Von den Bergen über die Stadt in die Wüste
Am Morgen fühle mich gut, zumindest mental. Körperlich eher zerschlagen. Am Tag nach unserer Wanderung zur Laguna de los Tres, unserem letzten in El CHalten, ist für mich eine weitere große Tour undenkbar.
Das Wetter ist wunderbar, wir lassen uns treiben; wandern zunächst noch einmal ein Stück in Richtung Laguna Torre, bis zu der Stelle, wo wir den kleinen Specht in seiner Höhle beobachtet hatten. Doch von dem Vogel fehlt jede Spur. Ich checke vorsorglich den Boden rund um den Baum, doch nichts deutet auf eine Katze oder sonst irgendwelche Räuber hin. Der Kleine hat das Hotel Mama wohl verlassen.
Zurück in El Chalten setzen wir uns in ein uriges Cafe, das dekoriert ist mit alten Ski, zerfransten Kletterseilen und schwarz-weiß Fotos, die von Abenteuern längst vergangener Zeiten zeugen. Der Ort selbst, der in den 1980er-Jahren vor allem als Statement in den Grenzstreitigkeiten mit Chile gedacht war, ist jung, und ich mag seine Atmosphäre. Nicht, dass hier übermäßig viel los wäre. Doch das bunte Publikum sorgt vor allem abends, wenn aus den Kneipen argentinische Rockmusik dringt und die Gäste ihren ereignisreichen Tag auf den Terrassen mit einem Bier ausklingen lassen, für eine entspannte Stimmung. Während unserer Zeit in El Chalten sind wir automatisch Teil einer verschworenen Gemeinschaft, deren Mitglieder allesamt naturverbunden, aktiv und solidarisch sind. Wie bei einem Marathon oder einem alternativen Festival. Ein gutes Gefühl.
Thomas' Entdeckung des Urlaubs.
Am Nachmittag gehen wir ein letztes Mal zum Mirador de los Condores hinauf. Das Wetter ist herrlich und der Fitz Roy zeigt sich erneut in seiner ganzen Pracht - anders als der Cerro Torre, der trotz meist guten Wetters nur an unserem ersten Tag für wenige Stunden aus seinem Versteck gelugt hatte.
Thomas will eigentlich Kondore fotografieren, was nicht gelingt, denn erst kommt keiner und dann fliegen die Objekte der Begierde viel zu hoch. Stattdessen beobachten wir eine Loica-Familie und auch sonst allerlei gefiederte Freunde.
Wir schlafen zeitig, denn die Nacht ist vorbei, da hat sie gefühlt kaum angefangen. Unser Flug ist deutlich vorverlegt worden, statt nachmittags geht es für uns nun schon um 9.30 Uhr von El Calafate nach Buenos Aires. Dort haben wir eine Nacht Zwischenaufenthalt, bevor wir in die Atacama-Wüste weiterreisen. Wir müssen ja aber erst noch nach El Calafate fahren, und so ist es stockfinster, als wir einen frühen Tee und Kaffee schlürfen. Außer uns zählt noch ein Japaner zu den Frühaufstehern, er will bei Sonnenaufgang am Mirador de los Condores sein. Den Plan hatten wir eigentlich auch, denn wir hatten fantastische Fotos von einem in Rot getauchten Fitz Roy gesehen. Doch in den vergangenen Tagen war die morgendliche Wetterprognose zu schlecht und wir wollten keinesfalls vergeblich mitten in der Nacht aus den warmen Federn krabbeln.
Es fühlt sich merkwürdig an, durch die menschenleere Pampa zu fahren. Kein anderes Auto, kein künstliches Licht, keine anderen Menschen. Der Sonnenaufgang lässt auf sich warten und wir haben schon beinahe die Hälfte der Strecke hinter uns, als wir aus großer Entfernung zumindest eine Ahnung davon bekommen, was der Japaner wohl gerade aus nächster Nähe erlebt.
Wir liegen gut in der Zeit, und an einem einsamen Picknickplatz öffnen wir die Frühstücksboxen, die uns unsere Unterkunft mit auf den Weg gegeben hat. Die Aussicht ist definitiv besser als deren Inhalt, denn man hatte uns zunächst vergessen und am Morgen in die Box hineingestopft, was nur eben zu finden war. Doch immerhin haben wir etwas im Magen.
