13. Kapitel: Im Tiefsand
29.07.2019
Erneut wache ich als erster der Familie auf und verlasse leise das Zelt. Es ist bitterkalt und der Fluss liegt im Zwielicht des im ersten Ansatz anbrechenden Tages.
Das nahe Grunzen der Flusspferde lenkt meine Schritte zum westlichen Ende der Lodge. Ich gehe die sanfte Uferböschung herab und stehe direkt am Flussufer. In zehn Metern Entfernung hält sich eine kleine Flusspferdgruppe auf und lässt immer wieder die Köpfe sehen, nur ihr Schnaufen durchbricht die morgendliche Stille.
Auf einer nahen Flussinsel fressen im dichten Busch einige Büffel. Die Stimmung ist wunderbar friedlich.
Langsam geht die Sonne auf – ihre wärmenden Strahlen sind höchst willkommen.
Meine Familie möchte es heute etwas ruhiger angehen lassen und so fahre ich noch vor dem gemeinsamen Frühstück allein auf eine kurze Stippvisite in die Mahango Core Area.
Heute möchte ich die Pad zum Wasserloch fahren, die wir bisher noch nicht kennen. Die Anmeldung am Gate verläuft sehr schnell – wir haben gestern für drei Tage bezahlt und die Dame am Tor kennt mich bereits.
Ich biege einige hundert Meter nach dem Tor nach rechts von der Transitstraße ab. Zuerst führt der Weg kurz durch eine offene Ebene, um dann aber ziemlich dauerhaft dichtes Buschland zu durchschneiden.
Sichtungen halten sich heute früh sehr in Grenzen. Einzig eine ziemlich scheue Pferdeantilope lässt sich unweit der Straße ablichten.
Zwei Mal durchfahre ich auf dem Weg zum Wasserloch kleinere Tiefsandabschnitte, die das Auto kurz zum Schwimmen bringen, aber insgesamt ziemlich harmlos sind. Ein weiteres Mal – kurz vor Erreichen des Wasserlochs – muss eine etwas längere Tiefsandpassage überwunden werden, die heute früh aber auch ohne Probleme gemeistert werden kann.
Das Wasserloch selbst liegt auf einer kleinen Ebene, deren starke Beanspruchung durch Elefanten deutlich zu sehen ist. Hier wächst kein Strauch mehr, es herrscht braune Ödnis. Leider sind außer einigen Grünmeerkatzen hoch in den Bäumen keine Tiere anwesend und so kehre ich nach kurzer Wartezeit um – ich möchte ja pünktlich zum Frühstück bei meiner Familie in der Lodge sein.
Auf dem Rückweg scheint der Busch erwacht zu sein – vor allem begegne ich jetzt regelmäßig Elefanten, die sich aber durch den dichten Bewuchs, der hier herrscht, wirklich gelungener Aufnahmen verweigern. Daher zeige ich an dieser Stelle nur eines der recht verbuschten Bilder zur Illustration.
Auch Kudus lassen sich im schönen Morgenlicht beobachten.
Den Schluss macht ein (viel zu selten fotografierter) hübscher Impalabock.
Wenig später bin ich zurück auf Ndhovu und werde fröhlich von meinen Lieben begrüßt. Gemeinsam setzen wir uns zum gemütlichen Frühstück auf die Aussichtsterrasse und genießen den Ausblick und das gute Essen – so viele Eier wie im südlichen Afrika essen wir zuhause nie… So vergeht die Zeit wie im Fluge.
Wir spielen gemeinsam auf dem Lodgegelände und genießen die Umgebung.
Für den Nachmittag buchen wir einen Ausflug in die Buffalo Core Area – man kann mit dem Boot direkt von der Lodge übersetzen und wird dann am anderen Ufer von einem Gamedrive-Wagen aufgesammelt.
Da die Kinder keine rechte Lust haben, vorher nochmal rauszufahren, darf ich nochmals am späten Vormittag allein in den Mahango fahren.
Ich möchte dem Wasserloch eine zweite Chance geben und biege also erneut nach rechts ab.
Kurz nach der Einbiegung treffe ich auf eine Herde Pferdeantilopen, die sich nah der Pad lange beobachten lässt. Hier entsteht mein bisheriges Roan-Lieblingsfoto.
Auch auf dem weiteren Weg lassen sich Pferdeantilopen sehen. Heute ist Roan-Tag.
