Chivirico – La Mula
Normalerweise bin ich kein ausgesprochener Frühaufsteher, aber als Radfahrer, insbesonders in Kuba, tut man gut daran, zeitig aufzustehen. Morgens ist die Luft noch angenehm kühl und das goldene Licht der Morgensonne verzaubert die Landschaft. Wenn möglich versuche ich noch vor Sonnenaufgang aufzubrechen.
Mein heutiges Tagesziel ist der Campismo „La Mula“. Campismos sind keine Campingplätze, wie man vermuten könnte, sondern Ferienanlagen, geschaffen für den nationalen Tourismus, also für Kubaner. Inzwischen erlauben manche Campismos auch Ausländer als Gäste. In Campismos kann man einfache Häuschen mieten, für die Verpflegung gibt es ein Restaurant und oft noch eine Devisen-Bar, in der Rum und Bier verkauft wird.
Auf den nächsten 100 km ist der Campismo La Mula die einzige Übernachtungsmöglichkeit.
Der frühe Morgen ist die beste Zeit um Fahrrad zu fahren
Bevor ich aufbreche erwartet mich noch das Frühstück. Die meisten Casas Particulares bieten ihren Gästen für 3 - 5 CUC Frühstück an. Wenn ich nicht mit dem Fahrrad unterwegs bin, ziehe ich es oft vor, in Cafeterias zu frühstücken. Erstens ist es dort deutlich billiger (ca. 0,5 - 1 CUC) und zweitens habe ich morgens meistens noch keinen großen Hunger und da wäre so ein reichhaltiges Casa-Frühstück einfach zu viel.
Aber als Radfahrer ist ein gutes Frühstück essenziell. Wenn man in Kuba in einsameren Gegenden unterwegs ist, weiß man oft nicht, wann und wo und was man als nächstes zu essen bekommt.
Und meine Casa-Wirte wissen was ein Radler braucht. Der Frühstückstisch ist vollgepackt mit gebratenem Schinken, frittierten Bananen, Käse, Eier, Früchten, Kaffee, Saft und Brot. Eines muss man den Chiviriqueños lassen, von Essen verstehen sie etwas. Als ich den letzten Krümel vertilgt habe, befürchte ich fast zu platzen. Heute werde ich keine weitere Nahrung brauchen.
Es geht weiter, immer die Küste entlang
Durch das üppige Frühstück wird es etwas später bis ich losfahre. Die Sonne ist bereits ein ganzes Stück über den Horizont geklettert und deutlich zu spüren. Auch wenn die Luft noch kühl ist, werde ich in ein bis zwei Stunden wieder das Gefühl haben, durch einen Backofen zu fahren.
Da ich von Osten nach Westen fahre, habe ich die Sonne im Rücken, was viel angenehmer ist, als von vorne gebraten zu werden. Um Kopf und Nacken zu schützen setze ich schon bald wieder den alten Hut von La Abuela auf. Der sieht zwar etwas lächerlich aus, erfüllt aber seinen Zweck.
Küstenstraße zwischen Chivirico und Pilon
Die Landschaft wirkt trocken, die Berghänge sind mit dornigen Büschen und gedrungenen Bäumen bewachsen, die winzigen Felder der Campesinos karg und steinig. Entlang der Küste klammern sich stachlige Säulenkakteen an steile Felsen. Das Meer ist nie weit entfernt, die dunklen Strände sind jedoch so steinig, dass es schwierig sein würde, mehr als die Füße im Meer zu baden. Die Menschen wohnen in strohgedeckten Holzhäuschen, die oft von Kakteenhecken eingezäunt sind. Manche winken mir zu, als ich vorbeifahre, andere starren nur ausdruckslos hinter mir her.
Als ich einmal kurz anhalte um ein Foto zu machen, kommt eine junge Frau aus einem der Häuschen gerannt und ruft mir zu:
„Yuma, casate conmigo“. (Ausländer, heirate mich)
Ich fahre schnell weiter.
