Topobär schrieb:
Was wir dafür umso mehr sehen sind Rinder. Alle unbeaufsichtigt. Eine Einladung für jeden Löwen. Überhaupt haben wir im Nordwesten jede Menge unbeaufsichtigte Viehherden gesehen. Da ist es vorprogrammiert, dass sich die Löwen bedienen. Die Bequemlichkeit der Viehhalter hat einen großen Anteil am Mensch-Tier-Konflikt im Nordwesten Namibias. Das es auch anders geht zeigen die Massai in Kenia und Tansania. Da werden auch Rinder in Gebieten mit sehr großer Löwenpopulation gehalten. Die Herden werden jedoch permanent bewacht und nachts in einen gesicherten Kral getrieben.
Allerdings können wir uns in Deutschland wohl kaum mit erhobenem Zeigefinger über die Zustände in Namibia beschweren, denn bei uns sieht es nicht viel anders aus. Auch bei uns stehen nachts jede Menge Tiere unbeaufsichtigt auf den Weiden und wenn sich die Wölfe bedienen ist die Schreierei groß. Auch für uns in Deutschland finden sich Vorbilder, wie man es besser machen kann. In Rumänien gibt es erheblich mehr Raubtiere und auch mehr Nutztierherden. Dort werden aber die Herden auch heute noch bewacht. Meist durch Herdenschutzhunde.
Sorry für den Exkurs, aber dass musste mal gesagt werden. Wenn mich Dinge ärgern, muss ich sie loswerden.
Moin Thomas,
ich freue mich (als jemand, der hier eher selten Reiseberichte liest), dass ich über Deinen Reisebericht gestolpert bin, da Ihr einige Routenabschnitte gefahren seid, die wir im kommenden November auch (je nach Witterung/Niederschlag und wie wir uns so treiben lassen) in der Planung haben.
Zu Deinem Exkurs muss ich allerdings ein Statement abgeben (auch wenn das hier ein Reisebericht ist und kürzlich hier jemand schrieb, in Reiseberichten gäbe es nichts zu kommentieren), da es auch mir so geht, dass es raus muss, wenn ich mich über etwas ärgere:
Dein Vergleich zwischen Deutschland, Rumänien, Namibia und Kenia/Tansania in Bezug auf Nutztierhaltung beim Vorkommen von Raubtieren hinkt aus meiner Sicht leider gewaltig und es ist der klassische Vergleich von Äpfeln mit Birnen.
Die Tierhalter in Afrika und in Teilen auch in Südosteuropa betreiben häufig kleinste Subsistenzwirtschaften, die es den Familien gerade so ermöglichen zu überleben. Kleine Herden in Verbindung mit vielen Familienangehörigen ermöglichen sicherlich eine Tierhaltung, die auf 'Hirtentum' ausgelegt ist und dass somit konstant jemand unmittelbar bei den Tieren lebt. Da ist der Herdenschutz zum einen durch die bloße Anwesenheit schon relativ gut gegeben und hinzu kommt, dass die dortigen Raubtiere gelernt haben, dass der Mensch ein wehrhafter Gegner ist, dem man spätestens nach dem ersten schlechten Erlebnis aus dem Weg geht. Ein Massai wird bei der Bedrohung seiner Lebensgrundlage nicht lange fackeln, seinen Speer einzusetzen.
Im Gegensatz dazu hat der Wolf hier bei uns erheblich an Scheu vor dem Menschen verloren. Warum sollte er auch, denn er hat außer in die Hände klatschen und anderen Lautäußerungen nichts zu befürchten. Das Problem hier ist also in weiten Teilen, dass nicht nur der Mensch verlernt hat mit dem Wolf zu leben, sondern auch der Wolf verlernt hat, mit dem Menschen zu leben, die Nähe zum Menschen und seinen Siedlungen nicht mehr meidet.
