THEMA: Vertreibung und Vernichtung der Ovaherero und Nama
18 Jun 2024 16:44 #688886
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  • tacitus am 18 Jun 2024 16:44
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Jetzt habe ich das Waterbergkapitel in
Die Kämpfe der deutschen Truppen in Südwestafrika
Der Feldzug gegen die Hereros

auch gelesen und sehe das genauso (und erst recht, weil schon vorher mM) wie oben von JP K geschrieben. Die Vernichtungs- und Ausrottungsabsicht wird in zahlreichen Textstellen zum Ausdruck gebracht. Entweder in den Gefechten um den Waterberg oder, nachdem sich die Herero der Einkesselung dort entzogen hatten, durch Abdrängen in das Sandveld und Verfolgung dort: „Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten : die Vernichtung des Hererovolkes“.

Die Ausrottungsabsicht Trothas selber ist sowieso dokumentarisch belegt, womit PS:17:10 nicht nur der "Schießbefehl" gemeint ist.

Einen großen qualitativen oder inhaltlichen Unterschied zu den abqualifizierten romanartigen Behandlungen sehe ich nicht.

Das Buch ist mE bestenfalls eine populärhistorische Chronologie der militärischen Aufstellungen, Bewegungen und Gefechte, abgefasst als „Narrativ“, weitgehend ohne Quellenangaben und –Zitate udgl. Da von der Generalität selber verfasst, ist es logischerweise auch eine Selbstbeweihräucherung deutscher militärischer Tugenden und Leistungen.

Lesen sollte man das unbedingt (alleine schon um den „Zeitgeist“ zu verstehen), das aber zu einer „objektiven“ Darstellung der Ereignisse zu erklären, wäre dann wirklich die hier schon öfters bejammerte Geschichtsklitterung.

mM
Letzte Änderung: 18 Jun 2024 17:12 von tacitus.
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18 Jun 2024 17:20 #688890
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PS @ Oberst Deimling
Dieser hat ja bekanntlich vermasselt, dass aus der Einkesselung und geplanten Vernichtungsschlacht direkt am Waterberg nix wurde und die Herero ausgebrochen sind.
Hier,
docserv.uni-duesseld...rivate-3519/1519.pdf
im Kapitel III gibt es Interessantes über Zeitgeist, Person und Denke Deimlings und das damalige totale Fehlen eines Unrechtsbewusstseins über die physische Ausrottung militärisch bereits Besiegter und von Zivilisten.

Das führt zum „Zeitgeist“ in welchem das geschah:

Zur Deutung und Rechtfertigung der Ereignisse ausschließlich aus dem Zeitgeist heraus, sollte man schon auch wissen und be- und mitdenken, dass es auch damals schon und trotzdem gegenteilige Ansichten gab, die die totale Vernichtung der Hereros für falsch bis verbrecherisch hielten. Von Leutwein vor Ort über die Zivilgesellschaft bis zu Politikern.

Jeder der alt genug ist, hat übrigens die Fortsetzung dessen in unsere eigene Lebenszeit und dessen Protagonisten und Äußerungen in persönlicher Erinnerung und kennt das aus eigener Erfahrung. Warum sollte das die paar Jahrzehnte früher in den Kolonien anders gewesen sein?
Letzte Änderung: 18 Jun 2024 18:44 von tacitus.
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18 Jun 2024 17:44 #688892
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ich sehe das mit der Selbstbeweihräucherung ebenso, der Generalstab musste sich ja rechtfertigen für die Geschehnisse. Zwar habe ich keinen Zweifel, dass es die einzelnen Gefechte an den Orten und Zeiten so gegeben hat wie beschrieben, aber das Ausschmücken mit den heroischen Dialogen von den Sterbenden scheint mir frei erfunden. Vielmehr sollten die Soldaten insgesamt als Helden dargestellt werden, auch wenn einzelne eher nicht gut im Buch weggekommen sind. Das spürt man immer dann, wenn das Buch eher distanziert über einige Motive der Handelnden schreibt.

Ebenso könnten Zweifel bestehen, ob die Truppen die Herero lieber im Kampf stellen wollten (wie vom Generalstab an vielen Stellen behauptet), oder ob die Vertreibung in die Wüste nicht das Ziel von Anfang an war, wie ich aufgrund der Umkreisung der Herero mit Öffnung des Kreises Richtung Omaheke vermuten würde.

Man erahnt auch ansatzweise, dass die Feuerkraft der deutschen Maschinengewehre der der Gewehre, die die Hereros zur Verfügung hatten, massiv überlegen gewesen sein musste. Ein Kampf war für die Herero aussichtslos, ich wäre an deren Stelle auch sofort geflüchtet.

