Dachte ich.


Von der Brücke selbst hat man nur einen Blick auf den sambischen Teil der VicFalls, und zu dieser Jahreszeit sind die nicht eben beeindruckend.
An diesem sambischen Teil der Brücke bedrängten mich nun eben Sambier mit den prinzipiell gleichen Souvenirs, und immerhin zwei Leute schafften es, mir ein sehr schönes Rhino und zwei Armbänder in den sambischen Nationalfarben anzudrehen. Just to support the families.


Der Blick zambesiabwärts in die Schlucht zeigte mir einen weiteren überfliegenden Trompeter Hornbill sowie in der Ferne das Lookout Café.
Ich musste mich nun sputen, um zur verabredeten Zeit zurück zu sein. Dort traf ich auf den Rest der Truppe, die wohl ebenfalls sehr zufrieden schienen mit ihrem Tag.
Wir fuhren nun also zum Lookout Café und bewunderten zunächst die Aussicht. Dabei fragte mich, ich meine es war Tanja, was denn das für ein Vogel sei, der da auf halber Höhe die Schlucht entlang segelt. Das Fernglas schafft Gewissheit, da paradierte ein Schwarzstorch an den Felswänden längs. Noch ein Neuer für die Liste.

Den Rest der Geschichte kennt ihr bereits.

Liebe Grüße,
Matthias
Letzte Änderung: 15 Dez 2023 12:51 von fotomatte.
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15 Dez 2023 15:44 #678864
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  • MooseOnTheLoose am 15 Dez 2023 15:44
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Lieber Matthias,

vielen Dank für Deinen schönen Exkurs. Ich oute mich hier dann auch mal als "Pufferküsserin". Bei mir ist die Begeisterung meinem Job geschuldet, da ich mit der Konstruktion von Schienenfahrzeugen meine Brötchen verdiene... Ich hab auch schon die eine oder andere Exkursion hinter mir, nur um bestimmte Züge zu fotografieren oder "Probezufahren"... Die dampfen dann zwar weniger, aber mich begeistert prinzipiell auch alles auf Drehgestellen... :woohoo:
Schöne Fotos, ein tolles Erlebnis!!! Freut mich für Dich.
Liebe Grüße,

Moose.
Letzte Änderung: 15 Dez 2023 15:45 von MooseOnTheLoose.
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16 Dez 2023 08:46 #678889
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  • Champagner am 14 Dez 2023 15:26
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Lieber Matthias,

vielen Dank für deine interessante Dampflok-Geschichte! Es war soooo schön, dich so glücklich auf dem Parkplatz bei den Fällen wiederzusehen und ich war natürlich auch froh, dass das Ganze kein Flop geworden ist.

Du hast uns ja vor Ort voller Euphorie viel davon erzählt, aber die Bilder dazu haben mir bisher gefehlt. Jetzt kann ich mir alles noch viel besser vorstellen. Danke für die spannenden Einblicke!

Liebe Grüße von Bele
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