Ein Traum in Türkis
Es ist noch nicht richtig hell, als uns am Morgen der erste Shuttle des Tages einsammelt. Wir haben ihn am Abend zuvor ganz unkompliziert über unser Hotel buchen lassen, und er bringt uns zur Hosteria El Pilar, die ein ganzes Stück außerhalb von El Chalten in Richtung Lago Desierto liegt. An dieser wunderschönen Unterkunft fernab der Touristenströme beginnt unsere Wanderung zur Laguna de los Tres und von dort weiter nach El Chalten.
Wir hätten auch direkt im Ort starten können, doch die von uns gewählte Variante birgt einige Vorteile: Wir müssen nicht dieselbe Strecke zweimal laufen, umgehen einen langen, steilen Anstieg zu Beginn der Wanderung und kommen zudem am Glaciar Piedras Blancas vorbei.
Als uns der (bis auf den letzten Platz gefüllte) Kleinbus an der Hosteria ausspuckt, nieselt es, keine idealen Voraussetzungen also. Die kleine Menschentraube, die wir zunächst bilden, zerfällt nach nur wenigen Minuten in ihre Einzelteile, jeder hat sein individuelles Gehtempo. Vor uns liegt eine Strecke rund 25 Kilometern, kein Pappenstiel, zumal wir noch die Laguna Torres in den Waden haben. Thomas und ich gehen es gemächlich an, allerdings ohne zu bummeln. Wir durchwandern ein schönes Tal und dann einen Südbuchenwald, der uns vor dem Regen schützt und in dem wir fernab des Weges wieder einen jungen Magellanspecht ausdauernd rufen hören. Es geht sanft ansteigend bis zu einer Hochebene, zwischendurch ist in der feuchten Luft an einem Aussichtspunkt vom Glaciar Piedras Blancas kaum etwas zu sehen.
Nach rund zweieinhalb Stunden gabelt sich der Weg. Rechts geht es in Richtung Laguna de los Tres, links nach El Chalten. Das Wetter hat sich deutlich gebessert und es regnet nicht mehr, doch der Fitz Roy hüllt sich in Wolken. Der Aufstieg lohnt sich allerdings nur, wenn die Granitfelsen auch zu sehen sind, zudem soll er alles andere als trivial sein und ich bin zwangsläufig wieder nur in Turnschuhen unterwegs. Ich bin hin- und hergerissen, doch am Ende biegen wir links ab. Ein richtig gutes Gefühl ist das aber nicht. Wir sind noch nicht weit gekommen, da setzen wir uns auf eine Bank und überlegen von Neuem.
Das Wetter wird immer besser, schon lugt der Fitz Roy aus den Wolken hervor. Und auch der Weg zur Laguna ist nun klar erkennbar. Soooo schlimm sieht er ja nun von hier unten gar nicht aus?! Thomas scharrt schon längst mit den Hufen und schließlich ringe ich mich durch: Wir wagen es! Umkehren, so denke ich, können wir ja immer noch. Als würde ich uns nicht besser kennen ...
Rechts unten im Bild der Anstieg zur Laguna de los Tres.
Wir kommen an einem Campingplatz vorbei, zwar mit schauerlichen Sanitäranlagen, aber in traumhafter Lage. Kurz dahinter beginnt der Aufstieg, von dem ich viel gelesen habe. Ein Warnschild bringt mich nicht unbedingt nach vorn, wieder drängen die Turnschuhe an meinen Füßen in mein Bewusstsein ...
Dann steigen wir im Zick Zack über große Felsbrocken und loses Geröll den Hang zur Laguna de los Tres hoch. Der Weg ist nur einen Kilometer lang, aber steil und uneben und zuweilen bei zu starkem Wind gesperrt. In dieser Hinsicht haben wir Glück, es ist relativ windstill und nun kommt auch die Sonne heraus. Der Aufstieg ist anstrengend, aber technisch nicht sehr anspruchsvoll, wir finden immer guten Tritt. Dennoch tragen alle anderen - und das ist auch absolut richtig so - feste Wanderschuhe.
Oben müssen wir noch die Endmoräne überwinden, die von unten nicht zu sehen war, ...
... dann haben wir es nach rund einer Stunde geschafft. Hinter uns liegen El Chalten und der Viedma See, ...
... vor uns die Laguna de los Tres. Der Blick ist überwältigend. Die Granittürme ragen mächtig hinter der Lagune auf, die in der Sonne knallbunt leuchtet - das war definitiv alle Mühe wert!
Deutlich zeigt sich, warum der gewaltige Fitz Roy in der Sprache der Ureinwohner "El Chalten" heißt: "Rauchender Berg". An seiner Spitze hängen fast immer Wolken fest.