Ich kann wohl behaupten, dass ich einen relativ guten Kontakt zu vielen Tierhaltern hier in Schleswig-Holstein habe. Insbesondere die Schafhalter sind hier ziemlich gekniffen und mit 'Schreierei, wenn sich die Wölfe bedienen' hat das herzlich wenig zu tun, wenn bei der morgendlichen Kontrolle wieder die ganze Herde verstört ist und Reste von gerissenen Tieren oder stark verletzte Tiere, die kurz vorm Verenden sind, herumliegen. Ich kenne Schafhalter, die mittlerweile aus psycischen Gründen Schwierigkeiten haben, morgens ihre Kontrollgänge zu machen, weil sie nie wissen, wann, wo und wie stark der Wolf wieder zuschlägt.
Ich hoffe, dass Du den Tierhaltern hierzulande einen 'ortsüblichen Lebensstandard' zugestehst, so dass die ganztägige Bewachung der Herde durch die Familie nicht zur Diskussion steht. Auch einen Kral (der ohne anwesenden Menschen auch nicht besonders viel bringt) hat nicht jeder Tierhalter auf jeder der verstreut liegenden Flächen … spätestens an diesem Punkt würde das deutsche Baurecht auch gelten und vermutlich gnadenlos zuschlagen.
Bei Schafhaltern, die überwiegend Deichschäferei betreiben (Küstenschutz, dazu komme ich gleich noch) reden wir über Herdengrößen von etwa 800 bis 1000 Mutterschafen (also zuzüglich der Lämmer, die geboren werden), die für ein halbwegs akzeptables Familieneinkommen erforderlich sind. Diese Anzahl Tiere wird natürlich nicht an einem Ort gehalten, sondern auf diversen Flächen in kleineren Teilherden, so dass naturgemäß nicht dauerhaft jemand vor Ort sein kann.
Bleiben die von Dir in Rumänien gesehenen Herdenschutzhunde.
Die Herdenschutzhunde lassen an ihre Flächen und Herden im Rahmen ihrer Möglichkeiten niemanden herankommen. Den Wolf nicht, fremde Menschen nicht und fremde Menschen mit Hunden schon mal gar nicht, da ist dann richtig Action, wie ich erleben durfte.
Wie soll das Deiner Ansicht nach funktionieren, wo doch in Deutschland der Hund des Menschen bester Freund ist, der vollwertiges Familienmitglied ist und sein Dasein nicht angekettet zur Bewachung von Haus und Hof fristet. Ich wohne ländlich und überschlage gerade im Kopf, wie viele Hundebesitzer Ihre tägliche Gassitour bei uns in der Landschaft machen. Das wären die ersten, die sich beschweren würden, wenn auf jeder Weide Herdenschutzhunde mitlaufen würden und jeglichen Publikumsverkehr verbellen würden.
Als Schleswig-Holsteiner muss ich in diesem Zusammenhang auch noch ein paar Gedanken zum Küstenschutz loswerden. Ca. ein Viertel unserer Landesfläche wird durch Deiche vor Überflutung geschützt. Die Deiche müssen zwingend durch Schafe beweidet werden, weil die Schafe durch ihr Fress- und Trittverhalten die Deiche verfestigen aber nicht schädigen. Nur dadurch können die Deiche ihre Schutzfunktion entfalten. Diese Deiche einzuzäunen ist schlicht nicht möglich, zumindest nicht von der Seeseite. Da diese Deiche und die Küste, an der sie naturgemäß liegen aber gleichzeitig touristische Hotspots sind, stehen wir spätestens dort vor dem Dilemma, dass sich Touristen, die Erholung suchen, nicht mit Einzäunungen nach 'Wolfstandard' und schon gar nicht mit Herdenschutzhunden vertragen.
Was machen wir also dort Deiner Meinung nach, denn wer eine Situation beklagt, muss auch Lösungsansätze liefern können.
Gruß und sorry für's OT
Henning