Die Sirena Ranger Station: Unser kleines Abenteuer
Noch vor dem Morgengrauen raffen wir in der Pirate Cove unsere Habseligkeiten zusammen, was schnell geht, weil wir ja nur wenig Gepäck auf die Osa-Halbinsel mitnehmen konnten. Beim Frühstück sind wir dennoch nicht alleine, denn in Costa Rica beginnt der Tag fast immer zeitig.
Unsere Agentur hat am Tag zuvor Kontakt zu uns aufgenommen und gefragt, ob alles läuft. Offenbar hat sie Sorge, dass der von uns privat über einen lokalen Anbieter gebuchte Overnight-Stay im Corcovado Schwierigkeiten bringen oder wir verloren gehen könnten, und ich finde diese Fürsorge sehr positiv. Sie ist allerdings glücklicherweise unnötig, denn auch besagter lokaler Veranstalter hat sich am Vorabend bei der Betreiberin der Pirate Cove gemeldet, die ihn zudem gut kennt, und Instruktionen hinterlassen. Und so harren wir also ziemlich entspannt der Dinge, die da wohl kommen mögen.
Sie kommen in Form eines jungen "Ticos" in der typischen Kluft eines Guides, sein suchender Blick verrät, wir sind wohl die Adressaten. Er stellt sich als "Chino" (=Chinese) vor, ein Spitzname wegen seiner leicht geschlitzten Augen. Sein echter Name bleibt uns unbekannt und spielt auch keine Rolle. Er hat die halbe Nacht im Bus gesessen, fragt in der Küche höflich nach einem kleinen Frühstück und freut sich glaubhaft auf die eineinhalb Tage mit uns - er ist uns auf Anhieb sympathisch.
Schließlich schultern wir unsere Rucksäcke, laufen die kleine Strecke am Strand entlang zum Dorf in der Bahia Drake und besteigen dort ein kleines Boot, das uns gemeinsam mit einigen Tagesausflüglern mitten im Nationalpark Corcovado absetzen wird. Die Morgenstimmung ist fantastisch und ich freue mich riesig auf dieses kleine Abenteuer mitsamt Übernachtung in der Sirena Station, das ich mir schon vor Jahren in den Kopf gesetzt hatte.
Etwas mehr als eine Stunde düsen wir entlang der herrlich grünen und wilden Küste. Dieser Nationalpark, so denke ich bei mir, hat diese Bezeichnung auch wirklich verdient.
Es kommt zu einer leichten Verzögerung, und das aus gutem Grund: Unterwegs kreuzt unverhofft ein Buckelwal nebst Nachwuchs unsere Wege.
Das Jungtier ist verspielt und lässt sich sogar zu großen Sprüngen hinreißen. Ein Spektakel, das wir noch nie beobachten konnten. Doch weil auch die Begeisterung der anderen Passagiere sprichwörtlich überbordend ist, gerät das Boot ziemlich ins Wanken und das mögliche Foto leider daneben.
Schließlich sind wir da. Nach einer nassen Landung an einem einsamen, breiten Sandstrand schlagen wir zunächst den Weg zur Sirena Station ein, um unser Gepäck abzuladen. Die halbe Stunde dorthin wird gleich zur Pirsch - toll, was es alles zu sehen gibt, und die Geräuschkulisse tut ihr Übriges.
In diesem zentralen, aber auch gut erschlossenen Teil des Nationalparks ist man zumindest tagsüber nicht unbedingt alleine. Einige Besucher kommen für eine Stippvisite und sind nach wenigen Stunden wieder weg. Aber morgens und abends (und damit zur besten Zeit) ist die Atmosphäre inmitten der eindrucksvollen Natur zauberhaft.
Totenkopfäffchen
Um in diesen besonderen Genuss zu kommen, braucht es eine Übernachtung. Was innerhalb des Parks nur in der Sirena Station möglich ist. Quer über eine Lichtung laufen wir zur Ranger Station, wo reges Treiben herrscht. Die vorherigen Gäste brechen gerade auf, die neuen - darunter wir - kommen an. Die Sonne scheint, die Stimmung ist entspannt, vor allem junge "Ticos", wir heben den Altersschnitt merklich an.
Die Gegebenheiten sind schlicht, aber sauber. Gemeinsame Waschräume, ein Campingdeck sowie eine überdachte Plattform mit reihenweise doppelstöckigen Betten, eins davon ist unser Zuhause für eine Nacht. Keine Wertgegenstände offen liegenlassen, wird uns eingeschärft, das ist aber auch klar. Frische Bettwäsche und ein Handtuch kosten ganz kleines Geld, wir gönnen uns außerdem den Luxus von zwei Spindschränken zu je fünf Dollar, in denen wir unsere Habseligkeiten problemlos unterkriegen. Nur meine Schlafklamotten schiebe ich schon einmal unter das dichte und makellose Moskitonetz und auf meine schmale, aber feste (halleluja!) Matratze im oberen Bett. Wer die klaut, ist selber schuld.