Aufmerksam schaue ich nach links und rechts in den Busch und achte dabei wohl zu wenig auf die Straße. Waren die ersten zwei Tiefsandpassagen wieder kein Problem, so wird mir die dritte und ausgeprägteste zum Verhängnis – denn der Sand ist in der Wärme des Tages um einiges lockerer geworden…
Ich bin für diesen Untergrund zu langsam und zögerlich unterwegs und werde immer langsamer… Dann steht das Auto still und mein Puls geht nach oben. Zum Glück kann ich den Wagen noch einmal durch ein Fahrmanöver befreien. Das bringt mich aber nur wenige Meter weiter und dann ist unglücklicherweise endgültig Schluss. Mitten auf der Tiefsandpassage kurz vor dem Wasserloch stecke ich fest. Blöd.
Ich steige aus und sehe mir die Lage von außen an. So tief ist das Auto noch nicht eingesunken, es ist nicht hoffnungslos. Aber es wird wohl ein wenig dauern… Also zücke ich erstmal mein Handy, um meiner Frau zu sagen, dass sie sich keine Sorgen machen soll. Und was sehe ich: Kein Netz. Auch blöd –
ziemlich blöd.
Gut: Ich habe etwa zehn Liter Wasser dabei und auch genug Proviant. Von dieser Seite aus wird kein Problem entstehen. Und bestimmt kommen auch bald andere Fahrzeuge vorbei. Diese lassen aber tatsächlich auf sich warten – am späten Vormittag ist hier nicht viel los.
Sandmatten haben wir keine mitbekommen und so lege ich eine Fahrhilfe aus einigen Ästen, als doch irgendwann ein weiteres Auto vorbeikommt. Der Fahrer gibt mir Anweisungen, aber meine Rampe hilft leider wenig. Stattdessen gräbt sich das Auto weiter ein, vor allem weil sich die Vorderräder nicht mitdrehen, was uns ein Rätsel ist – 4x4 ist einweisungsgemäß mittels Hebel im Innenraum nämlich aktiviert.
Es hilft nichts. Das andere Auto ist zu klein, um mich herausziehen zu können und der Fahrer will schauen, ob am Wasserloch jemand steht, der helfen könnte. Kurz darauf bin ich wieder allein.
Ich vertreibe mir die Zeit damit, den Landcruiser auszubuddeln, der mitgelieferte Klappspaten ist lächerlich klein und so sind meine Hände durch die kleinen spitze Steine im Sand bald ein wenig blutig. Ich beginne zu schwitzen und wenig später bin ich über und über mit Sand und Staub paniert.
Nach und nach lerne ich, dass man den weggeschaufelten Sand in weitere Entfernung befördern sollte – und trotzdem rutscht immer wieder feiner Sand in die frisch ausgehobene Grube nach. Sisyphos lässt grüßen.
Irgendwann kommt ein Fahrzeug aus Richtung des Wasserlochs. Auch dieses kann vor Ort nicht helfen, aber ich kann von den Insassen zum Gate gefahren werden, um dort Bescheid zu geben und vor allem in der Lodge anzurufen.
Gesagt – getan. Ich lasse also das Auto notgedrungen zurück und erreiche nach kurzer Fahrt das Gate, wo ich bei der netten Dame zu Canossa gehe. Wir können zum Glück mit ihrem Handy nach einigem Hin und Her die Lodge erreichen, denn mein Telefon hat auch hier kein Netz. Damit ist eine große Sorge aus der Welt.
Die Dame verständigt einige Ranger, die mich nach einiger Wartezeit mit ihrem Pickup zum Auto zurückbringen. Die beiden jungen Frauen sind sehr zuversichtlich, dass sie den Wagen in kurzer Zeit befreit haben werden.
An Ort und Stelle lassen sie erstmal viel Luft aus den Reifen und versuchen dann, den Wagen herauszufahren, so wie ich es vorher auch versucht habe. Leider haben auch sie wenig Erfolg. Immer weiter gräbt sich das Auto ein, immer wieder müssen wir buddeln. Das Spiel wiederholt sich einige Male. Insgesamt verschlechtert sich die Lage durch diese Manöver aber eher noch weiter.
Dann machen wir einen Versuch, den Landcruiser mit ihrem Fahrzeug herauszuziehen. Leider scheitert auch dieser.
