THEMA: Reisebericht: Mit Fahrrad, Bus und Zug durch Kuba
07 Aug 2020 12:00 #593225
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Campismo La Mula

Gegen Mittag erreiche ich den Campismo La Mula. Die Anlage liegt zwischen einem steinigen Strand und dem Rio La Mula. Auf dem schattigen Gelände verteilen sich etwa zwei Dutzend Cabañas (Hütten, Häuschen). Die meisten werden für Moneda Nacional (CUP) an Kubaner vermietet. Sie sind sehr spartanisch eingerichtet, die Gäste müssen Bettwäsche, Ventilator, Geschirr etc. selber mitbringen. Dafür kostet die Übernachtung nur ein paar Pesos.

Für ausländische Touristen gibt es spezielle ‚Devisenhäuschen‘, die mehr kosten und etwas mehr Komfort bieten. Für 8.50 CUC (mit Frühstück) bekomme ich eines der „Luxus“häuschen. Der Luxus besteht aus einer Toilette/Dusche, einem Ventilator, der Bettwäsche und einem Kühlschrank. Und der Hammer: Der Kühlschrank ist bis zum Rand mit kaltem Bier gefüllt. :woohoo: Was das bedeutet, kann nur nachvollziehen, wer schon mal mit dem Fahrrad nach La Mula gefahren ist.


Die Devisen-Cabaña


Mit kaltem Bier gefüllter Frio - Luxus pur

Leider funktioniert die Dusche nicht. Als ich die Rezeptionistin entsetzt anschaue meint sie mit einem Blick auf mein verschwitztes Äußeres:

„Chico, báñate en el río! El agua es muy rica“ (Junge, wasch dich im Fluß, das Wasser dort ist sehr gut.)

In Kuba gibt es für jedes Problem eine Lösung. :laugh:

Unweit des Campismo gibt es zum Baden geeignete Stellen im Fluss. Das Wasser ist klar und angenehm kühl. Der Rio La Mula dient den Einheimischen als Wasch- und Badeplatz. Ein Campesino schrubbt gerade sein Pferd, als ich dort ankomme. Dann seift er sich selber ein und springt zu seinem Pferd ins Wasser. Andere waschen ihre Kleider, oder planschen im Wasser herum. Ich habe meine Kernseife dabei und tue ebenso.

Dabei komme ich mit einem der Wäscher ins Gespräch. Er stammt aus Santiago und ist auf Familienbesuch in La Mula.

Nachdem ich ihm erzählt habe, wer ich bin und woher ich komme, was ich in Kuba mache, welchen Familienstand und wieviel Kinder ich habe, warnt er mich sehr eindringlich vor der Gefahr, überfallen und beraubt zu werden. Er sagt, dass es in dieser Gegend sehr wenig Polizisten gibt, und so ein Yuma (Ausländer) mit Fahrrad wäre eine attraktive Beute für die örtlichen Räuber. Er rät mir, mich nie allzuweit von meinem Fahrrad, oder meinen Sachen zu entfernen.

„Ten mucho cuidado“ (Sei sehr vorsichtig), sagt er mehrmals.

Diese Warnung passt irgendwie nicht in diese friedliche Landschaft, ich nehme mir trotzdem vor aufzupassen.


Campismo La Mula, Sonnenuntergang

Zum Sonnenuntergang setze ich mich an den Campismo-Strand. Er ist so steinig, dass es fast unmöglich ist, sich bequem hinzusetzen. Während die Sonne malerisch hinter den Ausläufern der Sierra Maestra verschwindet, versuche ich die zahlreichen Moskitos zu ignorieren, die sich hungrig auf mich stürzen. Außer dem Zirpen der Grillen, dem Summen der Insekten und dem gedämpften Donnern der Brandung, ist es ruhig und friedlich. Offensichtlich bin ich der einzige Gast im Campismo. Selbst die Angestellten sind längst nach Hause gegangen.

Dass es bisweilen lebhafter zugehen muss, beweisen die Abfälle, die am Strand herumliegen: leere Bierdosen, Rumflaschen und Verpackungen von Kondomen.

Schnell wird es dunkel. Ein bisschen unheimlich ist es schon, ganz alleine auf dem unbeleuchteten Gelände zu sein. Da ich heute bereits vor Überfällen gewarnt wurde, bin ich etwas sensibilisiert. Als ich zurück zu meinem Häuschen gehe, sehe ich immerhin im Eingangsbereich einen Wächter herumsitzen.

Leider hat meine Luxushütte kein Moskitonetz. Überall wo ich hinschaue, krabbelt geflügeltes und ungeflügeltes Getier herum. Als ich in einen Keks beiße, habe ich plötzlich Mund und Hand voller winziger Ameisen, die mich schmerzhaft attackieren.

Ich erschlage ein paar der fettesten Moskitos, die als blutiger Matsch an der Wand kleben bleiben. Als ich ein paar Minuten später nachschaue, sehe ich, dass die sterblichen Überreste der Moskitos von Miniameisen abgebaut werden, die in langen Kolonnen die Wände überqueren. Noch ein paar Minuten später, ist nichts mehr da. Perfektes Recycling. B)

Bevor ich ins Bett gehe, öle ich mich äußerlich dick mit Autan, und innerlich mit einer ordentlichen Portion Rum, ein. Dann stelle ich den Ventilator auf volle Pulle und versuche zu schlafen.
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10 Aug 2020 16:05 #593362
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La Mula - Marea del Portillo


Bei La Mula

Als der Campismo-Hahn zu krähen beginnt, ist es genau sieben Uhr. Einen Moment glaube ich, er säße direkt neben mir auf dem Kopfkissen und nicht zum ersten Mal frage ich mich, was diese verflixten Viecher eigentlich veranlasst, jeden Morgen so einen Krach zu veranstalten. Gut ist, dass ich früh loskomme. Heute möchte ich auf jeden Fall vor der großen Hitze des Tages aufbrechen.

Einer der Vorteile beim Radreisen ist, dass man nicht viel zu packen hat. Ich muss nur meine wenigen Sachen in den Satteltaschen verstauen, den Luftdruck der Reifen prüfen, und fertig. Duschen fällt wegen Wassermangel sowieso aus.

