Lieber Peter,
hoffentlich bist du gesund und erholt zurück!
Inzwischen fand ich Zeit, das Buch zu lesen und möchte dir herzlich danken, dass du dir die Mühe gemacht hast, dieses Dokument dem Vergessen in einem Archiv zu entreißen, dass du die Schauplätze selbst besucht und fotografiert hast, dass du dem Tagebuch interessante Bilder und Anmerkungen zur Seite gestellt hast. Stuhlmanns Schrift ist es wert, gelesen zu werden, denn sie wirft einen ganz eigenen und großenteils sehr realistischen, ungeschönten Blick auf die damaligen Geschehnisse.
Eine/r meiner Vorschreiber/innen hat geäußert: „…der Inhalt ist für mich schockierend und eröffnet schonungslose, mir bisher nicht bekannte Einblicke, wie zu damaligen Zeiten mit Menschen und Tieren umgegangen wurde und wie grausam der Krieg auf beiden Seiten geführt wurde.“
Warum sollte man darüber schockiert sein? Wann ist jemals ein Krieg nicht grausam geführt worden??? Wird in den heutigen Kriegen besser mit den Menschen umgegangen? Tiere sind ja zum Glück heutzutage kaum mehr in Kriege involviert. Der Unterschied liegt doch nur darin, dass damals noch häufig Mann gegen Mann gekämpft wurde und man die einzelnen Opfer direkt mitbekam, während heute Bomben mit einem Knopfdruck ausgelöst werden, und die zahllosen Opfer für den Piloten kein Gesicht haben.
Was mich erstaunt hat, ist jedoch, mit wie wenigen Leuten die deutsche Schutztruppe vorlieb nehmen musste und welche Erfolge sie trotzdem teilweise vorweisen konnte, wie prekär die Versorgung war, wie unwissend und unfähig die Befehlshaber in Berlin und Südwest teilweise agierten, wie willig und diszipliniert die Schutztruppler trotz aller Mängel handelten.
Manchmal wollte mir fast ein ironisches Lächeln auf die Lippen kommen, wenn von einem „Gefecht“ die Rede ist, und es doch immer nur wenige Schutztruppler sind, die da gegen die Einheimischen standhalten müssen, somit gibt es natürlich auch nur verhältnismäßig wenige Tote und Verwundete, die Stuhlmann alle namentlich kennt und auflistet. Verglichen mit Gefechten der Weltkriege z. B. nimmt sich dies aus wie Sandkastenspiele.
Wie wenige Soldaten es tatsächlich waren, merkt man im Buch immer wieder daran, dass fast jeder jeden kannte, was in einer richtigen Armee ja nicht der Fall ist. Umso schlimmer war es sicher, vom Tod der einem gut bekannten Kameraden zu hören.
Ja, Stuhlmann war ein leidenschaftlicher Berufssoldat, gierig auf Gefechte wie ein Fischer auf einen guten Fang, ohne Mitgefühl für die Toten, außer es waren Offizierskameraden – aber hat ein Jäger Mitgefühl für das Wild, das er schießt? Hätte ein Soldat anders gedacht, hätte er beim Militär nichts verloren gehabt.
Aber dahinter scheint auch der Mensch Stuhlmann hervor, ein genauer Beobachter aller Dinge, die um ihn herum vorgingen. Die Naturschönheiten beschreibt er teilweise direkt poetisch, kaum ein Ort, dem er nicht etwas Schönes abgewinnen kann; immer wieder erwähnt er, er sei an einem hübschen Plätzchen, wenn es ein Wasserloch gibt oder eine Anhöhe mit schöner Aussicht … wo mancher heutige Club-Tourist nur öde Wüste erkennt.
Sein Interesse an Südwest zeigt sich für mich auch darin, dass er unzählige Ortsnamen festhält, obwohl dies ja oft gar keine Ortschaften in unserem Sinne waren. Ich kann mir vorstellen, dass manch anderer Offizier nicht die geringste Ahnung hatte, wo er sich gerade befand, bzw. ihn dies auch nicht die Bohne interessierte.
Selbst als Stuhlmann Malaria-krank heimreist, unter Fieber, Schmerzen etc. leidet, verliert er nicht den Blick für die Natur, die Vielfalt der Völker in Aussehen, Kleidung und Religion sowie die jeweiligen politischen Verhältnisse trotz nur kurzer Aufenthalte an den einzelnen Stationen. Kann er aufgrund seiner Krankheit nicht selbst die Orte besuchen, lässt er sich erzählen, wie es dort zugeht.
Obwohl er sich als Offizier und Herr fühlt, hat er viel Respekt vor den Schutztrupplern, die schon länger als er im Lande sind und mehr (Afrika-)Erfahrung haben, selbst wenn sie im Rang unter ihm stehen. Er eifert ihnen nach und bezeichnet sich bald selbst als alten Afrikaner. Er betont, dass die Ärzte teilweise Übermenschliches leisten, und lobt in höchsten Tönen Mut, Charakterstärke, Zuverlässigkeit und Geschicklichkeit der altgedienten Soldaten.
Zwar blitzt immer wieder sein Stolz auf das Vaterland auf, z. B. ist er auf der Heimreise froh, nachdem er in den englischen Kolonien Station gemacht hatte, sich dann endlich in DOA, einer deutschen Kolonie, zu befinden, aber er erkennt mit unbestechlichem Blick auch die Mängel im deutschen System. Weitsichtig beschreibt er die Fehler der Befehlshaber, wie man es hätte besser machen können, gibt oft eine genaue Analyse dessen, was hätte erreicht werden können, er ist traurig über manch sinnlose Verschwendung von Menschen, Tieren und Material und kritisiert falsche Berichte in die Heimat über den Verlauf von Gefechten.
Somit ist er nicht nur ein dumpfer Empfehlsempfänger und –durchführer, sondern wäre meiner Meinung nach gut an höherer Stelle befähigt gewesen zu wirken – sicher besser als mancher von ihm portraitierte und kritisierte Befehlshaber. Immerhin erforderte es auch Mut, solche Dinge aufzuschreiben, denn man konnte nie wissen, in welche Hände so ein Tagebuch fallen würde.
„Natürlich“ hat Stuhlmann Vorurteile gegen alles, was nicht Deutsch ist – natürlich deswegen, weil man zu seiner Zeit und in seinem Stand so dachte, dies von Kind an so eingetrichtert bekam. Er äußert Ressentiments gegen Engländer, Buren, Amerikaner, Italiener … und natürlich auch Eingeborene jeder Art. Abschätzige Worte gegenüber den Schwarzen gebraucht er jedoch hauptsächlich, wo sie als Feinde agieren, ansonsten bewundert er auch die „stolze Haltung der Hereros und Owambos“ oder den „Wuchs der Herero-Frauen“.
Widersprüchlich sind auch seine Aussagen über Religion. Einerseits sagt er: „Kleinliche Religionsunterschiede, die daheim viel Staub aufwirbeln, kommen hier niemand in den Sinn.“ Andererseits lässt er kein gutes Haar an den katholischen Missionaren in Südwest. Allerdings belegt er meist diese seine negativen Meinungen mit Beispielen.
Es tut mir leid, dass dies nun selbst fast ein Roman geworden ist, aber ich bin wirklich fasziniert von diesem Buch und – ohne von Peter Provision zu bekommen
– hoffe ich, dass sich noch einige finden werden, die es lesen möchten.
Da auch ich keinen berufsmäßigen Lektor bemühen konnte, hoffe ich, dass mir die möglichen Schreibfehler nachgesehen werden.