Stokksnes
Für einen Großteil der Touristen ist an der Jökulsarlon Gletscherlagune Schluss. Sie kehren um und fahren wieder zurück in Richtung Reykjavik. Weiter ostwärts ist dadurch deutlich weniger los und kaum noch Verkehr auf der Ringstraße, und das ist sogar in einem Corona-bedingt ohnehin ruhigeren Jahr spürbar.
Nur 90 Kilometer auf der Ringstraße sind es bis zu unserem nächsten Ziel, ungewohnt spät krabbeln wir aus den Federn und lassen uns beim Frühstück viel Zeit. Es ist Sonntag, das Hotel wegen der isländischen Ferien ausgebucht und aufgrund des Personalmangels heillos überlastet, doch wir freuen uns, in diesen schwierigen Zeiten überhaupt hier sein zu können. Andere sehen das anders, eine deutsche Familie macht Terror, weil es unbedingt ein Fensterplatz sein muss und die wenigen Servicekräfte mit dem Abräumen nicht nachkommen. Ein anderer Tisch kommt natürlich nicht infrage und überhaupt ist der Tonfall barsch. Wir schämen uns für unsere Landsleute, die offenbar so gar nicht verstanden haben, was die Stunde geschlagen hat.
Unser Tagesziel heißt Höfn, und weil wir ohnehin am Diamond Beach vorbeikommen, werden wir noch einmal schwach. Nur ein weiteres Auto ist auf dem Parkplatz, wir wundern uns und dann aber auch nicht mehr, als wir hinunter zum Strand gehen: Nicht ein Eisbrocken liegt im schwarzen Sand. Nichts, null, nada - wir sind platt und hätten nicht gedacht, dass das vorkommen kann. Okay, keine Diamanten an diesem Tag für uns, wir können es verkraften.
2019 hatten wir ein echtes Juwel glatt übersehen: die kleine Landzunge Stokksnes, die sechs Kilometer außerhalb des Ortes Höfn gut erreichbar unweit der Ringstraße, aber dennoch etwas abseits der ausgetretenen Touristenpfade liegt. Von der Straße aus kaum zu erkennen, lockt ihre einzigartige Kulisse viele Fotografen an, viele tolle Bilder im Netz zeugen davon.
Kurz vor dem Tunnel Richtung Djúpivogur biegen wir rechts ab auf eine gute Schotterpiste, die unterhalb des Bergs Klifatindur zum Café Viking führt, und blicken jenseits der Lagune rechterhand zurück auf die grandiose Gletscherlandschaft, aus der wir gerade kommen.
Am Café müssen wir einen Obolus von umgerechnet sechs Euro entrichten, denn die Landzunge ist in Privatbesitz und von einer Schranke blockiert. Die kleine Gebühr ist für Island eher ungewöhnlich, aber gut angelegt, denn mit dem Geld pflegt der Landbesitzer nicht nur die Zufahrt, sondern sie hält auch Reisebusse ab.
Eine schnurgerade Piste führt quer durch Stokknes in Richtung Küste, wir haben im Café eine Karte bekommen, wissen aber noch nicht so recht, wohin. Also zunächst einmal bis zum Parkplatz am Ende der Straße, geradeaus geht's zu einem Leuchtturm, wo es manchmal Robben geben soll, und zum (abgesperrten) Gebiet einer ehemaligen Radarstation. Uns zieht es in die andere Richtung, wo es auf den Felsen einen Aussichtspunkt gibt mit Blick auf das Vestrahorn (757 m), das Teil des Massivs Klifatindur ist und wohl einer der berühmtesten Berge Islands.
Vom Auto aus hat die Landschaft nicht recht auf mich wirken wollen, doch nun laufen wir am extrem flach abfallenden, schwarzen Strand entlang und mitten durch die mehrere Meter hohen Dünen, die unerwartet riesig sind und mit grünem Strandgras dekoriert ungemein fotogen.
Wir versinken im Sand und genießen den Spaziergang an der Lagune entlang zurück zum Café Viking, wo es nicht nur leckere Kleinigkeiten gibt, sondern auch Zimmer zum Übernachten. Stokksnes ist wie die Gletscherlagune sehr beliebt, um Polarlichter zu fotografieren, da ist die Pole Position bestimmt nicht schlecht. Der Hof gegenüber bietet Reittouren an, in Island eigentlich nichts Ungewöhnliches, aber in dieser Umgebung, im schwarzen Sand, das hat schon was...
