Hallo Traudel, hallo Michael,
auch ich gehöre zu denen, die einige Projekte in Namibia unterstützen, zum einen aus den Motiven, die Du, Traudel, genannt hast, darüber hinaus aber auch über Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland, um denen eine Stimme zu verschaffen, die im Land keine haben. Und dennoch gehen mir immer auch die Gedanken nach, die Du, Michael, formuliert hast: zementieren wir damit ein System, deren Leidtragende eigentlich einen revolutionären Geist entwickeln müssten? Die Frage stellt sich für mich aber erst einmal nicht für ein fremdes Land, über das ich eigentlich gar nicht urteilen kann und vor allem auch nicht will, sondern mehr für uns selbst. Ich glaube nämlich nicht, dass wir in Deutschland staatliches Handeln nur ergänzen. Vielmehr bin ich der Meinung, dass wir hier bei uns einen ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag haben, bei dem der Staat Wunden schlägt, die Wohlstandsschere immer weiter auseinander driftet und gleichzeitig die Wohlfahrtsverbände und Kirchen durchaus großzügig alimentiert werden, um ein revolutionäres Potential nicht entstehen zu lassen. Ich schreibe das ganz bewusst als jemand, der von diesem Alimentationssystem profitiert und damit seinen Lebensunterhalt gut verdient, und gleichzeitig, je älter ich werde, darüber nachdenkt, ob ich mich wirklich für ein solches System instrumentalisieren lassen möchte. Ich bin da in den letzten Jahren verbitterter geworden, auch vor dem Hintergrund, den Patrick wie ich finde völlig richtig beschrieben hat. Da tue ich mich mit Hilfe in Namibia noch eher leichter, weil ich es schwierig finde, als saturierter Europäer jemand anderem Revolution als Therapie zu verschrieben. Da verstehe ich mich eher als Teil der einen Welt, der wenn er einen Kranken sieht, ihm eben auch die Wunden verbinden will. Systemisch ändert das nichts, personal schon. Aber dahinter steckt eben eine strategisch-ideologische Fragestellung, bei der ich selbst auch immer wieder hin und her gerissen bin.
Nachdenkliche Grüße
Martin