Der Cantinero (Kantinenwirt) hatte mir gestern versprochen, dass es um halb acht Uhr Frühstück geben soll. Im Campismo-Restaurant ist allerdings niemand zu sehen, alles ist verrammelt und dunkel. Ich gehe zum Rezeptionsgebäude. Auch hier keine Menschenseele. Ich klopfe gegen Türen und Fenster und rufe laut:

„Hola, hay alguien?“. (Hallo, ist hier jemand?)

Keine Antwort. Da fällt mir ein, dass ich gestern einen Guardia (Wachmann) beim Campismo-Eingang gesehen habe. Den muss ich allerdings erst wecken und seine schlaftrunkene Auskunft hilft auch nicht weiter:

„Es posible que alguien viene entre nueve y diez“ (Möglicherweise kommt jemand zwischen 9 und 10 Uhr)

Das heißt aber auch, es ist möglich, dass niemand kommt, oder, dass erst viel später jemand kommt.

So lange will ich nicht warten. Dann muss ich halt ohne Frühstück los. Blöder ist allerdings, dass ich nirgends Trinkwasser kaufen kann. Ich habe nur noch eine 1,5L Wasserflasche aus Chivirico. Das reicht nicht für den ganzen Tag und unterwegs wird es vermutlich nichts zu kaufen geben.

Hinter meiner Cabaña ragt eine Wasserleitung aus dem Boden. Es ist die einzige Möglichkeit, meine leeren Flaschen aufzufüllen. Da das Wasser vermutlich aus dem Rio La Mula stammt, in dem die Leute ihre Tiere, ihre Kleider und sich selbst waschen, und wer weiß was sonst noch einleiten, tue ich lieber ein paar Wasserdesinfektionstabletten (Micropur) dazu.

Und los geht’s.


Höhenprofil La Mula – Marea del Portillo

Mein Tagesziel ist das ca. 55km entfernte Marea del Portillo. Das Höhenprofil der heutigen Strecke zeigt vier Peaks. Sie sind nicht besonders hoch, sehen aber steil aus.

Ich folge zunächst einer ungeteerten Straße, voller Geröll und Schlaglöcher. Fahrtechnisch nicht besonders schwierig, aber ich muss mich permanent konzentrieren, um größeren Brocken und Löchern rechtzeitig auszuweichen. Zwischendurch gibt es geteerte Straßenabschnitte, dann wieder Strecken, die mal vor langer Zeit geteert waren, aber im Laufe der Jahre durch Erosion weitgehend entteert wurden.

Die Anstiege sind steil und knackig, aber gut zu schaffen, da sie nicht allzu lang sind. Der Himmel ist wolkenlos, die Sonne brennt, mein Wasserverbrauch ist hoch. Ich frage mich, ob das zum Problem werden könnte.



Aufgrund starker Unwetter und Steinstürze ist die Straße abschnittsweise schwer beschädigt. Nach jedem Hurrikan verschwindet ein Stück der Küste und die Straße ist oft tage- oder wochenlang unpassierbar.


WOW - Was für eine Landschaft!

Landschaftlich ist es zweifellos der schönste Streckenabschnitt der gesamten Küstenstraße. Wild, unzugänglich und mit wunderschönen Ausblicken auf einsame Buchten und auf ein strahlend blaues Meer.

Während des ganzen Tages begegnen mir nur zwei motorisierte Fahrzeuge. Hier zu sein, und das aus eigener Muskelkraft geschafft zu haben, ist ein berauschendes Gefühl.


Kubas Küste


Eingestürzter Tunnel


Abenteuerliche Straße entlang der kurvenreichen und wilden Küste



Radeln macht hungrig. Vor allem, wenn man, wie ich, ohne Frühstück gestartet ist, fällt man irgendwann in ein Leistungsloch. Plötzlich ist alle Energie weg und man bekommt einen Heißhunger auf Kohlehydrate und überhaupt auf alles Essbare. Dann hilft nur anhalten und etwas essen.

Unweit einer kleinen Ansiedlung setze ich mich in den Schatten einer Palme. Ich habe noch ein paar Kekse, ein Stück Käse und ein paar Schokoriegel im Gepäck. Dazu brühwarmes Campismo-Wasser aus dem Rio Mula.

Ich sitze nicht lange, da setzt sich ein älterer Campesino zu mir. Wie die meisten Menschen dieser Gegend ist er einfach gekleidet, in der Hand hält er eine Machete, auf dem Kopf sitzt ein Strohhut.

„Hola Compay“, beginnt er das Gespräch.

Ich biete ihm von meinem Proviant an, doch Kekse mit Käse will er nicht. Kann ich ihm auch nicht verdenken, der Käse ist seit Santiago schon mehrmals geschmolzen und sieht wenig vertrauenswürdig aus.

Wir reden ein bisschen über dies und das. Natürlich will auch er wissen, woher ich komme und wohin ich gehe, welche Nationalität ich habe, wie oft ich schon in Kuba war, ob ich verheiratet bin, wie viele Kinder ich habe und ob es in Deutschland wirklich so kalt ist.

In den Städten und den Touristengebieten Kubas kann es nerven, wenn man immer wieder die gleichen Fragen beantworten soll und die Gespräche oft nur auf eine Bettelei, ein Provisionsgeschäft, oder ähnliches hinauslaufen. Hier ist das nicht so, die Leute haben echtes Interesse an Kommunikation und freuen sich über die kleine Abwechslung, die ein Fremder in ihr Leben bringt.

Unser Gespräch dauert nicht lange, da lädt er mich zu sich nach Hause ein. Als wäre es das normalste der Welt, einen verschwitzten, käseessenden Fremden bei sich einzuquartieren, bietet er mir an, in seinem Haus ausruhen, zu übernachten, zu essen und meine Wasservorräte auffüllen. Er bietet mir alles an, was sein bescheidenes Leben erübrigen kann.

Aber wie schon tags zuvor in Uvero lehne ich die Einladung ab. Ich habe einfach noch zu viel Energie in den Knochen. Hätte ich diesmal die Einladung angenommen, wäre wahrscheinlich alles anders gekommen, nichts von dem wäre passiert, was wenige Stunden später passieren wird.

Aber frisches Trinkwasser brauche ich dringend. Das Rio La Mula Wasser hat inzwischen Badewassertemperaturen erreicht, und auch geschmacklich wird es immer grenzwertiger.

