21. Kapitel: Aug in Aug mit dem Göttervogel
Wieder werden wir mit dem Prasseln des strömenden Regens wach. Die ganze Nacht hat es wohl durchgeregnet und noch immer ergießen sich wahre Sturzfluten vom Himmel herab. Dies wird sich in Drake Bay heute den ganzen Tag über nicht ändern, wie wir von anderen Lodge-Bewohnern, mit denen wir den gleichen Heimflug haben werden, später am Airport erfahren. Ein solcher Dauerregen ist für die Region durchaus ungewöhnlich zu dieser Jahreszeit.
Bei diesem Wetter fällt der Abschied uns nicht so schwer. Nach einem gewohnt guten Frühstück finalisieren wir das Zusammenpacken unserer Taschen. Die Lodge stellt uns zum Glück große Plastiksäcke zur Verfügung und so ist das Gepäck sicher gegen den Regen geschützt.
In Regenmontur warten wir bald auf das Bootstaxi, das uns zurück nach Sierpe bringen wird. Heute erscheint ein etwas größeres Boot in unserer Bucht und die schnelle Fahrt über See und Sierpe-Fluss fühlt sich dadurch trotz des Wetters ruhiger an. An die nassen Landungen und die damit einhergehenden Einstiegsschwierigkeiten haben wir uns so langsam gewöhnt. Die ganze Zeit über werden wir vom nicht nachlassen wollenden Regen begleitet und so sind im Boot alle Schotten dicht und keine nennenswerten Blicke nach außen möglich.
In Sierpe verladen wir unser Gepäck in unser Auto um, das unbeschadet und treu auf dem bewachten Parkplatz des „Las Vegas“ auf uns gewartet hat. Der Regen fällt in Sierpe nicht mit gleicher Vehemenz wie noch in Drake Bay und so geht das Umpacken mühelos über die Bühne.
Wir fahren auf der Küstenstraße 34 zurück gen Norden an Uvita vorbei und biegen dann auf die 243 gen Osten ins Hochland ab. Sobald wir das Meer hinter uns lassen, hört der Regen auf und wir setzen die Fahrt bei aufklarendem Wetter durch schöne und wie immer sehr grüne Landschaften fort. Bis es auf einer kleinen Straße plötzlich nicht mehr weitergeht… Zwei Trucks sind in einer Kurve frontal ineinandergefahren und blockieren nun die Straße. Umzukehren ist keine Alternative – es gibt für uns keine sinnvolle Ersatzroute. Und so warten wir, bis die Polizei den Unfall aufgenommen und die Trucks die Straße wieder frei gemacht haben.
Das kostet uns rund zwei Stunden – zum Glück gibt es einen Obststand in der Nähe…
Am Nachmittag erreichen wir schließlich das Tal von San Gerardo de Dota. Eine ziemlich enge Gebirgsstraße führt uns kurvenreich hinunter. Hier bin ich froh, dass kaum Gegenverkehr herrscht.
Wir durchfahren den kleinen Ort, der sich am Fluss Savegre entlangzieht und erreichen bald unsere Unterkunft für die letzten zwei Nächte in Costa Rica: Die Suenos del Bosque Lodge.
Das Hotel besteht aus etwa zehn rustikalen Blockhäusern und einem Haupthaus mit Restaurant. Die Behausungen sind am Ufer eines kleinen Sees aufgereiht, auf dem man mit Ruderbooten umherfahren kann. Die Kinder werden das lieben.
Zu einer Seite wird die Lodge vom Fluss Savegre begrenzt, zur anderen vom Nebelwald, durch den sich einige lodgeeigene Trails ziehen.
Leider beginnt es, als wir das Hotel erreicht haben, bald wieder stark zu regnen und in dem hier herrschenden kühlen Klima, ist der Regen nicht mehr sehr angenehm. Ich probiere einen der Trails aus, komme aber wegen des Wetters nicht sehr weit.
Wir vertrödeln den Resttag also in der kühlen Hütte, die uns durch ihren rustikalen „Charme“ an Unterkünfte von Sanparks erinnert.
Einzig ein kleiner Heizlüfter ist hier für die heute Nacht nötige Erwärmung zuständig. Das erscheint bei der offenen Konstruktion der Unterkunft über zwei Ebenen – man schläft auf einer Galerie im ersten Stock – etwas ambitioniert, funktioniert in Kombination mit dicken Bettdecken dann aber zum Glück ordentlich.
Wir lesen, spielen, genießen ein gutes Abendessen im etwas zu kühlen und atmosphärefreien Restaurant und schlafen früh ein, denn am kommenden Morgen haben wir eine Quetzal-Exkursion gebucht, die bereits um 5.30 Uhr beginnen wird.
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Entsprechend schwierig wird es, den Nachwuchs am Morgen für die anstehende Aktivität zu motivieren. Wenigstens der Blick aus dem Fenster unterstützt uns bei unserer Überzeugungsarbeit: Der Regen hat sich verzogen, es erstreckt sich klar blauer Himmel über das noch schattige Tal.
Bald sind wir trotz allen Murrens fertig und fahren mit unserem Auto eine kurze Strecke zum vereinbarten Treffpunkt in San Gerardo de Dota. Hier treffen wir auf vier weitere Reisende und unsere zwei Guides – Vater und Sohn: Carlos und Carlos Junior.
Sie wissen bereits, wo sich heute früh Quetzale aufhalten und so steigen wir gemeinsam eine steile Böschung herauf. Auf kurzer Distanz überwinden wir etliche Höhenmeter, während wir einem schmalen Pfad folgen, in durchaus schnellem Tempo – das ist ein echter Kaltstart in den Tag.
Bald darauf werden wir aber für die Anstrengung entlohnt. In einem nahen Baum – vielleicht zehn Meter von uns entfernt und fast auf Augenhöhe mit uns – sitzen ein weiblicher und ein männlicher Quetzal. Ich freue mich sehr darüber, dass nun auch der Rest der Familie den "Göttervogel" sehen kann.
Lange können wir die beiden prächtigen Vögel, die immer wieder ihre Position ändern und in andere Bäume wechseln, im stetig besser werdenden Licht des anbrechenden Tags beobachten und fotografieren.
Da Carlos ein gutes Spektiv dabeihat, können auch die Kinder jedes Detail der Federzeichnung der schönen Vögel aus extremer Nahdistanz betrachten. Alle sind fasziniert.
Als dann der männliche Quetzal ungerührt einen Avocadokern auswürgt, sind wir verblüfft, welch großer Stein durch solch kleinen Schnabel passt. Leider drücke ich in diesem Moment zu spät auf den Auslöser…
Nachdem wir die Quetzale für lange Zeit beobachtet haben, versuchen wir leider ohne Erfolg den zweiten „besonderen Vogel“ des Tals zu finden: den Emerald Toucanet (Laucharassari).
Zum Frühstück sind wir zurück im Hotel und sehr zufrieden mit den Erlebnissen der ersten Tagesstunden. Wir hätten nicht gedacht, dass wir den Quetzalen hier so nah kommen werden und sie über einen so langen Zeitraum beobachten werden können.
Im Fokus des weiteren Tagesverlaufs werden die anderen gefiederten Bewohner des Tals stehen, die in ihrer Vielfalt kaum weniger interessant sind als das Aushängeschild San Gerardo des Dotas.