Ein vorher formuliertes Kriegsziel wurde nicht angegeben, ausser die Vormachtstellung in Namibia wiederherzustellen. Über Gefangene wurde auch kaum berichtet. Erst in der Zeit nach v.Trotha schien es nennenswerte Anzahl von Gefangene zu geben, die dann ja interniert wurden.
Letzte Änderung: 19 Jun 2024 13:39 von JP K.
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Wenn ich dazu mal etwas gegen den Strich bürsten darf...
JP K schrieb:
ich sehe das mit der Selbstbeweihräucherung ebenso, der Generalstab musste sich ja rechtfertigen für die Geschehnisse. Zwar habe ich keinen Zweifel, dass es die einzelnen Gefechte an den Orten und Zeiten so gegeben hat wie beschrieben, aber das Ausschmücken mit den heroischen Dialogen von den Sterbenden scheint mir frei erfunden.

Also Du hältst Teile des Buches für frei erfunden, für pure Lügen. Aber die Teile des Buches, die zu Deiner schon feststehenden Meinung passen, sind für Dich gleichzeitig der ultimative Beweis, dass ein Völkermord beabsichtigt war und auch durchgeführt wurde (siehe vorheriger Kommentar von Dir). Ich weiß nicht, wie man das intellektuell unter einen Hut bekommen kann?

Das Buch wurde explizit auf Basis des amtlichen Materials geschrieben, dass der Kriegsgeschichtlichen Abteilung I des Generalstabs damals zur Verfügung stand und das für das Buch noch nicht mal vollständig gesichtet wurde. Die Intention des obigen Buches ist es laut Vorwort des Buches ausdrücklich, die Leistungen der deutschen Schutztruppe in Südafrika herauszuarbeiten und zu würdigen - und zwar nach damaligen Wertmaßstäben, was ja auch Tacitus herausarbeitet. Also eine Glorifizierung der heldenhaften deutschen Truppen, keine neutrale, objektive, wissenschaftliche Beschreibung der damaligen Ereignisse.

Was heißt "Amtliches Material" konkret? Frontberichte u.ä. die von General von Trotha oder Untergebenen von General von Trotha auf Anweisung von General von Trotha verfasst und nach Berlin geschickt wurden. Die Historiker wissen heute gesichert, dass Lothar von Trotha ein Ekel von einem Mensch war. Ein Angeber, ein gewissenloser Prahler, der immer damit posen wollte, was für ein großartiger, erfolgreicher Feldherr er war. Weil er das nicht erst im damaligen Südwestafrika geworden ist, gab es bekanntermaßen schon bei seiner Ernennung zum Kommandeur der Kaiserlichen Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika starken Widerstand.

Wenn also von Trotha im Wesentlichen immer nach Deutschland hat melden lassen, welche "genialen Moves" er wieder gemacht hat und wie er alle Gegner, auf die er traf, ein ums andere Mal geschlagen hat, dann muss das nicht die Realität spiegeln. Dann ist das erst mal nur die Selbstdarstellung und Prahlerei von Trothas.

Es gibt anscheinend aus der damaligen Zeit Briefe einfacher Soldaten, die eher ein gegensätzliches Bild zeichnen. Die Schutztruppe war demnach von Malaria und anderen Widrigkeiten so geschwächt, dass sie nach der Schlacht am Waterberg gar nicht mehr in der Lage war, die Herero in die Omaheke zu jagen. Andere Quellen besagen, dass die Herero vor der Schlacht am Waterberg mit den Briten die Flucht durch die Omaheke ins Betschuanaland abgeklärt hatten. Die Gegenerzählung ist also ganz grob, dass die Herero selbst eine fatale strategische Entscheidung getroffen haben, die viele Hereros mit dem Leben bezahlt haben und das von Trotha den Fehler des Gegners anschließend als eigene militärische Leistung verkauft hat.

Ich denke, auch im Wissen um die 2. Seite des viel zitierten Schießbefehls, die diesen etwas relativiert, kann man unterstellen, dass von Trotha aus heutiger Perspektive den Willen und die konkrete Absicht hatte, einen Völkermord an den Herero zu vollziehen. Ob das Geschehen dann wirklich als Völkermord zu bewerten ist, weiß ich nicht. Also kein rhetorisches "weiß ich nicht" im Sinne einer Negierung der Völkermord-These, sondern ich weiß es wirklich nicht, habe mir dazu immer noch keine abschließende Meinung gebildet, bin nicht überzeugt.