Wir gehen zu seinem nahegelegenen Haus, das auf einem schattigen Grundstück steht. Es ist ein hübscher Ort und unglaublich friedlich. Die Frau des Campesino begrüßt mich herzlich, als wären wir alte Bekannte und bringt mir eine 1,5 Liter Flasche Wasser.

B) Cool! Eiskaltes Wasser ist in dieser Gegend unerwarteter Luxus und genau das, was ich am dringendsten benötige.

Ich danke herzlich und strample weiter Richtung Osten.


Nach jedem Anstieg...


…folgt…


…das nächste Panorama.


Für den Fotografen in mir...


...ist die Gegend ein Eldorado.


Die letzte Abfahrt vor meinem Tagesziel Marea del Portillo

Irgendwann habe ich die letzte Höhe erklommen, das letzte Panorama bewundert und fotografiert ;), und vor mir liegt nur noch eine, letzte Abfahrt nach Marea del Portillo, meinem Tagesziel. Die Straße ist hier extrem schlecht, kurvig und abschüssig. Alte gesprungene Teerreste wechseln mit Schotter- und Geröll, tiefe Furchen und Schlaglöcher überziehen die Fahrbahn. Wegen der kaputten Oberfläche muss ich sehr konzentriert fahren. Ich darf den Blick keine Sekunde von der Straße abwenden. Da es bergab geht, lasse ich mein Fahrrad trotzdem ziemlich flott laufen. Ich genieße den kühlenden Gegenwind und freue mich schon auf ein kaltes Bier in Marea del Portillo.

Plötzlich reißt mir ein Windstoß den Hut (von La Abuela) vom Kopf. Reflexartig versuche ich mit der linken Hand danach zu greifen. Im selben Moment gerät mein Vorderrad in eine Spurrille, das Fahrrad kommt ins Schleudern. Da ich nur eine Hand am Lenker habe, kann ich es nicht abfangen. Ich werde im hohen Bogen auf die Straße geschleudert und schlittere mehrere Meter über Steine, Schotter, Teer. Ich spüre noch, wie Arme, Beine und auch mein Kinn über die raue Oberfläche schrammen.

Dann bleibe ich, kurz vor Marea del Portrillo, mitten auf der Straße liegen.
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Viva la Revolución ;)

Marea del Portillo

Langsam komme ich wieder zu mir. Mein Körper fühlt sich wie betäubt an, als hätte man mir ein Anästhetikum verabreicht. Erst als ich mich auf alle Viere hochkämpfe, kommen die Schmerzen. Es brennt überall und höllisch. Am schlimmsten hat es meinen rechten Arm erwischt. Ein handtellergroßes Stück Haut ist wie weggeraspelt. Eine weitere tiefe Wunde ziert mein linkes Knie. Von Kinn und Lippen tropft es rot auf mein T-Shirt. Überall an den Händen sind kleinere und größere Schürfwunden.

Ein Campesino, der den Sturz beobachtet hat, kommt auf mich zugerannt. Schon von weitem ruft er:

„Ay Dios mio, que pasó, que pasó…“ (Oh mein Gott, was ist passiert, was ist passiert)

Zu dem Zeitpunkt muss ich ein erschreckendes Bild abgegeben haben. Ich hüpfe mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Straße herum, überall Blut, und dazu mein „Ay ay ay“ (Au Au Au) Geschrei. Mein Fahrrad liegt ein paar Meter entfernt am Straßenrand, ein Teil des Gepäcks ist im Gelände verstreut.

Nachdem ich mich ein bisschen beruhigt habe, meint der Campesino, etwa einen Kilometer entfernt gäbe es ein Consultorio Medico (eine Art Miniklinik), und er würde mich dorthin bringen. Da ich noch zu benommen bin um etwas Sinnvolles zu tun, nimmt er mein Fahrrad und sammelt die verstreuten Gepäckstücke ein. Sogar der Hut von La Abuela aus Santiago ist dabei. Dann marschieren wir los. Er schiebt das Fahrrad, ich humple nebenher.

Tatsächlich habe ich Glück im Unglück, denn es ist nicht allzu weit bis zu dem Consultorio Medico. Auf der Veranda eines unscheinbaren, einstöckigen Gebäudes sitzen und stehen etwa 10 bis 12 Personen, hauptsächlich Frauen und Kinder. Als sie mich sehen, geht ein erschrecktes Murmeln durch die Wartenden. Eine Frau steht auf und bietet mir einen Platz auf einem Bänkchen an.

„Sientate! El medico viene pronto“ (Setz dich! Der Arzt kommt gleich) sagt sie.

Und dann:

„Que te pasó?“ „Un accidente?“ (Was ist mit dir passiert? Ein Unfall?)

Alle starren mich an, während ich antworte:

„Me caí con la bicicleta en la loma“ (Ich stürzte mit dem Fahrrad am Abhang)

Allgemeines Gemurmel:

„Ay, ay mi madre, que cosa, oye eso…“

Nach einer guten halben Stunde kommt der Arzt. Als Notfall darf ich als erster ins Untersuchungszimmer. Dort nimmt der Arzt zuerst meine Personalien auf, befragt mich nach dem Unfallhergang und notiert schließlich alles in Formularen.

Anschließend untersucht er mich auf innere Verletzungen und auf gebrochene Knochen. Zum Glück ist alles heil geblieben. Auch meine geplatzte Lippe muss nicht genäht werden. Er schreibt noch ein Rezept für ein Schmerzmittel auf, dann ist die Arbeit des Doktors getan.


Consultorio Medico

Zwei Enfermeras (Krankenschwestern) übernehmen die weitere Behandlung. Sie schrubben die verschmutzten Wunden mit Wasser und Kernseife aus. Zuerst die großen, dann die kleineren. Eine ziemlich schmerzhafte Prozedur. Jedes Mal, wenn ich aufstöhne, streichelt eine der Enfermeras mitleidig meine Schulter. Insgesamt zählen sie zwölf Schürfwunden. Zuletzt wird eine Salbe aufgetragen, Verbandsmaterial gibt es nicht. Ich soll morgen früh wiederkommen.