Eine der beiden Damen fährt schließlich zurück zum Gate, um Verstärkung zu holen. Ich bleibe mit der anderen Rangerin am Wagen – wir buddeln gemeinsam und setzen uns irgendwann in den Schlagschatten des Autos, um uns ein wenig zu unterhalten.
Nach einer langen Zeit kommt die Verstärkung. Ein erfahrener Ranger schaut sich die Lage an und bemerkt recht bald, dass die Differentialsperre des Landcruisers nicht eingeschaltet ist – ich wusste leider gar nicht, dass man dies an den Vorderrädern tun kann / muss. Und auch keiner der anderen hatte diese Expertise.
Hier hätte ich mir eine genauere Einführung bei Übernahme des Fahrzeugs gewünscht. Über den Einschalthebel im Inneren des Fahrzeugs hinaus wurde 4x4-technisch nichts Weiteres erläutert. Und in meinem Anfängertum habe ich natürlich auch nichts vermisst…
Mit eingeschaltetem diff. lock hat der Landcruiser erkennbar mehr Grip. Wir buddeln und bauen erneut eine Rampe aus Zweigen und nach einigen dramatisch sandaufwirbelnden Versuchen ist das Auto tatsächlich frei und ich habe ganz weiche Knie (auch jetzt noch beim Schreiben...).
Glücklich fallen wir uns in die Arme und jubeln gemeinsam. Ein schöner Moment der Gemeinschaft am Ende dieser Strapaze.
Bald fahren wir im Konvoi weiter zum Wasserloch, um dort zu wenden. Die am Morgen noch leere Ebene ist, als wir sie erreichen, kaum wiederzuerkennen, denn sie ist über und über mit Elefanten gefüllt. Ich empfinde die Situation durch meine Anspannung als recht bedrohlich und eigentlich möchte ich auch nur noch weg. Die Dickhäuter sind mir in meinem aktuellen Zustand einfach viel zu nah.
Ich mache also einige wenige Aufnahmen zur Dokumentation. Für das Einfangen der Gesamtsituation habe ich leider nicht das passende Objektiv dabei.
Ich fahre alsbald hinter dem Rangerfahrzeug in Richtung Gate. Auf etwa halber Strecke kommt mir ein Fahrzeug entgegen, in dem ich meine Frau und die Kinder erkennen kann. Sie sind mit Lodgemanager Frank in den Park gefahren, um zu schauen, wie die Lage ist. Da seit meinem Anruf schon viel Zeit verstrichen ist, haben sie sich größere Sorgen gemacht.
Am Gate fallen wir uns in die Arme und eine riesige Anspannung fällt von mir ab. Erleichterung und Scham gehen eine besondere Paarung ein. Die letzten Stunden waren ein Abenteuer, das ich so bald nicht nochmal erleben muss (das aber seltsamerweise zu den Erlebnissen der Reise gehört, die wir am häufigsten in unserem Umfeld erzählen…).
Wir fahren kurz zum Rangerhauptquartier, das sich kurz vor dem Gate befindet. Ich bedanke mich ganz herzlich bei meinen Helfer*innen und wir verabschieden uns voneinander.
Die gesamte Aktion hat etwa vier Stunden gedauert – an den Gamedrive in die Buffalo Core Area am frühen Nachmittag ist nicht mehr zu denken.
Zum Glück nimmt mir das meine Familie nicht übel und ich werde von allen dreien sehr liebevoll aufgefangen. Die Kinder schenken mir kleine Spielzeuge zur Aufmunterung und ich stelle mich – endlich in der Lodge angekommen – unter die wohltuende Dusche.
Ein kleiner Trost ist zudem eine Elefantenherde, die sich am gegenüberliegenden Ufer zeigt.
Nach einiger Zeit der Erholung verschieben wir den Buffalo Core Besuch auf den folgenden Morgen und beschließen den späten Nachmittag nochmal auf der Flussseite des Mahango zu verbringen. Ich muss auf jeden Fall heute noch einmal fahren, um meiner aufgekommenen Unsicherheit entgegenzuwirken und uns allen ist es wichtig, dass wir an diesem Tag noch ein paar positive Erlebnisse sammeln, die die Waage in ein gesünderes Gleichgewicht bringen.
Und so brechen wir kurz nach 16 Uhr noch einmal zu einem kurzen Gamedrive auf…
Wird fortgesetzt.