Am Flughafen parken wir die kleine "Schrottkarre", die uns hervorragende Dienste geleistet hat und die mir regelrecht ans Herz gewachsen ist. Immerhin ist es uns während unserer gemeinsamen Zeit gelungen, ihre (bereits vorhandenen) Blessuren mit ausreichend Dreck zu übertünchen.
Im Flughafen bekommen wir einen Riesenschreck, denn von Thomas' Fotorucksack fehlt jede Spur. Ich bekomme weiche Knie und sehe ihn vor meinem geistigen Auge in El Chalten im Zimmer oder an der Rezeption stehen. Doch zum Glück geht Thomas noch einmal zum Auto zurück und wird dort fündig. Puh! Vor lauter Erleichterung muss ich mich erstmal setzen.
Die nächste Hürde ist die Rückgabe des Autos. Die Schalter sämtlicher Autovermieter haben bereits geöffnet, nur unserer nicht. Der Vermieter in Ushuaia hat uns glücklicherweise seine Handynummer mitgegeben und nimmt sogar - wenn auch hörbar verschlafen - ab. Ich versuche trotz Sprachbarriere zu erläutern, wer wir sind und was das Problem ist, und irgendwann ist er im Bilde. Um Sieben, sagt er im Brustton der Überzeugung, öffne das Büro allerspätestens. Ich weise ihn sanft, aber bestimmt darauf hin, dass es bereits deutlich nach Sieben ist und wir überdies dringend zum Gate müssen. Er ruft den Mitarbeiter an und dann wieder uns, noch eine halbe Stunde, dann sei der Kollege da. Zu spät für uns, entgegne ich und schlage vor, den Schlüssel beim benachbarten Vermieter abzugeben. Das passt ihm irgendwie nicht, doch er sieht ein, es ist die einzige Möglichkeit.
Wir stehen nun allerdings ohne irgendwelche Papiere da, die versichern, dass wir den Wagen in dem Zustand abgegeben haben, wie er uns übergeben wurde. In Anbetracht der Vielzahl der Mängel möglicherweise ein Risiko. Aber es hilft nichts, wir müssen los, und es geht auch alles gut: Wir haben nie wieder etwas in dieser Angelegenheit gehört und unser Deposit problemlos und zeitnah zurückerhalten. Und so ist das Kapitel "Mietwagen", das so turbulent endete wie es begann, für uns glücklich abgeschlossen.
Mittags sind wir zurück in Buenos Aires, und ein bisschen fühlt es sich an, als kämen wir nach Hause. Es ist brüllend heiß, noch heißer als bei unserer Abreise. Nur drei Wochen sind seitdem vergangen, doch es kommt uns viel länger vor. Was haben wir seither nicht alles gesehen und erlebt! Wir haben keine konkreten Pläne, bummeln durch "unser" Viertel, genießen das typische Großstadtgefühl und fahren abends mit dem Taxi nach Palermo. Anders als beim ersten Versuch klappt es diesmal mit einem Tisch im "Don Julio", und es wird seinem Ruf als herausragendes Restaurant gerecht - sogar für mich als Vegetarierin.
Am Morgen beginnt abermals früh ein diesmal längerer Reisetag: Über Santiago fliegen wir nach Calama in die Atacama-Wüste. Von dort geht es per Shuttle weiter nach San Pedro, und während des rund 80-minütigen Transfers bekommen wir einen ersten Eindruck von der Landschaft, die so ganz anders ist als alles, was wir bisher auf dieser Reise erlebt haben.
Unsere Unterkunft ist okay und liegt wenige Minuten vom Zentrum entfernt in einer ruhigen Seitenstraße. Das Dorf selbst hat mit seinen staubigen Wegen und Lehmhäusern den ursprünglichen Charme bewahrt, was fast eine Kunst ist, denn es ist fest in touristischer Hand.
Souvenirläden, Tourenanbieter, Restaurants, alles ist auf die zahlende Kundschaft ausgerichtet. San Pedro ist aber auch unübersehbar eins der Hauptziele für Backpacker in Chile. Sie sind überall, machen Straßenmusik und lassen sich von der Polizei immer nur kurzfristig vertreiben. Sie scheinen im Ort nicht sehr beliebt zu sein, stören mit ihrem Gesang und Geklampfe wahrscheinlich die Nachbarschaft und bringen zudem kaum Geld in Umlauf. Ich persönlich schätze aber ihre Anwesenheit, denn sie sorgen für eine lässige Atmosphäre. Ich weiß, wir werden uns hier wohlfühlen. Der letzte Abschnitt unserer Reise kann beginnen.