Die Behandlung ist kostenlos, was mich erstaunt. Zwar ist das kubanische Gesundheitssystem für Kubaner kostenlos, aber Ausländer werden in der Regel zur Kasse gebeten. Aber vielleicht ist das in dieser abgelegenen Ecke Kubas anders.


Mein Knie – Eine der zwölf Schürfwunden

Wer Blut sehen kann :woohoo: , für ein scharfes Bild HIER klicken

Als nächstes muss ich ein Zimmer suchen. Ich brauche dringend ein Bett und ein paar Stunden Ruhe. In Marea del Portrillo gibt es meines Wissens drei Casas Particulares. Eine davon ist die Casa Barbara. Der Vermieter betrachtet mich zuerst etwas verwundert, als ich in meiner blutverschmierten Kleidung und den offenen Wunden vor ihm stehe, aber nachdem ich ihm von meinem Unfall erzählt habe, bekomme ich ein nettes, kleines Zimmer mit Terrasse.

Ich lege mich sofort hin und versuche zu schlafen. Nachts wache ich immer wieder auf. Jedes Mal, wenn ich mich im Schlaf drehe und dabei mit meinen offenen Wunden etwas berühre, durchfährt mich heftiger Schmerz.


Die Casa Barbara verfügt sogar über einen Fitnessbereich, für mich momentan eher uninteressant… ;)

Marea del Portrillo ist ein kleines Nest. Es gibt ein paar staubige Straßen, einen Dorfladen, ein oder zwei Restaurants und das Minikrankenhaus. Vielmehr kann ich nicht entdecken. Als ich am nächsten Tag in den kleinen Dorfladen komme um Wasser zu kaufen, höre ich eine Kundin zur Verkäuferin sagen:

„Mira, ese es el que cayó en la loma“ (Schau mal, das ist der, der am Hang gestürzt ist)

Diesen Satz höre ich in Marea del Portillo noch ein paar Male. Offenbar hat sich das Ereignis herumgesprochen und ich bin zu einer lokalen Berühmtheit geworden.

Die Verkäuferin mustert mich von oben bis unten und sagt dann:

„Ayayayayai“ (Ohjeohjeohje) :)


Campesinos

Während der nächsten zwei Tagen gehe ich jeweils morgens und abends zum Consultorio. Die Behandlungsprozedur wiederholt sich jedes Mal. Meine Wunden werden kräftig geschrubbt und mit Salbe eingestrichen. Verbandsmaterial gibt es nicht. Das hat den Vorteil, dass die Verletzungen an der frischen Luft besser heilen, aber den Nachteil, dass der Staub der Straße ungehindert eindringen kann und, was fast noch unangenehmer ist, ich muss ständig winzig kleine Fliegen abwehren, die sich durch das rohe Fleisch magisch angezogen fühlen.


Ostkuba - Zuckerrohrfelder

Am dritten Tag beschließe ich ins etwa 20 km entfernte Pilon weiter zu ziehen. Pilon hat ein größeres Krankenhaus und ich hoffe dort Verbandsmaterial zu bekommen. Als ich versuche mit dem Fahrrad zu fahren, merke ich sofort, dass ich das nicht packe. Es ist zu schmerzhaft. Bei jeder Bodenunebenheit könnte ich laut aufschreien. Und dann ist da noch der Schweiß, der in die Wunden läuft und höllisch brennt.

Mein Zimmervermieter besorgt einen uralten Lada mit Gepäckträger, der mich mitsamt Fahrrad nach Pilon bringt.
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Pilón

Pilón ist mit rund 30000 Einwohner eine Kleinstadt und in dieser dünnbevölkerten Gegend quasi das Zentrum der Zivilisation. Es gibt zwei oder drei Minisupermärkte, eine Bank, einen Terminal de Autobus (Busbahnhof), ein Hospital und einen schattigen Parque mitten im Zentrum.


Pilón

In der Casa Dalia werde ich schon erwartet. Mein Casawirt aus Marea del Portillo hat mich angekündigt, so dass Dalia und ihr Mann über mich Bescheid wissen. Trotzdem muss ich die ganze Geschichte noch einmal erzählen, wobei sie meinen Bericht mit mitfühlenden „Ay, ay, ay“ und „Dios mio“ – Ausrufen kommentieren.

Dalia rät mir ab, das örtliche Krankenhaus aufzusuchen. Dort muss ich mit langen Warteschlangen, mangelnder Hygiene und unmotiviertem Personal rechnen und zudem sei die Behandlung für Ausländer teuer. Sie schlägt vor, eine befreundete Ärztin, die im Hospital arbeitet, könnte nach der Arbeit kommen und mich behandeln. Dann müsste ich nicht ins Hospital gehen. Das ist mir recht, denn auf Krankenhausbesuch habe ich tatsächlich keine große Lust. Von früheren Besuchen weiß ich, dass kubanische Krankenhäuser nicht zu den Orten gehören, die man freiwillig gerne besucht.

Am Abend kommt Doctora und untersucht meine Verletzungen. In den vergangenen Tagen hat sich auf den Wundflächen ein weißer Fibrinbelag gebildet. Der muss weg, sagt Doctora, da sich darunter Infektionen bilden können.

Sie streift sich ein Paar Gummihandschuhe über und beginnt mit der Behandlung. Dazu packt sie in braunes Packpapier eingewickelte Stoffstückchen und eine Kernseife aus. Zuerst seift sie die Wunden kräftig ein, dann bearbeitet sie mit den Stoffstückchen den Fibrinbelag. Leider ist der ziemlich zäh und Doctora muss, zu meinem Leidwesen, ganz schön schrubben.

Dalia, die auch unbedingt etwas zu meiner Genesung beitragen will, hat derweil aus Blätter und Kräuter einen Sud zubereitet, den sie mir fast kochend über Arme und Beine schüttet.

„Esto desinfecta la herida“ (Das desinfiziert die Wunde) sagt sie und tätschelt mir beruhigend den Arm, als ich aufstöhne.

Ich könnte bei der Behandlung der beiden vor Schmerz an die Decke gehen, aber es ist die einzige Option, die ich im Moment habe. Diese Prozedur wiederholen sie zweimal am Tag, drei Tage lang.


