"Ich möcht ja schon lange mal nach Madagaskar, aber ich habe Kinder ...!"
Madagaskar, ein Tagebuch
10.07.12 Flug über Paris nach Antananarivo
Ein sachter, aber kontinuierlicher Druck baut sich in meiner Rückengegend auf, und wenn ich auch das Gefühl verspüre, die Geschwindigkeit sollte jetzt eigentlich ausreichen, so werde ich eines besseren belehrt und die Hightechbauten rund um den Pariser Flughafen Charles de Gaulle rasen immer schneller an unseren Fenstern vorbei. Erst jetzt hebt sich langsam die Spitze der mit rund 450 Personen voll besetzten Boing 777 "Air France" in die Höhe. Das Vibrieren der Räder unter unseren Sitzen verschwindet gänzlich und nun gibt es kein zurück. Die Maschine nimmt Kurs auf Antananarivo. Madagaskar wir kommen.
450 Pax'es, und fast alle haben sie ein Ziel: die einsamen Traumstrände von Nosy Ste. Marie, oder die Luxusbuchten von Nosy Be. Wer schon will denn ein armseliges, von Staats- und Wirtschaftskrisen durchgeschütteltes Land kennenlernen? Nur paar Wenige! Wer möchte denn sein Feriengeld den "wilden und unzivilisierten Piraten" im Süden Madagaskars opfern? ...noch immer liegt dieser süssliche Zitrusduft der Kabinenentkeimung in der Luft, jener Spraydosen, deren Inhalt das Personal so by the way in die Flugzeugumwelt entlässt und welcher sich danach in der Bauchgrube breitmacht. Ojeoje... auf was lassen wir uns da nur ein?!
Seine Internetseite ist seine Visitenkarte und die hat uns den Ärmel von Anfang an reingezogen. Klaus K.: "Ich möcht ja schon lange mal nach Madagaskar, aber ich habe Kinder..."! Genau dieser Slogan hat es uns angetan und uns nicht mehr losgelassen. Klaus ist unsere "dargebotene Hand", Mitorganisator und in der ersten Phase Wegbegleiter. Wir nennen ihn liebevoll Claude, passt irgendwie besser in diese Gegend. Ja, diesem Claude also haben wir mittlerweilen, nebst den happigen Flugkosten für 5 Personen, ein für uns kleineres Vermögen überwiesen. Unbekannterweise... gebürtiger Rumäne mit deutschen Wurzeln und mehrjährigem Frankreichaufenthalt!... ein mulmiges Gefühl macht sich in der Magengegend breit, ob er wohl einer jener "unzivilisierten Piraten" des Südens ist, ein neuzeitlicher Internetpirat...? Wir etwas gar leichtgläubige Vasaha’s (fremd aussehende)?
13 Stunden dauert unsere gesamte Flugzeit ab Zürich. Und "man" hat sich Di neben mich setzten lassen. Di, die sich zu Hause keine 5 Minuten ruhig halten lässt, auf einem Langstreckenflug in die Ungewissheit. Trotz ruhiger Fluglage verdoppelt sich das flaue Gefühl in meinem Magen blitzartig.
Die Hälfte der Flugzeit ist mittlerweilen verstrichen, und Di? Von der hab ich noch keinen Pips vernommen. Eigentlich kaum ein Wunder, das Flugi ist mit einer Bordelektronik vom feinsten ausgerüstet: Kino und Game-Konsole direkt im Vordersitz eingebaut. Ich lass es mal gut sein und gönn ihr die Unterhaltung, es wird ja wohl für längere Zeit das letzte Mal sein, dass ihre Pupillen zu kleinen Rechtecken verkommen.
Es ist mitten in der Nacht, Kinder allesamt geflasht durch die Glotze, als sich die schweren Schleusentüren unseres Raumschiffes öffnen. Ein leicht schwefliger nach Dieselruss und Petroleum riechender Gestank steigt in unsere vertrockneten Nasen. Nein, da ist keine Gangway vorhanden, schlichte Treppen verzieren den Ausgang an der Boing. Treppen, die hinaus zu einem kleinen Flughafen führen. Mich lässt erahnen was nun um diese späte Stunde noch so alles auf uns zukommen würde. Wie soll eine solche Infrastruktur den Bauchinhalt eines Grossraumjets verarbeiten? Zum ersten Mal in unserer neuen Welt dürfen wir erfahren, dass Zeit nun mal wirklich eine untergeordnete Rolle im Lebensrhythmus der Malagasy spielt. Einfach nur nicht stressen und mit der Ruhe, sonst stehst du nämlich bei den Einreisebestimmungen und Abfertigungen wieder hinten an. Zum Glück befinden wir uns im vorderen Drittel der 450 köpfigen Schlange und können so bereits nach einer Stunde die "Wartehalle" verlassen.
Und da steht er, "Claude", ein Bär von einem Mann, (ok, Bärchen). Grinsend über beide Backen hat er uns die ganze Zeit aus der Ferne beobachtet. Es sei jeweils eine seiner schönsten Freizeitbeschäftigungen, auf dem Flughafen seine neuen Gäste ausfindig zu machen und sie auf Distanz zu beschnuppern. Die Erleichterung unsererseits ist schon besonders gross und uns bestimmt anzusehen. Gut zu wissen, dass es ihn in Wirklichkeit gibt und er nicht bloss zu einer virtuellen Seifenblase verkommt, wir insofern nicht über’s Ohr gehauen wurden.
Noch ein kurzes Gerangel um die "Liegeplätze" im Hotelzimmer, das uns im Dämmerlicht ziemlich muffelig vorkommt. Spielt nun aber wirklich keine Rolle, die Betten sind gemacht, die starken, festen Matratzen piekfein mit Leintüchern verpackt... jetzt einfach nur noch die Augen schliessen, die Ruhe geniessen und einschlafen. Wir haben's geschafft.
Übrigens: Von Di hab ich die ganze Flugzeit über nichts vernommen... was für ein sonderbarer Wandel unserer jüngsten Tochter?!