15. Kapitel: Im und über dem Nebelwald von Monteverde
Als ich mich heute zu Sonnenaufgang aus dem Zimmer stehle, während meine Lieben noch schlafen, erwartet mich eine Überraschung. Der „Cloud-Forest“ erstreckt sich unter einem wolkenlosen Himmel!
Mein erster Weg führt mich in den Hotelgarten, denn für meinen Ausflug ins Curi-Cancha Reservat ist es noch zu früh. Zum Glück bin ich zu der frühen Stunde nicht allein: Einige Berg-Veilchenohrkolibris sind schon mit ihrem Frühstück beschäftigt und wollen unbedingt von mir verewigt werden.
So beginnt der Tag gleich spannend.
Bald steige ich ins Auto und fahre die wenigen Kilometer bis zum Eingang des Curi-Cancha-Reservats. Hier finde ich kurz vor sieben Uhr einen Parkplatz vor, der noch gänzlich leer ist. Auch das kleine Welcome-Center ist noch unbesetzt. Und so warte ich.
Nach einiger Zeit kann ich die Eintrittsgebühr von immerhin 20 $ entrichten. Am Empfang muss man sich überraschenderweise ausweisen – man sollte also irgendeinen Identitätsnachweis dabeihaben… Zum Glück habe ich unsere Reisepässe irgendwann einmal mit dem Handy abfotografiert.
Während nach und nach einige wenige Gäste (mit Guide!
) auf dem Parkplatz eintrudeln, mache ich mich als erster Besucher des heutigen Tages auf den Weg in den Wald. Dabei werde ich vor allem den Alondra Trail im Westen des Schutzgebiets begehen, der mir an der Kasse als guter Ort für mögliche Quetzalsichtungen empfohlen worden ist.
Zuerst führt der Pfad durch recht dichten Wald und es ist recht düster. Bald aber erreiche ich eine erste große Lichtung. Und hier empfängt mich ein metallisch klingender Ruf, dessen Verursacher gut sichtbar in einem hohen abgestorbenen Baum sitzt. Ich kann tatsächlich einen Three-wattled Bellbird (Dreilappenkotinga) entdecken.
Eine weitere Wunschsichtung hat sich damit erfüllt! Und das dank des durchdringenden Rufs dieses bizarren Vogels auch ganz ohne Guide.
Wenig später erspähe ich einen White-breasted Sharp-shinned Hawk (Eckschwanzsperber – welch schöner deutscher Name!) den ich nur entdecke, weil er an einer T-Kreuzung sitzt und ich direkt auf seinen Ansitz zusteuere. Der Ausflug verläuft vielversprechender als ich erwartet habe.
Dann führt der Weg mich durch dichten Primärwald. Der Pfad wird enger und grünes Zwielicht umgibt mich. Von Vögeln sind hier nur Geräusche zu hören, entdecken kann ich kein Tier. Ich beschließe daher, umzukehren und ein wenig länger im Bereich der großen Lichtung herumzustromern. Und diese Entscheidung wird belohnt.
In einem der großen Bäume kann ich - welch ein Glück! - einen weiblichen Quetzal entdecken! Der Vogel hat sich nur durch eine Bewegung verraten. An Fotos ist erst zu denken, als er liebenswürdigerweise die Position wechselt.
Bald stoßen erste Besucher mit Guide dazu und wir starren in der Kleingruppe in die Wipfel der Bäume. Witzig ist es zu beobachten, wie der Guide redlich bemüht ist, dem agilen Vogel mit seinem Spektiv zu folgen. Hat er es an Punkt A aufgebaut, ist das Objekt der Begierde oft schon zu Punkt B weitergeflogen…
Lange bleibe ich an diesem Ort stehen. Das geduldige Ausharren ist wiederum erfolgreich. Nach einiger Zeit landet ein juveniler männlicher Quetzal in einem Nachbarbaum. Später kommt sogar für kurze Zeit noch ein prächtiger adulter Quetzal-Mann dazu, der jedoch leider ganz oben im Wipfel verbleibt und seine Anwesenheit nur völlig unpräsentabel dokumentieren lässt. So bleibt es hier bei dem etwas gerupft aussehenden Pubertier.
Aber ich bin trotzdem selig: Quetzale zu finden, war der große Wunsch, dessen Erfüllung ich nach dem Guide-Problem des Vorabends bereits abgeschrieben hatte.
Als dann noch ein vorbeikommender Parkmitarbeiter auf einige scheue Black-breasted Wood-Quails (Weißkehlwachtel) hinweist, die sich wohl nicht sehr oft beobachten lassen, freue ich mich noch mehr. Zuerst rennen die kleinen Vögel nur schnell über den Weg, um im dichten Unterholz zu verschwinden. Aber auch hier wird Geduld belohnt. Ich setze mich ruhig auf den Boden und warte ab: Es dauert nicht lange und einige Wachteln lassen sich erneut blicken und ein wenig beobachten, bevor sie mich entdecken und wieder und dieses Mal endgültig im Grün Deckung suchen.
Die Zeit ist bereits vorangerückt und ich muss das schöne Reservat leider schon wieder verlassen, denn bereits um 10.30 Uhr werden wir zu unserer heutigen Hauptaktivität abgeholt: Wir wollen den Nebelwald aus der Vogelperspektive erleben und werden daher den Baumwipfelpfad im Selvatura Reservat besuchen.
Curi-Cancha hat sich für mich auf jeden Fall als Glücksfall herausgestellt. Die Guide-Enttäuschung des Vorabends ist vorerst vergessen.