Arztbesuch

Während der folgenden Tage kümmern sich Dalia und ihr Mann um mich, fast, als wäre ich Teil der Familie. Dalia lässt es sich nicht nehmen, zweimal am Tag ihren heilenden Sud aufzukochen und mir über Arme und Beine zu schütten. Sie laden mich zum Mittagessen ein, machen Einkäufe für mich, waschen meine Wäsche, bringen ständig Kaffee und helfen bei der Wundversorgung, die ich ab dem dritten Tag selber übernehme. Und das alles nicht gegen Extrabezahlung, sondern einfach, weil sie gute Menschen sind.

Mein Zimmer liegt etwas entfernt vom Wohnhaus an einem kleinen Innenhof. Tagsüber kann ich im Schatten der Bäume sitzen und mich mit Dalia, oder irgendwelchen Besuchern unterhalten, die gelegentlich vorbeikommen. Nur eine Sache macht mir zu schaffen. Jeden Morgen, ab etwa vier Uhr, kräht ein Hahn in Nachbars Garten, als würde er dafür bezahlt. Wieder und immer wieder. Nur durch eine dünne Steinmauer getrennt, ist er fast so laut, als säße er in meinem Zimmer. Weiter entfernt wohnende Hähne nehmen den Ruf auf, noch weiter entfernt wohnende Hähne antworten. So geht das reihum, bis mein Hahn wieder an der Reihe ist. Trotz Klopapier in den Ohren ist da an Schlaf nicht mehr zu denken.

Als ich Dalia daraufhin anspreche, zuckt sie nur mit den Schultern und sagt:

„No puedo hacer nada, es el gallo del vecino“ (Ich kann nichts machen, es ist der Hahn des Nachbarn)

Die Leute scheint das nicht zu stören. Mich würde es allmählich zum Wahnsinn treiben, wenn ich hier leben müsste.

Warum man in Kuba überall Schlange stehen muss

Jeden Nachmittag, wenn die Sonne schon deutlich tiefer steht, mache ich einen Spaziergang zum zentralen Park. Der Park ist eine WiFi-Area, also ein Ort, an dem man Zugang zum Internet haben kann. Abgesehen von den größeren Touristenhotels, sind die WiFi-Areas die einzige Möglichkeit ins Internet zu kommen. Man findet sie meistens in Parks oder auf öffentlichen Plätzen. Man erkennt sie an der Vielzahl der Menschen, die dort mit ihren Smartphones, Tablets und Laptops herumsitzen und den Zugang nutzen. Je mehr Menschen sich an so einem Hotspot befinden, umso langsamer ist die Verbindung. Aber im Parque von Pilón gibt es nur wenige Internetnutzer, so dass ich stets eine (für kubanische Verhältnisse) flotte Verbindung habe.

Um ins Netz zu kommen, kauft man bei der ETECSA (kubanische Telekom) Internetzeit in Form von Guthabenkarten (Tarjetas de Navegación). 1 Stunde kostet 1 CUC. Da meine Karten alle aufgebraucht sind, gehe zur Verkaufsstelle der ETECSA um neue zu besorgen. Ich habe Glück, vor mir ist nur ein Kunde, also kein Schlangestehen. Das ist in Kuba alles andere als selbstverständlich, meistens muss man für die Tarjetas lange anstehen, oder sie für den doppelten Preis auf der Straße kaufen.

Doch zu früh gefreut. In Kuba geht selten etwas schnell. Die ETECSA-Angestellte, eine Dame mittleren Alters, ist damit beschäftigt, ein Bündel Geldscheine zu zählen. Sie betrachtet jeden einzelnen Schein von beiden Seiten, legt ihn dann auf den Tisch und streicht ihn sorgfältig glatt, dann kommt der nächste dran und so geht das Schein für Schein. Ihre Hände bewegen sich wie in Zeitlupe. Zuletzt schnürt sie das Bündel mit einem Band zusammen und legt es in eine Schublade. Sie tippt das Ergebnis ihrer Zählung in den Computer, betrachtet den Monitor, holt das Bündel wieder aus der Schublade, öffnet das Bändchen und beginnt von neuem zu zählen…

Ihr Telefon klingelt und sie unterbricht die Zählarbeit.

„Hola Mimi, cómo estás?“ (Hallo Mimi, wie geht es dir?)

Während sich hinter mir eine Warteschlange (Cola) bildet, die rasch länger wird, unterhält sie sich mit „Mimi“. Sie plaudern entspannt über ihre Pläne fürs Wochenende, über gemeinsame Bekannte und was weiß ich noch alles.

Nachdem sie das Telefonat mit Mimi beendet hat, zählt sie das Geld noch einmal durch. Das Bändchen drumherum und ab in die Schublade. Der Kunde vor mir bekommt seine Quittung und ich bin dran.

Für den Kauf der Internet-Tarjetas muss ich meinen Ausweis vorzeigen. Sie beginnt die Daten in ein Formular einzutippen. Dann fragt sie mich, welche Nationalität ich habe.

Ich sage: „Aleman“. (Deutsch)

Ein strahlendes Lächeln geht über ihr Gesicht. Sie greift ihr Smartphone und scrollt durch die Menüs. Stolz zeigt sie mir Fotos ihrer Familie:

„Mi hija, ella vive en Alemania, esta casada con un Aleman“ (Meine Tochter, sie lebt in Deutschland, sie ist mit einem Deutschen verheiratet)

Das kommt mir bekannt vor, es scheinen einige kubanische Töchter in Deutschland verheiratet zu sein. ;)

Während die Schlange hinter mir länger wird und die Eingangstüre erreicht, muss ich alle Fotos ihrer in Deutschland verheirateten Tochter ansehen und bewundern. Die ersten Wartenden verlassen bereits wieder das ETECSA-Büro. Aber niemand beschwert sich. Nur einer versucht sich vorzudrängen, wird aber mit einem scharfen „Espere!“ (Warte!) zurückgescheucht.

Lange Wartezeiten und Schlangestehen gehört zum Alltag in Kuba und meistens nehmen die Menschen es ohne zu murren hin. Endlich bekomme ich meine Internetkarten und bin froh, aus dem ETECSA-Büro herauszukommen.