Die Wanderung ist die wohl populärste der Gegend und wir sind alles andere als alleine hier. Wir suchen uns eine ruhige Stelle, schöpfen Atem und genießen den Anblick. Dann laufen wir bis an den Rand des Gletschersees hinunter.
Am Vorabend haben wir in unserer Hotel-Sofaecke von einer Amerikanerin den Hinweis bekommen, dass etwa 500 Meter weiter links ein weiterer See liegt, die Laguna Sucia. Ich denke, ohne den Tipp hätten wir ihn glatt ausgelassen, denn er ist in einer Senke verborgen und zunächst nicht zu sehen.
Wir orientieren uns nach links und klettern den Hang hinauf. Als ich oben bin, erwischt mich der patagonische Wind mit einer Wucht, die ich dahin noch nicht einmal geahnt hatte. Ich komme ins Straucheln, will natürlich nicht vom Berg purzeln und werde schließlich einfach umgeweht. Unsanft lande ich mit dem Allerwertesten auf spitzen Steinen - autsch! Ich signalisiere Thomas, der gerade hinter mir über die Kuppe klettert, auf allen Vieren zu krabbeln, stopfe meinen Rucksack in eine Felsspalte und genieße dann einfach nur die Aussicht über beide Lagunen.
Der Wasserfall weht im heftigen Wind mehr als dass er fällt, und dann noch in die falsche Richtung.
Wir bleiben ziemlich lange hier oben, selten habe ich etwas so Schönes gesehen. Doch schließlich machen wir uns auf den Rückweg.
Der Pfad ist mittlerweile regelrecht überlaufen, ganze Massen kommen uns schnaufend entgegen. Wieder einmal zahlt sich unser früher Start aus. Auf dem schmalen Weg gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten und so kommt es zu Engpässen und Staus. Die fittesten Wanderer klappern ungeduldig mit ihren Trekkingstöcken, was natürlich nichts bringt, hier ist Rücksichtnahme gefordert. Wir feuern die Entgegenkommenden an, "It's worth the pain", und viele scheinen sich aufrichtig darüber zu freuen. Unserer Beobachtung nach bleibt keiner auf der Strecke, eine gewisse Grundkondition ist aber sicher hilfreich.
Unten angekommen machen wir Rast, denn wie immer ist runter nicht unbedingt leichter als rauf.
Am Fluss füllen wir unsere leeren Wasserflaschen auf, das Wasser im gesamten Areal ist glasklar und trinkbar.
Dann wandern wir zurück nach El Chalten, wofür wir etwa drei Stunden einplanen. Ich spüre die Anstrengung und wir legen zwar ein zügiges Tempo vor, machen aber auch immer wieder Pause. Die Strecke bleibt wunderschön.
An der Laguna Capri (es gibt einen gleichlangen Alternativweg über den Mirador Fitz Roy) befindet sich ein weiterer Campingplatz, es ist sonnig und die Stimmung am Ufer des hübschen Sees herrlich entspannt. Einige ganz Mutige trauen sich sogar ins eiskalte Wasser.
Die letzten Kilometer laufen wir immer bergab durch einen Wald. Ich bin froh, dass wir diese langgezogene Steigung zu Beginn der Wanderung vermieden haben.
Am Ende zieht sich der Weg ein wenig, der tolle Blick auf den Rio de las Vueltas ist ein letzter Höhepunkt. Dann endlich kommt El Chalten in Sicht.
Fast zehn Stunden sind wir unterwegs, als wir jubelnd im Ort ankommen, und haben durch unsere Unentschlossenheit an der Weggabelung und das Hin-und-her-Gerenne zwischen den beiden Lagunen noch ordentlich Kilometer draufgepackt. Unterwegs hatte ich krachenden Hunger, doch als wir bei unserem favorisierten Italiener sitzen, bekomme ich vor Erschöpfung kaum einen Bissen runter. Was schade ist, denn das Essen ist nicht nur gut, sondern El Chalten insgesamt auch nicht gerade günstig.
Am Abend bin ich fix und fertig, aber glücklich. In meinem persönlichen Ranking ist die Laguna de los Tres eine der schönsten Tagestouren, die wir je gemacht haben und wird höchstens getoppt vom Tongariro Alpine Crossing in Neuseeland, wo es so aussieht:
Unterwegs am "Schicksalsberg" in Neuseeland:
Beim Einschlafen will ich gar nicht darüber nachdenken, dass ich mich um ein Haar gegen den Weg hinauf zur Laguna entschieden hätte. Zum Glück haben wir uns ein Herz gefasst - es hat sich gelohnt!