Liebe Freunde,
doch noch heute folgt der vierte, leider etwas textlastige, Teil unseres Reiseberichtes. Bitte die Sicherungskarabiner einklinken! Wir nähern uns den fast 600m-Abgründen des Fish Rivers:
Auch Safaristis müssen tanken. In der Nähe der Siedlung Keetmanshoop neigt sich der Spritvorrat unseres treuen 3,3l (leider nicht Verbrauch!) Expeditionsfahrzeugs dem Ende zu. Wir müssen tanken! Und das in der Nähe dieser verrufenen Stadt, in der sich Eingeborene in eindeutig krimineller Absicht den Fahrzeugen argloser Reisender nähern! Von Diebstählen mit Hilfe phantasievoller Ablenkungsmanöver ist die Rede. Nur wenige Reisende wagen es nach diesen Berichten noch, den Weg in den Ort zu nehmen. Wir müssen es! Sonst verdurstet unser Sechszylinder.
Sorgfältig planen wir das Eindringen in die äußeren Zonen. Alle Wertsachen werden in Säcken am Körper getragen und das wertvolle Aldi-Fotoequipment, ohne das wir unsere Reisen nie dokumentieren könnten, wird im Kühlschrank verstaut und mit einem zusätzlichen Schloss gesichert. Vorsichtig nähern wir uns der Tankstelle. Wir überprüfen, ob wir uns der dort versammelten Menge von zwei Tankwarten gefahrlos nähern können. Schließlich entschließen wir uns zum Halt. Wir verriegeln alle Türen und öffnen nur das Fenster einen Spalt und rufen in akzentfreier Eingeborenensprache „Full! Please!“ Nur wenige Minuten später ist das Fahrzeug, entgegen unseren Befürchtungen, aufgetankt und wieder fahrbereit. Auch das Ablenkungsmanöver, dass unsere Scheibe mit einer undefinierbaren Flüssigkeit bespritzt wurde hat uns nicht veranlasst, leichtsinnigerweise den Wagen zu verlassen. Wir stecken die genau abgezählten Geldscheine, die wir in verschiedenen Körperöffnungen verborgen hatten, dem Tankwart zu und flüchten aus der Stadt. Wir haben es überlebt!
Jetzt führt uns unser Weg zum Fish River-Canyon. Wir wollen den Blick in dessen unergründliche Tiefen wagen und sogar versuchen, der Sage eines Offroadtrails am Rande der Steilkante nachzugehen. Für dieses Offroad-Abenteuer, das nur ganz wenige verwegene Reisende wagen, haben wir uns die Dienste eines GPS-Gerätes mit Google Earth-Anbindung gesichert.
An der traditionellen Station abenteuerlustiger Reisender, dem Canyon Roadhouse, machen wir Station und besichtigen die Fahrzeuge anderer Expeditionsteilnehmer. Und zwar sowohl die, die es geschafft haben und zurück kamen, als auch die gestrandeten Wracks gescheiterter Reisender.
Am späten Nachmittag führt uns dann der Weg zum Canyon. Wir tasten wir uns in Schrittgeschwindigkeit zum Rande der Abbruchkante vor. Die letzten Meter wagen wir nur zu Fuß, bis sich uns das großartige Panorama bietet, das wir aus so vielen Erzählungen wagemutiger Reisender kennen:
„ Obwohl der Canyon eine besondere Sehenswürdigkeit in Namibia ist - meistens ist man dort allein“... so schreiben andere Reisende. Das stimmt! Das bestätigen uns auch die 22 Reisenden des SWA-Busses, die mit uns am Rande stehen, sowie die sechs ständig Bier trinkenden Reisenden aus dem fernen Transvaal.
„Der Canyon ist nach dem Fluss Fish River benannt. Mit ungefähr 650 Kilometern ist er der längste Fluss Namibias. Der Canyon ist 161 km lang und bis zu 550 Metern tief. Er entstand vor ca. 500 Millionen Jahren ... Saharafahrer kennen die Steinmännchen. Wer am Fish River Canyon die Steinmännchen übersieht, macht den großen Sprung, fast 600 Meter in die Tiefe. Mit oder ohne Airbag, angeschnallt oder nicht, spielt dann keine Rolle mehr“ heißt es in einem legendären Reisebericht. Wir kennen die Steinmännchen nicht, wir sind öfters in den Alpen als in der Sahara unterwegs. Wir müssen unsere Erfahrungen selbst machen. Oder beim Aufprall nach fast 600m sterben.
„Die Fahrt entlang der Abbruchkante ist nicht ungefährlich. Nicht auf den ersten Blick erkennbare Rinnen und Abbrüche übersehen, und schon geht es abwärts - fast 600 Meter im freien Fall.“ ... so heißt es.
Wie viele Reisende vor uns vertrauen auch wir einem Sechszylinder, einem robusten Geländewagen. Denn jetzt beginnt das Offroad-Abenteuer! Wir verlassen die Pad und nähern uns vorsichtig der Abbruchkante. Da! Reifenspuren! Wir waren nicht die ersten, die dieses Wagnis eingingen! Das Adrenalin schießt in unser Blut als wir uns der Gefahr bewusst werden. Wir sind immerhin jetzt schon ca. 15 Meter Luftlinie von der Pad entfernt. Sollen wir weiter? Sollen wir umkehren? Wir entschließen uns zu Fuß zu gehen. Das Risiko ist zu groß. Vielleicht finden wir trotz GPS nicht mehr den Weg zur Pad zurück. Wir haben offenbar nicht so viel Mut wie der Offroader vor uns. Es sind noch 20 Meter...
Wir folgen der Spur, die der wagemutige Reisende vor uns in den Staub und das Geröll der Wüste gezogen hat. Was ist das? Die Spur reißt genau an der Kante ab! Was ist geschehen? Ist der risikoliebende Offroader abgestürzt? Bleichen seine Gebeine im zerknüllten Schrotthaufen seines Fahrzeugs am Ufer des Fish Rivers? Erschaudernd ziehen wir uns vorsichtig zurück und brechen unser Offroad-Abenteuer ab.
Am Gate des Nationalparks fragen wir den Ranger, ob das Schicksal des mutigen Offroaders bekannt ist. Ja, antwortet der Namibia Wildlife Resorts-Angestellte. Er selbst hätte die Touristen dabei ertappt, wie sie mit Ihrem Geländewagen direkt am Abbruch gebruncht hätten. Er hat dem Fahrzeug einen Tritt gegeben und auch den unerfahrenen Touristen einen Tritt in den A.... versetzt und sie dann zu Fuß zum Gate zurückkehren lassen. Von der Strafzahlung haben die Ranger des Parks dann einen Betriebsausflug finanziert. Das im Abbruch hängende Fahrzeug wurde zum Horst für Raubvögel umgewidmet.
Wir müssen zurück. Vor uns liegt noch eine lange und schwierige Wegstrecke.
Erschöpft kommen wir im Roadhouse an, und vertrauen der Vergessen bringenden Wirkung eines (vielleicht auch mehrerer...) Windhoek Lager. Zu schrecklich waren die heutigen Eindrücke.
Am nächsten Morgen wollen wir früh zu den kalten Ufern des Atlantiks aufbrechen. Schaffen wir es, so früh aufzustehen? Müssen wir Frühstück und Mittagessen ausfallen lassen? Wir wollen nach Lüderitz und uns den rauen Winden der vom Benguelastrom umspülten Hafenstadt aussetzen. Extra dafür haben wir unsere hochalpinerprobten Jack Wolfskin-Spezialanzüge eingepackt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Es grüßt an den Ufern des Neckars sitzend
Wolfgang