Straßenfest in Pilón


Straßenfest in Pilón

Am dritten und letzten Abend schlendere ich ein letztes Mal durch Pilón. In zwei Wochen soll ein Volksfest stattfinden. Dafür werden schon die ersten Fressstände und Karussells aufgebaut. Es gibt gekochte Maiskolben, Chicharrónes (frittierte Schweinehaut), Cajitas (Pappschächtelchen mit Reis, Bohnen und Fleisch), und Krabbenspieße – eben alles, wonach das kulinarische Herz eines Pilóneros verlangt. Die frittierten Krabben sind tatsächlich lecker, bei den Chicharrónes halte ich mich zurück.

Morgen werde ich meine Radreise Fortsetzen. Da ich durch die unfreiwilligen Aufenthalte in Marea del Portillo und Pilón mehrere Tage verloren habe, muss ich die ursprünglich geplante Route etwas kürzen. Ich habe das Fahrrad nur für 15 Tage zur Verfügung und eine Verlängerung ist laut Vermieter nicht möglich. Ich streiche also den Abstecher über Niquero zu den Playas Coloradas und mache mich auf den direkten Weg nach Media Luna.
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23 Aug 2020 15:56 #593865
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Pilón - Media Luna

Um 6 Uhr klopft Dalia an meine Zimmertür:

„Desayuno“ (Frühstück)

Ich bin, dem nachbarlichen Hahn sei Dank, schon seit halb vier Uhr wach. Noch ein paar weitere Nächte und ich hätte ihm den Hals umgedreht. Gut daran ist, dass ich schon alles gepackt habe und mein Fahrrad abfahrbereit auf dem Hof steht.

Auch Dalias Mann ist aufgestanden, um mich zu verabschieden. Ich muss den beiden versprechen, mich bald zu melden und zu erzählen, wie es mir auf meiner weiteren Reise ergangen ist. Dann winken sie mir noch eine Weile hinterher, während ich langsam die holperige Straße Richtung Ortsausgang fahre.

Es war fast unmöglich gewesen, in Pilón Verbandsmaterial zu bekommen, weder im Hospital, noch in der Apotheke. Dalia gelang es nach einigen Telefonaten eine schon etwas angestaubte Mullbinde zu organisieren. Um Arm und Bein gewickelt hoffe ich damit die immer noch offenen Wunden vor Staub und Sonne zu schützen.



Pilon liegt schnell hinter mir. Das Sträßchen ist in gutem Zustand und zunächst eben. Ich bin froh, dass es endlich weitergeht. Ich werfe einen letzten Blick auf Pilón, das im dunstigen Licht der aufgehenden Morgensonne wie ein verschlafener Fischerort wirkt, was es ja auch ist.



Der erste Anstieg lässt nicht lange auf sich warten. Wenige Kilometer hinter Pilon windet sich die Straße in mehr oder weniger steilen Serpentinen den Berg hinauf. Wald wechselt mit Busch, dazwischen nackte Felsen, an die sich agavenartige Pflanzen klammern.

Nach den erzwungenen Ruhetagen freuen sich meine Beinmuskeln wieder aktiv sein zu dürfen. Ich trete trotz der Steigung flott in die Pedale. Dummerweise verrutschen durch die Bewegungen immer wieder die Verbände. Die Reibung ist schmerzhaft und auch der Schweiß, der in die Wunden läuft, ist alles andere als angenehm.

Irgendwann wickle ich die nutzlos gewordenen Verbände ab. Doch dann kommt ein neues Problem. Die kräftig gewordene Sonne brennt auf meinen aufgeschürften rechten Arm. Da die Sonnenbestrahlung noch unangenehmer als Reibung ist, wickle ich ein (sauberes) T-Shirt um den Arm. So geht es einigermaßen, aber angenehm ist etwas anderes.


Alto del Mareon – Gedenkminute für die Revolutionäre

Zweimal komme ich an revolutionären Gedenkstätten vorbei, La Aguadita und Alto del Mareon, wo Castro, Che Guevara & Co. einst die Revolution vorantrieben.


Landstraße zwischen Pilón und Media Luna

Nachdem ich die Ausläufer der Sierra Maestra überquert habe, führt mich eine schnurgerade Landstraße durch eine flache, offene Landschaft. Zuckerohrfelder bis an den Horizont, ab und an durchfahre ich kleine, bäuerliche Ortschaften.

Auch auf dieser Strecke sind nicht viele Fahrzeuge unterwegs. Aber nach der Einsamkeit der Küstenstraße kommt mir die Landstraße geradezu verkehrsreich vor. Anfangs begegnen mir hauptsächlich Pferdekarren, Kutschen und Reiter, später zunehmend auch motorisierte Fahrzeuge, Traktoren, Camiones und PKWs.

Da meine heutige Tages-Etappe nur etwa 45 km beträgt, habe ich reichlich Zeit und trödle vor mich hin. Ein paar Mal raste ich an schattigen Stellen und schaue dem Verkehr der Landstraße zu:


Auf der Landstraße zwischen Pilón und Media Luna


Öffentlicher Personennahverkehr


Auf der Landstraße zwischen Pilón und Media Luna


Maquina - Landstraße zwischen Pilón und Media Luna


Auf der Landstraße zwischen Pilón und Media Luna


Die Gebrüder Castro sind auch im hintersten Landeszipfel präsent



Media Luna

Trotz Trödelei und vieler Pausen erreiche ich mein Tagesziel schon gegen Mittag. Media Luna ist mir sofort sympathisch. Ein kleiner Ort, überschaubar, unspektakulär und untouristisch. Viele Häuser sind aus Holz gebaut und haben luftige Veranden. Das verleiht dem Ort etwas Karibik-Charme.


Media Luna



Media Luna hat auch einen hübschen Parque mit einem verspielten Pavillon und schattigen Bäumen, unter denen man die Hitze des Nachmittags gut aushalten kann.

In der einzigen Casa Particular des Ortes bekomme ich problemlos ein Zimmer. Das Haus hat eine Terrasse mit Schaukelstühlen auf der man gemütlich abhängen und dem Treiben auf der Straße zuschauen kann.


Casa Paricular El Almendro in Media Luna

Pedro, mein Zimmervermieter, erzählt, dass ich seit über zwei Wochen sein erster Gast sei. Media Luna liegt nicht gerade an den gängigen Touristenrouten und außerdem ist zurzeit keine Saison. Manchmal übernachten Radfahrer in seinem Haus, die wie ich die Küstenstraße entlangfahren, oder Touristen, die individuell mit dem PKW unterwegs sind.