Von Trotha hat viel Material hinterlassen, das eine attraktive Quelle für Historiker ist. Aber ich finde es schwierig, wenn sich die Einstufung als tatsächlicher Völkermord vor allem auf den Schießbefehl und die Aufzeichnungen und Berichte von von Trotha stützt. Das ist eine höchst subjektive, verfärbte Quelle. Wenn Historiker den Zustand der USA im Jahre 2020 beschreiben wollten, dann würden sie sich dabei auch nicht primär auf Aussagen von Donald Trump stützen.

Es kann gut sein, dass das, was einzelne Soldaten in Briefen von der Front berichtet haben, ein Fake ist, nicht objektiv und vor allem nicht repräsentativ ist. Es kann gut sein, dass man das damalige Geschehen aus heutiger Sicht als Völkermord bewerten muss. Aber da fehlt mir noch etwas Einordnung, mehr Entkräftung der Gegenthese, die sich dann nicht primär auf Material von von Trotha stützt. Völlig klar ist, dass die Deutschen in Südwestafrika Verbrechen begangen haben. Eben so klar ist, dass die Herero ohne deutsche Kolonialisten und Schutztruppen nie durch die Omaheke geflohen wären, die Deutschen also so oder so eine Mit-Verantwortung tragen.

Wenn man das "Label Völkermord" recht freizügig oder selektiv verteilt, entwertet das auch die Einzigartigkeit des Holocausts - der war dann am Ende nur noch einer von vielen Völkermorden in der Geschichte. Ich tue mich aber auch schwer damit, wenn z.B. die Verbrechen gegen die Rohingya (ca. 10.000 von 2-3 Millionen Rohingya getötet) als Völkermord gewertet werden. Im ersten Golfkrieg wurden u.a. mit Giftgas 250.000-500.000 von damals 40 Mio. Iranern getötet und Hussein ging es ausdrücklich auch darum, dass sich insbesondere in Chuzestan das Arabische gegen das Persische durchsetzt, der sunnitische Islam gegen den schiitischen Islam. Das zählt heute nicht als Völkermord? Weil Iran seit 45 Jahren (also seit der Revolution) nicht mehr so gut angesehen ist, keine Würdigung erfahren soll?

Grüße
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19 Jun 2024 11:34 #688962
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ich halte den Schiessbefehl v.Trothas nicht für die Grundlage des Völkermords. Die Kämpfe am Waterberg waren Mitte August, die Flucht in die Omaheke setzte unmittelbar danach ein zumindestens für einen Grossteil der Herero, der Schiessbefehl ist am 2. Oktober erlassen. Nach menschlichem Ermessen müssen die geflüchteten Herero bis zum 2. Oktober schon größtenteils verdurstet gewesen sein. Deshalb wohl auch die ständigen Einwendungen, der Schiessbefehl sei doch kaum vollstreckt worden. Der Schiessbefehl kann doch daher nur als eine Drohung an evtl. Überlebende verstanden werden, ja nicht wieder zurückzukehren. Anscheinend hat man ja den Nachzüglern in die Omaheke den Schiessbefehl in Papierform mitgegeben, damit er sich bei den evtl. Überlebenden herumspricht und niemand auf die Idee kommt, sich nochmal auf deutschem Territorium blicken zu lassen - meine Interpretation.

Ich selber bin kein Geschichtswissenschaftler, sondern habe das Urteil der Experten zum Völkermord übernommen. Es stecken ja zigtausende von Arbeitsstunden von wohl Hunderten von Wissenschaftlern über Jahrzehnte dahinter, und die Original- und Sekundärliteratur umfasst wohl eine Seitenzahl, die ich in meinem verbleibenden Leben nicht mehr durcharbeiten möchte. Ich halte das Thema für ausdiskutiert. Ich habe mir nur ansatzweise einen Überblick verschafft, weil es hier im Forum jemanden gab, der die Arbeit der Geschichtswissenschaftler immer wieder ins Lächerliche zog und verunglimpft hat und damit geprahlt hat, er sei im Besitz von tollen Originalunterlagen, die unbeachtet geblieben seien, weil die Experten alle verblendet seien. Aus diesem kleinen Überblick habe ich für mich gefolgert, dass es keinen Grund für die Annahme gibt, die Geschichtswissenschaftler hätten ein nicht zu rechtfertigendes tendentiöses Urteil zum Völkermord an den Herero in die Welt gesetzt. Mehr kann ich nicht beitragen zum Thema.
Letzte Änderung: 19 Jun 2024 13:51 von JP K.
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19 Jun 2024 12:35 #688970
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Beitrag gelöscht
bei Interesse an dem Artikel bitte ein PN schicken
Letzte Änderung: 20 Jun 2024 08:19 von tacitus.
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