Ich fühle mich sofort wohl in dieser ungewöhnlichen Open-Air-Jugendherberge, eine kleine Oase inmitten des grünen, üppigen Regenwaldes.
Thomas dagegen fremdelt ein wenig mit dem friedlichen Chaos um uns herum. Wo nur die Akkus laden? Wo ist die Sonnenbrille, wo das Klo und wo die Taschenlampe, um selbiges später auch zu finden? (Eine überflüssige Sorge, das Licht geht per Bewegungsmelder automatisch an). Im Zweifel ganz unten im Spind suchen, in dessen Untiefen Kappen, Sonnencreme und Zahnbürste ein merkwürdiges Eigenleben entwickeln und grundsätzlich in der hintersten Ecke verschwinden. Murphy will es so, man kennt das...
Schließlich sind wir leidlich sortiert und können los. Chino scharrt schon mit den Hufen.
Die Sirena Station ist vor allem von Sekundärwald umringt. Eigentlich traurig für die Natur, erweist sich das als Segen bei der Suche nach Tieren. Die Bäume sind deutlich niedriger als die uralten Riesen, die sich von Zeit zu Zeit vor uns aufbauen.
Einer der verbliebenen Urwald-Riesen im Umfeld der Sirena Station.
Baum mit eigener Wehranlage
Chino kennt jeden Grashalm und jedes Sandkorn, erklärt viel und schweigt oft - eine wohltuende Mischung. Wir entfernen uns ein ganzes Stück von der Ranger Station und werden mit großartiger Landschaft und Stille belohnt.
Eine Aubergine? Nicht ganz! Dieser gut getarnte und etwas unkooperative Tapir bleibt der einzige, den wir im Corcovado entdecken.
Zum Mittag kehren wir kurz zurück, lassen die schweren Wanderschuhe wie alle anderen unten an den Holzstufen stehen. Das Essen ist erwartungsgemäß nicht der Rede wert, aber völlig in Ordnung, wir trinken literweise kaltes Wasser, das tut gut!
Auch am Nachmittag lassen wir uns viel Zeit, die dennoch zu verfliegen scheint. Die einsamen Strände haben es mir angetan...,
(okay, fast einsamen...)
...doch auch der dichte, schattige Wald ist faszinierend. Seine nicht selten vielfarbigen Bewohnern hören wir oft weit früher, als wir sie sehen.
Wagemutiger Klammeraffe
Gerade noch im Hellen kehren wir zur Station zurück. Tauschen am Spind unser Fotoequipment gegen Duschhandtücher und Shampoo. Das Wasser ist eine Wohltat. Ich genieße das kurze Gefühl der Frische, bevor ich mich von oben bis unten mit Repellent einsprühe. Lange Klamotten an, ein selbstzufriedenes Grinsen im Spiegel, die Dämmerung kommt - und ich bin verloren.
In der langen Schlange an der Essensausgabe werden wir gnadenlos überfallen. Wohl dem, der mich bei Insektenattacken an seiner Seite hat, denn ich biete als Zielobjekt Nummer eins anderen einen gewissen Schutz.
Schon im Tortuguero hatten mich ein paar Sandfliegen (=Sandmücken) erwischt. Doch das hier ist die reinste Invasion, Gegenwehr zwecklos. Die winzigen Viecher beißen durch die langen Klamotten, gefühlt überall, da hilft kein Klagen und kein Schlagen, nur die Flucht. Im Schweinsgalopp verschlinge ich meinen Salat und ein paar Kartoffeln, bevor ich endgültig kapituliere und mit fliegenden Fahnen unter mein Moskitonetz sprinte. Ein sicherer Hafen in der äußersten Ecke der Plattform, in dem ich mich erstaunlich gut aufgehoben und auch ziemlich wohl fühle.
Während sich Thomas im unteren Bett noch häuslich einrichtet, lausche ich glücklich den Dschungelgeräuschen und dem fernen Rauschen des Meeres. Schließlich stopfe ich mir die eigens mitgebrachten Stöpsel in die Ohren und falle in einen tiefen Schlaf. Die Brüllaffen, so denke ich, werden am Morgen unser natürlicher Wecker sein. Doch es soll anders kommen...