Zurück am Hotel stärken wir uns erst mal mit einem Fruchtsaft. Mittlerweile wurde auch unser Gruppenticket kopiert. Mit dieser machen wir uns auf den Weg zum Eingang der nördlichen Gruppe. Sicherheitshalber begleitet uns unserer lokaler Guide, falls es Schwierigkeiten gibt. Aber wir werden ohne Probleme durchgelassen. Nun können wir zu zweit in Ruhe das Areal erkunden. Wir haben nicht mehr vor, in die Kirchen zu gehen. Wir wollen eher das Ambiente in Ruhe nochmals genießen.
Schon bei der ersten Kirche Beta Medane Alem hören wir den typischen Gebetsgesang.
Wir steigen aus den Kirchenhof nach oben zum Bethlehem-Turm. Hier sitzen zwei Priester.
Diese erklären uns, das in der nur durch die Beta Debre Sina und die Debre Golgotakirche erreichbare und nur für Priester zugängliche Selassie-Kapelle ein hoher Würdenträger einen Gottesdienst hält.
Ob es sich wohl um jenen Würdenträger handelt, der gestern Abend ebenfalls im Restaurant unseres Hotels gespeist hat ? Unsere äthiopischen Guides jedenfalls sind bei seinem Anblick sofort aufgestanden und an seinen Tisch gegangen, um sich von ihm segnen zu lassen. Ein Verhalten, das sie bei „einfachen“ Priestern während unserer Besichtigungen nicht an den Tag gelegt haben.
Die Priester jedenfalls meinen, wir können ruhig zu diesen Kirchen gehen. Das wäre völlig in Ordnung. Aber vorher sollen wir doch noch auf den Felsbogen zwischen den Kirchen Beta Medane Alem und Beta Mariam laufen. Dort hätten wir einen guten Blick auf das Kirchengelände und auch auf die sich außerhalb verteilten Gläubigen, die mittels der Übertragung per Lautsprecher am Gottesdienst teilnehmen.
Tatsächlich sehen wir auch außerhalb des Kirchenkomplexes einige Gläubige in Gruppen unter Bäumen in Andacht versunken stehen.
Uns fällt auch auf, das heute nur 2-3 kleine Gruppen Touristen in der Anlage sind.
Zögerlich überlegen wir nach Verlassen des Kirchenhofes der Beta Mariam in Richtung der Kirchen zum Gottesdienst zu laufen oder das Areal zu verlassen und auf der Straße zur Kreuzkirche Beta Giyorgis zu gehen. Nach kurzer Überlegung siegt unser Respekt vor den Gläubigen und wir gehen zur Kreuzkirche. Hier sehen wir etliche Eidechsen auf den Felsen. Und irgendwie ist da plötzlich auch ein Moment, in dem die Sonne durch die Wolkendecke ein ganz besonderes Licht erzeugt. Die Fassade der Kirche ist überzogen mit Moos und wir bilden uns ein, dieses leuchtet plötzlich besonders intensiv.
Da heute sehr wenige Touristen unterwegs sind, können wir den Innenhof der Kirche ganz in Ruhe für uns genießen.
Auf dem Rückweg beschließen wir, durch den Turm mit Adams Grab doch noch mal zur Kirchengruppe um die Beta Debre Sina zu schauen. An der Mauer der Kirche lehnen immer noch Gläubige im Gebet versunken.
Als wir im Graben unterhalb der Steinbrücke durchgelaufen sind, die zum Eingang der Kirchen führt, strömen plötzlich die Gläubigen aus der Kirche. Wir bleiben etwa 15 Meter entfernt stehen und beobachten das Schauspiel, wie immer neue Menschen aus der Kirche treten, ihre Schuhe anziehen und sich über die kleine Steinbrücke zum Ausgang schieben.
Wir staunen, wie viele Leute da nach und nach aus der Kirche kommen. Ganz zum Schluss kommen sogar noch einige Touristen mit ihrem einheimischen Guide, die wir zuvor bei den ersten Kirchen schon gesehen haben, aus der Kirche. Nach diesem Erlebnis laufen wir durch die Gräben und Kirchhöfe zurück zum Eingang und weiter zum Hotel.
Nach dem Abendessen hat unsere Reiseleiterin noch einige einheimische Musiker und Tänzer/innen engagiert. Kein typischer Folkloreabend, hat sie uns versichert. Wir sind gespannt.
Vier Musiker sowie je zwei Tänzerinnen und Tänzer spielen für uns auf. Der Tanzstil des Eskista-Tanzes ist für uns faszinierend zu beobachten. Die Beinarbeit ist hierbei nicht so relevant. Entscheidend ist das Rollen und blitzschnelle ruckartige Schütteln mit den Schultern und dem Kopf. Hierbei entsteht eine unglaubliche Dynamik, die aber auch ein hohes Maß an Spannkraft im Oberkörper voraussetzt. Die Tänzer beherrschen dies perfekt. Das dies keine Folklore für Touris ist, merken wir schnell daran, das es weder unsere Guides noch die Bedienung an ihren Plätzen hält. Immer wieder mischen sie sich unter die Tänzer. Aber auch wir werden aufgefordert, mitzutanzen. Da meine Frau und ich vorne sitzen, werden wir immer wieder von verschiedenen Tänzer und Tänzerinnen auf die Tanzfläche geholt. Da wir nach dem Essen auch den einheimischen Honigwein Tej verkostet haben, (ab dem zweiten Schluck hat er uns geschmeckt) lassen wir uns nicht lange bitten. Unterbrochen werden die Tänze immer wieder von Liedern, die der lokal wohl sehr bekannte Chef der Musiker vorträgt. Er spielt dabei auf der traditionellen Massinko, einer einseitigen Fidel.
Dann sind wieder die Tänzer dran. Diesmal mit einem Sora-Tanz. Die Tänzer stehen sich gegenüber, beugen sich vor, so dass ihre Köpfe nebeneinander sind und dann wirbeln sie im Takt der Musik wild ihre Köpfe hin und her. Uns stockt der Atem, aber ihre Köpfe knallen nicht gegeneinander.
Am Nebentisch sitzt währenddessen eine italienische Reisegruppe und isst stoisch zu Abend, ohne die Musiker und Tänzer zu beachten. Auch einen demonstrativ bereits mit unseren Geldscheinen gefüllten Sammelkorb ignorieren sie. Als sie fertig gespeist haben, verlassen sie grußlos das Restaurant. Sehr zur Freude aller Äthiopier ausgerechnet, als ein Tänzer mit Schwert zum Adua-Lied einen wilden Tanz aufführt. Der Adua-Tanz hat wieder funktioniert und die Italiener in die Flucht geschlagen ! In Adua haben die Äthiopier unter Menelik II. im Jahr 1896 die italienische Armee besiegt. Der einzige Sieg einer traditionellen afrikanischen gegen eine moderne europäische Armee. Dieser Sieg sicherte die äthiopische Unabhängigkeit.
Jetzt drehen die Musiker und Tänzer richtig auf. Auch bei den Kellnern und Kellnerinnen gibt es kein Halten mehr. Alles tanzt. Selbst die Köchinnen haben ihre Küche verlassen und klatschen im Rhythmus mit. Auch wir sind jetzt endgültig nicht mehr zu halten und tanzen, was das Zeug hält.
Viel zu schnell geht die Zeit vorüber und irgendwann ertönt das letzte Lied. Zeit zu Bett zu gehen.
Morgen früh verlassen wir mit etwas schwerem Herzen Lalibela.