Wir sparen uns die Stippvisite in einem falschen Wikingerdorf, das als Kulisse gebaut worden war für einen Film, der dann aus Kostengründen nicht mehr entstand. Mittlerweile sollen hier einige Folgen der Serie "Vikings" gedreht worden sein, was wohl kein Zufall ist, denn tatsächlich gab es hier im 9. Jahrhundert eine der ersten Ansiedlungen Islands. Historiker dürften dennoch enttäuscht sein.
Falsches Wikingerdorf am Fuß des Bergmassivs
Im Hotel Milk Factory in Höfn, einer stilecht zur Herberge umgebauten ehemaligen Molkerei, beziehen wir ein wunderbar großes, modernes und blitzsauberes Zimmer mit Panoramafenster. Bei der Online-Buchung hatten wir die Frage bejaht, ob wir ein ruhiges Zimmer möchten. Ob es daran liegt, dass wir einen separaten Eingang haben? Das gefällt uns jedenfalls, und auch die Gesellschaft auf der anderen Seite der Straße ist ganz nach unserem Geschmack.
Die Kontaktaufnahme gestaltet sich allerdings schwierig, denn die Nachbarn zur anderen Seite sind scheinbar viel interessanter.
Ein schöner Rücken kann auch entzücken...
Am späten Abend unternehmen wir einen weiteren Abstecher zur Stichstraße nach Stokksnes,...
...wo wir auf den Klippen mutterseelenallein die stille Lagune und den Ausblick auf die Gletscher genießen.
Die Uhr zeigt 23.05 Uhr, und noch immer ist es hell.
Am nächsten Tage fahren wir weiter in Richtung Ostfjorde, doch weil sich die Sonne zusehends durchsetzt, steuern wir auf dem Weg ein weiteres Mal Stokksnes an. Diesmal lassen wir das Auto am Café, zahlen den kleinen Betrag und gehen direkt hinter der Schranke hinunter an den Strand.
Wir sind fast allein und laufen begeistert durch die fantastische Kulisse mit ihren tollen Kontrasten, klettern auf Dünen...
...und haben Glück mit dem richtigen Moment für die Reflexion in der Lagune. Fototipp: Wer sein Glück erzwingen will, der sollte die Gezeiten im Blick behalten und auch den Wind. Bei Ebbe verschwindet der schöne Spiegel fast komplett, im Idealfall findet gerade ein Wechsel statt, läuft die Lagune also voll oder leer. Und: Ohne gutes Weitwinkel passt der Berg nicht drauf.
Schließlich verlassen wir die Landzunge und fahren weiter gen Osten zu unserem nächsten Ziel Seydisfjördur.
Das Wetter wechselt, kurz hinter Stokksnes ist es grau und stürmisch, das war auch im Vorjahr so und zu gerne würde ich diese Strecke einmal bei Sonnenschein fahren. Tiefe Fjorde prägen die Landschaft, die schon wieder ganz anders ist als alles bisher. Eine ganze Bucht ist voller Singschwäne (sie ist bekannt dafür),...
... schließlich wird es wieder sonniger und im malerischen Fischerörtchen Djupivogur machen wir Mittagspause im Restaurant Framtid, in dem es auch schöne Zimmer gibt, eine tolle Fischsuppe und tolles Flair.
Schon im vergangenen Jahr wollten wir in Seydisfjördur übernachten, hatten aber keine Unterkunft bekommen, denn einmal in der Woche legt die Autofähre aus Dänemark an und weckt den Ort aus dem Dornröschenschlaf. Diesmal haben wir mehr Glück, wir überqueren den steilen Bergpass, der hinter Egilsstadir nach Seydisfjördur führt. Hier oben liegt noch Schnee, doch der Blick hinunter verzaubert mich,...
...ebenso wie der Ort selbst, der uns mit Sonnenschein begrüßt.
Wir wohnen im Aldan, weniger ein Hotel als vielmehr ein Projekt, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die alten Häuschen im Ort zu restaurieren und zu bewahren.
Zimmer mit Aussicht
Unser Haus liegt direkt neben der blauen Kirche, einem der Wahrzeichen von Seydisfjördur.
Die Dielen knarzen, der Style ist authentisch, aber nicht altbacken. Wir fühlen uns auf Anhieb wohl und freuen uns auf die nächsten zwei Tage und Nächte in diesem Idyll.