Da wird mir bewusst, dass ich, seit ich Santiago verlassen habe, nur zwei Ausländer gesehen habe. Der erste kam mir unweit von Chivirico (bei der kaputten Brücke) entgegen, ein Profi-Radler, durchtrainiert und mit Hightech-Ausrüstung. Er war so schnell an mir vorbei, dass ich kaum „hola“ hinterherrufen konnte, den zweiten sah ich im Wifi-Parque in Pilón.


Media Luna

Media Luna hat sogar einen Strand. La Doctora aus Pilón gab mir den Rat mit auf den Weg, ich solle wo immer möglich, im Meer baden, das Salzwasser würde den Heilungsprozess beschleunigen.

Also, vamos a la playa.

Ich radle einen staubigen Feldweg Richtung Strand. Plötzlich sehe ich eine Ansammlung von Menschen, die einen Reiter anfeuern, der in mörderischem Tempo auf ein Drahtseil zureitet, das in etwa zwei Meter Höhe über den Weg gespannt ist. An dem Draht sind nebeneinander drei Ringe befestigt. Der Reiter versucht in vollem Galopp einen bleistiftgroßen Stift durch einen der Ringe zu stoßen. Das sieht unheimlich schwierig aus, und muss tatsächlich noch viel schwieriger sein.

Das Publikum hat seinen Spaß. Die Guajiros (Landvolk) wetten, trinken Rum aus Plastikbechern und johlen und schreien jedes Mal, wenn sich ein Reiter in hohem Tempo den Ringen nähert.


Reiterspiele in Media Luna


Ein bleistiftgroßer Stift muss durch einen der Ringe gestoßen werden

Ich schaue dem wilden Treiben eine Weile zu, doch dann brennt mir die Sonne zu sehr auf den Schädel und ich fahre weiter zum Strand. Der ist klein, fast menschenleer und wird es wohl nie in die Liga berühmter Strände Kubas schaffen, aber um etwas im Wasser herum zu planschen und meine Wunden vom Schmutz des Tages zu reinigen, ist es perfekt.

Während ich im Wasser plansche kommt eine Familie mit kleinen Kindern vorbei. Ich höre, wie die Mutter zu den Kindern sagt:

„Mira, mira un turista“ (Schau, schau ein Tourist)

Ich muss grinsen. :lol: Viele Touristen scheinen sich tatsächlich nicht nach Media Luna zu verirren.

Auf dem Rückweg zur Casa mache ich einen Stopp in der Cafeteria El Sudito. Der lange und heiße Tag hat mich durstig gemacht und dagegen hilft kaltes Bier bekanntlich am besten. Es ist eine staatliche Cafeteria und dementsprechend bescheiden ist das Angebot: Bier, Rum, Zigarren und Zigaretten und von allem nur eine Sorte.

An den Tischen sitzen Campesinos, auf den Tischen steht Presidente-Bier. Ich hole mir auch ein Presidente-Bier und setze mich an einen freien Tisch. Das Bier schmeckt etwas wässrig, ist aber schön kalt. Obwohl ich in dieser Umgebung recht exotisch wirken muss, beachtet mich niemand. Die meisten trinken schweigend ihre Cerveza.

Ich sehe, wie ein älterer, wettergegerbter Mann zum Tresen geht und sich fünf Päckchen Criollos sin filtro (filterlose Zigaretten) geben lässt. Er riecht nacheinander an allen Päckchen und wählt dann eines aus. Die anderen gibt er dem Cantinero zurück.

Ein anderer Gast bekommt ein großes Glas Rum. Er nimmt einen tiefen Schluck, schüttet den Rest in die hohle Hand und reibt sich damit Gesicht und Arme ein. Sichtlich erfrischt verlässt er das Lokal.

Und ich bestelle noch ein Presidente. B)
Letzte Änderung: 23 Aug 2020 16:17 von Gu-ko.
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Manzanillo - Bartolomé Masó

Am nächsten Morgen bin ich wieder mal früh auf den Beinen. Es ist noch dunkel und nicht einmal die Hähne krähen, als ich im engen Treppenhaus meiner Casa das Fahrrad bepacke. Die ersten Sonnenstrahlen streichen über das noch schläfrige Städtchen, als ich Manzanillo verlasse. Doch mit der Schläfrigkeit ist es bald vorbei. Als ich auf die Straße Richtung Bayamo stoße, herrscht dort trotz der frühen Stunde reger Verkehr. Menschen fahren, oder laufen zur Arbeit, LKWs, Busse und landwirtschaftliche Fahrzeuge überholen mich mit dröhnenden und rußenden Motoren.


Manzanillo – der erste Fahrradweg, den ich in Kuba gesehen habe

Aber, Kuba ist immer für eine Überraschung gut. Zum ersten Mal komme ich in den Genuss eines Fahrradweges. Ich wusste bislang nicht einmal, dass es so etwas in Kuba überhaupt gibt. Allerdings ist der Radweg eine abenteuerliche Angelegenheit voller Löcher und Bodenwellen. Radfahrer sind zwar vor dem recht dichten Verkehr geschützt, müssen aber gut aufpassen, nicht in einer der zahlreichen Furchen und Rillen hängen zu bleiben.


Straße Manzanillo - Bayamo

Auf Schildern wird immer wieder vor gefährlichen Streckenabschnitten gewarnt. Man bekommt die Zahl der Unfälle, Toten und Verletzten mitgeteilt. Ob es die Fahrweise positiv beeinflusst, weiß ich nicht.


Bei Sonnenaufgang verlasse ich Manzanillo

Eine erste Pause mache ich in Yara. Yara ist ein kleines Städtchen auf halben Weg zwischen Manzanillo und Bayamo. Hier zweigt die Straße nach Bartolomé Masó, meinem heutigen Tagesziel, ab.

Inzwischen bin ich mächtig durstig geworden und auch mein Magen knurrt hörbar. Das Frühstück heute Morgen in der Casa in Manzanillo war mehr als kärglich gewesen.

