Ein Erlebnis unserer ersten Namibiareise schlummert seit Jahren in meiner "Schublade". Heute sehe ich zwar ein paar Dinge mit anderen Augen (z.B., dass der Gecko aus dem Schlaf gezerrt wurde), aber ich würde gerne noch einmal diese Tour unternehmen. Leider wurde die Tour in diesem Jahr kurzfristig abgesagt, weil der Guide auf Reise ging.
Die Wüste lebt
Wer als Tourist nach Namibia fliegt, träumt von den „Big 5“: Elefanten, Nashörner, Löwen, Leoparden, Giraffen. Das kleine Unternehmen „Namibia Desert Adventures“ in Swakopmund wirbt mit „Experience The Little 5!“ Die beliebte Tour haben wir von Deutschland aus gebucht.
Douglas, Christopher Nels Mitarbeiter, holt uns morgens an der Rezeption zur Exkursion in den Wüstengürtel zwischen Swakopmund und Walvis Baai ab.
Nach zähem Kampf von Umweltschützern, zu denen Chris, wie er sich vorstellt, zählt, ist die Wüste entlang der namibischen Atlantikküste im Mai 2011 zum Dorob Nationalpark de-klariert worden. Dies hindert Quadfahrer jedoch nicht daran, weiterhin mit ihren Fahrzeugen Spuren in das heikle Ökosystem zu ziehen, die noch in hundert Jahren zu sehen sein wer-den. Chris zeigt uns Fotos und ist entsprechend sauer, aber er kann nicht viel dagegen aus-richten.
Der Mann ist ein Energiebündel und steckt uns mit seinem Enthusiasmus für „seine“ Wüste an. Fünf Stunden lang hält er uns mit ausgezeichneten Kenntnissen über ihre Bewohner und Pflanzen und die ökologischen Zusammenhänge in Atem. Wie er es schafft, aus dem fah-renden Auto heraus in zwanzig Metern Entfernung den Bau eines Skinks zu entdecken, wird allerdings sein Geheimnis bleiben.
Chris beginnt mit einer kurzweiligen Einführung über die Samen und Gräser, die vom Wind aus dem Hinterland und sogar aus der Kalahari herangeweht werden. Sie bleiben an den Dünen, an Büschen und Steinen hängen und tragen als Müsli (O-Ton Chris) zur Nahrung vieler Insekten bei, die wiederum auf dem Speiseplan anderer Tierarten stehen. Mindestens fünf von ihnen sollen wir auf unserer Tour kennenlernen.
Obwohl die Wüste ohne Regen auskommt, können Pflanzen wie der Dollarbusch überle-ben. Sie „trinken“ den Nebel, der nahezu beständig über der Atlantikküste liegt. Chris pflückt ein paar fleischige Blätter ab und zerquetscht sie. Grüner Saft quillt aus seiner Faust. Das sei die Milch zum Müsli, erläutert er. Auch heute Morgen bleibt der Himmel bleiern, die Temperaturen erfordern eine Vliesjacke mit Reisverschluss bis unters Kinn und werden im Laufe des Tages voraussichtlich nicht über 20°C steigen. Welch ein Unterschied zu dem extrem trockenen und heißen Klima im Landesinneren Namibias.
Uns fallen die Farben der Wüstenlandschaft auf. Ob aus beigem oder rotem Sand, die Dünen sehen aus, als hätte sie jemand mit schwarzem Zucker bestreut. Ein dicker Magnet, den Chris in den Sand setzt, bringt Klarheit. In Windeseile streben die schwarzen Sandkörner auf ihn zu, setzen sich fest und bilden schließlich einen dicken Pelz aus Eisenoxyd um den Magneten.
Chris buddelt am Abhang einer Düne, erster Fund: Ein White Lady Spider, höchst giftig, kullert das Gefälle hinunter. Wir bleiben in respektvollem Abstand.
Weiter geht’s. Der harmlose Skink, ähnlich unserer Blindschleiche, muss es sich gefallen lassen, dass wir ihn in die Hand nehmen und seine seidenglatte Haut streicheln, dann darf er seiner Wege schlängeln.
Das schönste Exemplar, das uns Chris präsentiert, ist ein Palmato Gecko. Er ist nachts aktiv und sichtlich irritiert, was mit ihm geschieht. Seine Haut schimmert pastellfarben hellblau, rosa, gelb, orange und ist fast durchsichtig. Man glaubt zu sehen, wie die Äderchen pulsieren. Das Bestechendste an ihm sind die großen schwarzen Augen, die er ab und zu abschleckt, da er keine Lider besitzt. Entzückt betrachten wir die Füßchen, die aussehen wie klitzekleine Schneeschuhe und verhindern, dass der Gecko im Sand einsinkt. Chris setzt ihn wieder vor seiner Wohnung ab, wo er sich in Windeseile eingräbt, um weiterzuschlafen.
Ganz schön aufgeweckt dagegen ist die Schaufelnasen Eidechse, deren Jagdzeit der Tag ist. Sie beißt sich an Chris’ Hand fest und lässt auch nicht los, als sie frei in der Luft baumelt.
Zwischendurch ist eine Pipipause angesagt. Nach kurzer Unterweisung über das richtige Wasserlassen in der Wüste werden wir hinter die Dünen geschickt. Auf keinen Fall dürfen Flächen „bewässert“ werden, auf denen Pflanzen ihr karges Dasein fristen. Die Leeseiten der Dünen sollen wir benutzen und – extra Appell an die Damen: „Bitte nur Lufttrocknung, kein Papier verbuddeln! Der Wind gräbt es wieder aus und treibt es durch die Landschaft, bis es irgendwo hängen bleibt.“
Für den nächsten Wüstenbewohner springt unser Guide mehrmals aus dem Jeep und wieder herein, legt zu Fuß lange Strecken zurück, bis er uns endlich heranwinkt. Dieses Reptil ist schlau und für uns beinahe unsichtbar. Doch Chris’ Argusaugen ist es nicht entgangen. Es dauert, bis wir die Stelle entdecken, wo hin und wieder eine kleine gespaltene Zunge aus dem Sand züngelt. Die Peringuey Otter hat uns mit ihren Augen, die wie ein Teleskop auf dem Kopf liegen und als einziger Körperteil aus dem Sand schauen, längst entdeckt. Blitzschnell schießt sie hervor, wir treten hastig zurück. Für das Gift der Schlange gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht, beruhigt Chris. Die gute: Es ist nicht tödlich, die schlechte: Zwei Tage lang möchte man am liebsten sterben.
Das war Nummer Fünf, doch ein Wüstenbewohner fehlt noch, das Chamäleon. Sein richtiger Name: Namaqua Chamäleon. Nach ihm muss Chris nicht lange suchen. Wir haben den Verdacht, dass es Tag für Tag in seinem Busch sitzt und auf die Ration Schwarzkäferlarven wartet, die Chris züchtet. Dreimal schnellt seine Zunge heraus, kringelt sich um eine Larve und verspeist den Happen mit sichtlichem Genuss. Der handgroße Kerl hat sich einen ordentlichen Ranzen angefressen.
Damit ist der lehrreiche Teil der Exkursion beendet. Den Abschluss bildet eine wilde Fahrt durch die Dünen – nur auf vorgezeichneten Strecken, um das Ökosystem weitgehend zu schonen, wie unser Guide betont – dass uns hören und sehen vergeht.