Strohgedeckte Holzhäuschen
Gegen 10 Uhr erreiche ich einen winzigen Ort namens Uvero. Ein paar Häuser, ein Miniladen, eine Cantina. Wasser kann ich nirgends kaufen, da der Miniladen geschlossen ist. In der Cantina haben sie immerhin Pomos de Naranja (Orangenlimonade) und Cerveza (Bier). In Kuba muss man nehmen, was es gerade gibt. Also trinke ich zwei Flaschen Orangenlimonade, süß und klebrig, aber kalt und um den süßen Geschmack wieder loszuwerden, spüle ich ein Bierchen hinterher.
Dann sitze ich ein Weilchen im Schatten eines akazienähnlichen Baumes und betrachte das Leben von Uvero. Viel gibt es da allerdings nicht zu sehen, ein paar Leute schlurfen die Straße entlang, andere chillen im Schatten der Veranden ihrer Häuser, oder der Bäume. Niemand bewegt sich schnell, oder eilig, kein Fahrzeug, kein Motorengeräusch stört die Stille. Nur ein paar Grillen zirpen und etwas weiter weg, das Rauschen der Brandung. Die Szenerie wirkt so einschläfernd, dass ich tatsächlich fast eingeschlafen wäre, hätte mich nicht ein älterer Campesino angesprochen. Wie fast jeder Kubaner, mit dem ich mich unterhalte, fragt er mich zuerst, woher ich komme und wohin ich gehe. Als er hört, dass ich Deutscher bin, erzählt er stolz, dass seine Tochter in Deutschland lebt:
„Mi hija vive en Alemania, Dusseldoff“ (Meine Tochter lebt in Deutschland, Düsseldorf)
Wie in ländlichen Gebieten nicht ungewöhnlich, mündet unser Gespräch in eine Einladung. Er erwähnt seine Frau, die eine gute Köchin sei und sein Haus, das „muy fresco“ und „muy tranquilo“ (sehr kühl und sehr entspannt) sei. Ich könne dort auch übernachten und erst morgen weiterfahren.
Ich bin immer wieder erstaunt über die Gastfreundschaft dieser einfachen Landmenschen. Der Mann macht nicht den Eindruck, als wolle er aus der Einladung irgendwelche materiellen Vorteile ziehen, er ist einfach nur freudlich und einen Ausländer im Haus zu haben, ist in dieser abgelegenen Gegend eine Abwechslung. Einen Moment überlege ich die Einladung anzunehmen. Aber nur einen Moment, dann erwidere ich, dass ich heute noch nach La Mula fahren möchte. Vielleicht das nächste Mal?
Er schreibt seine Adresse auf einem Papierfetzen und geht seines Weges. Und ich fahre meines Weges.
Kurz hinter Uvero treffe ich auf eine ziemlich kaputte Brücke. Sie wurde schon vor Jahren bei einem Hochwasser zerstört, aber nie repariert. Trotzdem wird sie von Fußgängern und „leichteren“ Fahrzeugen weiterhin benutzt. Für die anderen gibt es eine Umfahrung durch das Flussbett. Aktuell ist der Fluss knochentrocken, aber ich könnte mir vorstellen, dass zu bestimmten Jahreszeiten Wasser fließt und es dann nicht einfach ist, durchzukommen.
Die zerstörte Brücke bei Uvero
Je weiter ich Richtung Westen komme umso einsamer und wilder, aber auch schöner wird die Gegend. Die Bergzüge der Sierra Maestra werden schroffer und steiler, manchmal stürzen fast senkrechte Felswände zur Küste hinab.
Ich muss ein paar Anstiege bewältigen, aber nichts Dramatisches. Für die 45 km von Chivirico nach La Mula benötige ich zwar fast 5 Stunden, aber das liegt nicht am Schwierigkeitsgrad, sondern an den vielen Stopps, die ich einlege. Ich halte oft, fotografiere, genieße die Landschaft, unterhalte mich hier und da mit einem Campesino.
Null Verkehr
Einsame Playas