An der Hauptstraße sehe ich einige Stände mit Bocaditos (Sandwich) und einen Guarapo-Stand. Guarapo ist der aus frisch geschnittenem Zuckerrohr gewonnene Zuckerrohrsaft. Mittels einer Zuckerrohrpresse, die gleich hinter dem Verkaufsstand steht, wird der Guarapo frisch gepresst. Dabei wird das Zuckerrohr mehrmals zwischen zwei Walzrädern hindurchgezogen, bis kein Tropfen mehr herauskommt. Das Ergebnis ist ein milchiges, süßlich schmeckendes Getränk, das, mit geschreddertem Eis gekühlt, für 0,5 – 1 Peso MN (CUP), also etwa 0,03 € - 0,06 € verkauft wird.


Guarapopresse

Mir klebt von der staubigen Landstraße die Zunge am Gaumen und ich stürze mich zuallererst auf den Guarapo-Stand. Der Guarapo schmeckt so köstlich, dass ich erst nach dem fünften oder sechsten Glas aufhören kann zu trinken. Da der Zuckerrohrsaft mit Eis vermischt wird, hoffe ich, dass das Eis sauber ist. Ich vertraue mal meinem robusten Magen.

Die Verkäuferin strahlt mich an:

„Con eso tienes energía para todo el día“ (Das gibt dir Energie für den ganzen Tag)

Ein Campesino grinst mich an und ergänzt:

„Y por toda la noche“ (Auch für die ganze Nacht)

Alle Anwesenden kichern.

In Kuba gilt Guarapo als Wunder- und Heilmittel für alles Mögliche. Kubanische Männer schwören auf eine aphrodisierende und leistungssteigende Wirkung, für andere ist es ein Lebenselixier schlechthin. Für einen durstigen Radfahrer ist ein eiskalter Guarapo das Beste was ihm an einem heißen Tag passieren kann.

Da ich jetzt tatsächlich vor Energie strotze B), lege ich die letzten 20 km bis Bartolomé Masó ohne weitere Pausen zurück. Die Strecke ist wieder angenehmer zu fahren, kaum Verkehr und immer die Sierra Maestra vor Augen.


Landstraße nach Bartolomé Masó


Landstraße nach Bartolomé Masó

Bartolomé Masó

Bartolomé Masó ist ein Städtchen am Rande der Sierra Maestra. Nach der Einsamkeit der Landstraße wirkt Masó quirlig und voller Leben, aber tatsächlich ist es ein kleines Nest mit einer Central Azucarera (Zuckerfabrik), ein paar kioskartigen Geschäften entlang der Hauptstraße und dem Hotel Balcon de la Sierra.

Von Maso aus sind es nur noch 23 km bis Santo Domingo, bzw. bis zum Nationalpark Turquino, eine der unwegsamsten Gegenden Kubas. Im Nationalpark liegt die höchste Erhebung des Landes, der Pico Turquino. Von dem verschlafenen Bergdorf Santo Domingo aus kann man Wanderungen zur Comandancia de la Plata machen, der ehemaligen Kommandozentrale der kubanischen Revolutionäre. Unter anderen waren hier Ché Guevara und die Castro-Brüder Fidel und Raul.


Die Ausläufer der Sierra Maestra bei Bartolomé Masó

Ich bin vor ein paar Jahren schon einmal mit dem Fahrrad von Bartolomé Masó nach Santo Domingo gefahren. Das war, was Steilheit anbelangt, eine der extremsten Strecken, die ich jemals mit dem Fahrrad bewältigt habe. Damals beschrieb ich die Tour in einem Reisebericht wie folgt:

„Um es kurz zu machen, die ersten 15 km sind relativ locker zu fahren, mal geht’s hoch, dann wieder runter, durch eine faszinierende Berglandschaft. Dass es die Sierra in sich hat, wird mir auf den letzten sieben Kilometer vor Santo Domingo unmissverständlich klar. Was da kommt, sind keine ‚lomas‘ (Hügel), das ist Schinderei vom Feinsten. Ein Anstieg nach dem anderen, einer fieser als der andere. Dazu knallt die Sonne genau von vorne. Habe ich einen Anstieg geschafft, geht’s steil bergab und gleich dahinter ebenso steil wieder hoch. Der Straßenbelag besteht aus waschbrettartigem Beton, ansonsten hätten die Fahrzeuge mit ihren oft abgefahrenen Reifen keine Chance.

Schließlich wird es so steil, dass ich schieben muss. Aber selbst das Schieben des beladenen Fahrrades ist unglaublich anstrengend und schweißtreibend. Während ich mich dem Ende meiner Kräfte nähere, taucht plötzlich ein Campesino („Cuido animales“) wie aus dem Nichts auf und ohne viele Worte zu verlieren hilft er mir beim Schieben. Während wir eine Pause machen erzählt er von Unfällen, die sich auf der Strecke in den letzten Jahren ereignet hatten, vor allem Camiones (LKWs), deren Bremsen versagten. Wir essen Käse und Brot aus Maso, dann verschwindet er auf einem schmalen, steilen Trampelpfad.“


Diesmal werde ich mir diese Schinderei nicht antun. Stattdessen fahre ich zum einzigen Hotel und checke dort ein. Das Hotel Balcon de La Sierra ist eine angenehme Überraschung. Es liegt am Rande des Städtchens auf einer Anhöhe und man hat von dort einen phantastischen Blick auf die Berge. Für 15 CUC bekomme ich einen kompletten Bungalow, mit zwei Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche. Was will man mehr?


Hotel Balcon de La Sierra

Etwas oberhalb der Bungalows befindet sich eine Hotel-Bar mit Swimmingpool. Der Pool ist zwar wegen was auch immer geschlossen, aber von dort hat man die beste Aussicht auf die Umgebung. Links, die Gebirgsketten der Sierra, auf der rechten Seite weites Land, aus dem mehrere kegelförmige Bergen ragen.


Hotel Balcon de La Sierra – Sundowner zum Sunset

Der Tag verabschiedet sich zu einem prächtigen Sonnenuntergang, den ich bei einem Sundowner genieße. Später entstehen noch seltsame Lichterscheinungen am dunkler werdenden Himmel.




Seltsame Lichterscheinungen nach Sonnenuntergang
Letzte Änderung: 30 Aug 2020 19:52 von Gu-ko.
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