Alternativprogramm für Ferrophile
Fast so lange, wie ich mich für Vögel interessiere, habe ich ein weiteres, skurriles Hobby: ich bin seit Mitte der Siebziger dem Dampflokbazillus erlegen. Wenn meine Mitschüler damals von ihren Ferien erzählt haben, ging es um Italien, Spanien, Südfrankreich, Hauptsache Strand. Ein Horror für mich.
Ich hatte mich derweil in meiner freien Zeit in Ländern des real existierenden Sozialismus rumgetrieben, um den damals noch im Planbetrieb eingesetzten Dampfrössern aufzulauern und sie zu fotografieren. Ich konnte also nur von der Magdeburger Börde oder der Oberlausitz berichten, aus den polnischen Beskiden, aus Böhmen und Mähren, vom Balaton, aus Siebenbürgen oder dem anatolischen Hochland. Dafür habe ich manchen mitleidigen Blick geerntet.
Was ich aber nie gemacht habe, obwohl es damals noch ein Paradies für Dampffreaks war, ich habe meinen Fuß nie nach Südafrika gesetzt. Diesem damaligen Apartheidsstaat wollte ich meine mühsam verdienten D-Mark nicht übereignen.
Dabei gab es hier und in den angrenzenden Ländern wie Rhodesien, Mocambique oder Botswana noch wahre Dampfgiganten zu bestaunen, die hauptsächlich schwere Güterzüge über schwierige Bergstrecken geschleppt haben. Es waren sogenannte Garratt-Lokomotiven, die zumeist in Großbritannien, zum Teil aber auch in deutschen Lokschmieden gebaut worden sind.
Bei diesen Maschinen befand sich der Kessel nicht wie normal auf einem Rahmen mit Fahrwerk, sondern er war praktisch frei zwischen zwei Triebwerken beweglich aufgehängt. Dadurch hatten die Loks eine sagenhafte Kurvengängigkeit, und durch die doppelte Kraft von den vier Zylindern waren sie sehr leistungsfähig.
Die Zeit dieser Dampfdinosaurier ist aber lange abgelaufen, die meisten sind verschrottet, ein paar wenige als Ausstellungsstücke erhalten. Aber: es gibt eine einzige dieser so beeindruckenden Maschinen in Zimbabwe, die mehr schlecht als recht noch am Leben, sprich unter Dampf, erhalten wird. In Victoria Falls gibt es zweimal die Woche einen Zug, der Touristen für läppische 200 $, US versteht sich, zuerst zum Sunset auf die berühmte Brücke überm Zambesi fährt und anschliessend ein paar Kilometer in den Busch Richtung Bulawayo, währenddessen dann den Gästen ein an Bord frisch gekochtes Fünfgängemenu serviert wird.
Diese Maschine wollte , nein musste ich endlich mal live sehen. Im Vorfeld hatte ich recherchiert, dass der Zug immer dienstags und freitags von VicFalls aus fährt, mittwochs und samstags dann von Livingstone in Sambia aus.
Wir wären an einem Dienstag in VicFalls, das sollte also passen.
So habe ich mich der Gruppe angeschlossen, die die Fälle besuchen wollte, aber nicht, um für teuer Geld Wasser über Felsen in die Tiefe rauschen zu sehen, sondern ich wollte mich abseilen und mein eigenes Programm durchziehen. Da wir unseren eigenen Fahrer hatten an diesem Tag, war ich also sogar mobil vor Ort.
Nachdem wir die Gruppe an den Fällen abgesetzt und im Lookout Café den Tisch mit Aussicht vorbestellt hatten, hat mich Joe, unser Fahrer, zurück zum Bahnübergang gebracht, denn dort war ein solches Fossil abgestellt. Zwar kalt und schon ziemlich gerupft, aber dennoch beeindruckend.
Die Aussicht vom Café auf die Gorge und hinten links die berühmte Brücke. Hier flogen gleich mal zwei Trumpeter Hornbills über die Schlucht, was mich sehr gefreut hat, denn bislang habe ich diese Vögel nur auf große Entfernung gesehen.
Da also stand sie, die Garratt No. 512 der Reihe 14A, gebaut 1953 bei Beyer, Peacock&Company in Manchester, England.
Ein wahrliches Monster, und das auf Kapspur von 1067 mm, also für unsere europäischen Verhältnisse auf Schmalspur.
Natürlich habe ich den Führerstand geentert und mir vorgestellt, wie das wohl gewesen sein muss, diesen Boliden zu feuern.
British Patent
Blick auf die Strecke von Lokführers Warte
Soweit war das schonmal sehr hübsch, nun galt es, die lebende Schwester zu finden. Dazu ließ ich mich von Joe zum Bahnhof fahren. Dort schaute ich mich suchend um, und sogleich sprach mich ein Arbeiter auf der ansonsten verlassen wirkenden Station an, was ich denn suchen würde. Meine Antwort: the steam engine quittierte er, indem er seine Kollegen fragte, die aus dem Nichts aufgetaucht waren. Einer deutete in Richtung Süden und murmelte was von Depot. Der sehr freundliche Arbeiter fragte mich, ob ich wisse, wo das Depot sei, ob ich alleine unterwegs wäre und ob ich ein Auto habe. Er begleitete mich vor den Bahnhof und erklärte Joe, wie er das Depot finden könnte. Wir fuhren zurück über den Bahnübergang, durch ein betriebsames Viertel, wo gerade Markt war, immer weiter in die Outskirts, wo man schon eine verräterische Qualmwolke aufsteigen sah. Nur noch einen ausgewaschenen kleinen Weg längs gerumpelt, und ich stieg aus und stand vor dem Objekt meiner Begierde.
Die dampfende Schwesterlok No. 523, ebenfalls zur Reihe 14A gehörend und auf Hochglanz gewienert und poliert.
Drei Mann waren gerade damit beschäftigt, die für die Fahrt benötigten Kohlen auf den Führerstand zu schippen. Auf meine Frage, ob ich die Maschine denn fotografieren dürfe, fragte mich sogleich einer der Männer, ob ich auch auf den Führerstand kommen möchte. Was für eine Frage?! Er erklärte mir die wesentlichen Bedienelemente, und als ich ihm erzählte, dass ich eine Heizerausbildung gemacht habe, vor vielen Jahren, und schon wisse, wie so ein Stahltier zu bändigen sei, taute er komplett auf. Ja, er müsse mir unbedingt den Zug zeigen, und mit dem Heizer und natürlich dem Lokführer müsse ich auch sprechen.
Hier muss ich mal unterbrechen,
es geht bald weiter.
Matthias