Ice Ice Baby
Am nächsten Morgen werfe ich einen bangen Blick aus dem Fenster: Ist das Wetter besser als am Tag zuvor? Wir haben einen Bootstrip zum Grey-Gletscher gebucht, doch eine zufriedenstellende Antwort bekomme ich nicht: Das Wetter ist indifferent.
Wir packen unsere Sachen und geben sie im Gepäckraum ab, denn irgendwann später am Tag müssen wir noch unserer Herberge für die zweite Nacht ansteuern. Das Frühstück ist sehr gut, um Punkt neun sind wir an der Rezeption, dem Sammelpunkt für den Bootstrip. Es gibt ungeahnte Instruktionen, wir müssen nun erst eine kleine Strecke mit unserem Auto fahren, dann an der Guarderia Grey parken und schließlich durch einen kleinen Wald und am Seeufer entlang zum Boot laufen. Um zehn Uhr legt die MS Grey III ab, ausreichend Zeit also für den Weg, und das ist gut so, denn er besitzt jede Menge Charme.
Das Wetter wird immer besser, die dicken Wolken lösen sich auf.
An manchen Tagen soll das Boot wegen zu starken Windes nicht fahren können. Doch an diesem Tag weht nicht das leiseste Lüftchen.
Blick auf das Hotel Lago Grey. Wir laufen zwischen See und Fluss über den Kiesstrand zum Boot.
Pünktlich legen wir ab ...
... und fahren immer näher an den Gletscher heran.
Der Gletscher kalbt in den See, uns so kommen wir an vielen Eisbergen vorbei.
Fast schon am Eisfeld angekommen, legen wir an und einige Wanderer gehen von Bord. Ganz in der Nähe liegt das Refugio Grey, es ist herrlich abgeschieden hier. Dann schippert der Katamaran in gemächlichem Tempo an die drei Gletscherarme heran und an ihnen entlang.
Ich bin dankbar für die Sonne, die sich zwar nicht durchgängig, aber doch großzügig zeigt. Der Gletscher heißt zwar "Grey" - aber in ihrem Licht leuchtet das Eis intensiv blau.
Auch an den bizarren Eisformationen kann ich mich nicht sattsehen. Kein Bildhauer kriegt das besser hin.
Schließlich kehren wir um. Auch auf dem Rückweg lassen wir uns Zeit, betrachten die Eisberge aus nächster Nähe. Nach drei Stunden spektakulärer Bootsfahrt sind wir durchweg begeistert zurück an Land.
Es ist Mittag und ich hatte im Vorfeld ausgelotet, welche Wanderungen sich für uns anbieten würden. Ich bin passionierte Joggerin, zu dem Zeitpunkt aber von hartnäckigen Problemen am Hüftbeuger ausgebremst. Die Schmerzen waren auch bei den Streifzügen durch Buenos Aires immer wieder präsent und meine Grundkondition hatte in den Wochen zuvor mangels Training ohnehin gelitten. Die ganz großen Sprünge traue ich mir deshalb auf dieser Reise eigentlich nicht zu.
An diesem Tag fühle ich mich allerdings gut und so versuchen wir uns am Aufstieg zum Mirrador Ferrier. Der Trail startet in unmittelbarer Nähe des Lago Grey an der Grey Ranger Station, wo wir uns registrieren müssen. Die Distanz beträgt zwar insgesamt nur 7,5 Kilometer, doch der Pfad ist schmal und steil, als Level wird von Rangern wie Reiseführer "schwierig" angegeben.
Es gibt wohl auch aus diesem Grund deutlich populärere Tracks im Park; was den Vorteil hat, dass außer uns nur eine fünfköpfige Familie den giftigen Anstieg über 700 Höhenmeter in Angriff nimmt. Rund zwei Stunden soll der Aufstieg dauern, der eine ziemlich schweißtreibende Angelegenheit ist.
Die Strecke wird zunehmend steiler, auf einem kleinen Plateau entschließen wir uns schließlich zur Umkehr. Aus verschiedenen Gründen. Mein Bein schmerzt, und auch wenn der Mirador Ferrier zu den besten Aussichtspunkten auf das Torres-del-Paine-Massiv zählt, wird davon wohl bis zu unserer Ankunft so gut wie nichts mehr zu sehen sein: Es hat begonnen zu nieseln. Der steile Weg wird dadurch zudem rutschig und der Abstieg somit noch schwieriger als ohnehin schon.
Meine Sportlerehre ist schwer angeknackst, doch wir drehen schweren Herzens um - gemeinsam mit einer Frau aus der fünfköpfigen Gruppe. Immerhin ist der Ausblick auch von hier schon sehr, sehr schön.
Rechts am Bildrand das Hotel Lago Grey
Im Nachhinein ärgere ich mich natürlich, dass wir Flachlandtiroler uns (zum ersten und bislang letzten Mal) nicht durchgebissen haben. Am Abend treffen wir allerdings per Zufall die Familie wieder und das Quartett, das (scheinbar mühelos, alles Handballspieler und topfit) oben war, bestätigte die eingeschränkte Sicht bei zunehmend schlechtem Wetter. Immerhin war ich froh, dass wir die frühe von zwei möglichen Bootsfahrten gewählt hatten, hier lag mir deutlich mehr an Sonne und Licht.
Zurück im Auto stellen wir auf dem kurzen Weg zum Hotel Lago Grey fest, dass die Tanknadel hektisch auf und ab tanzt und keinerlei verlässliche Informationen liefert. Was soll das bedeuten, am Vortag war doch noch alles okay? Fakt ist: Durch die Sperrung des Süd-Zugangs ist die nächste Tankstelle 150 Kilometer entfernt. Wir haben die Strecken im Park unterschätzt, keine Ahnung, wieviel Benzin noch im Tank ist und keinen Reservekanister an Bord. Das macht mich alles in allem ziemlich nervös!
Auf den wenigen Metern bis zum Hotel schaffe ich es, mich in die Problematik regelrecht hineinzusteigern. An der Rezeption im Lago Grey frage ich daher zwar wenig hoffnungsfroh, dafür aber spürbar verzweifelt vorsorglich noch einmal nach: Kein Benzin weit und breit, nada de nada?
Es ist der Beginn einer streng geheimen Mission. Der Rezeptionist kommt um sein Pult herum, nimmt uns zur Seite, nennt uns Codewort und Adresse. Dort, so versichert er, bekämen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit Treibstoff - sofern gerade eine "Lieferung" eingetroffen sei und welcher vorhanden ist. Ich fühle mich wie 007 - Betti Bond, auch nicht schlecht.
Die Spur führt durch den Südausgang (Serrano) hinaus aus dem Park und kurz dahinter zu einer Farm. Dort nennen wir das Zauberwort und bestellen zehn Liter Benzin, die umgehend ihren Weg von einem Kanister durch eine zum Trichter umfunktionierte Plastikflasche in unseren Tank finden - perfekt! So ganz geheim kann unsere Mission übrigens nicht gewesen sein, denn hinter uns tauchen zwei junge Österreicherinnen auf. Sie haben das Geheimnis um die verborgene Tanke ebenfalls gelüftet.
Für uns geht es heiter weiter beziehungsweise ein paar Meter zurück, denn erfreulicherweise hatten wir schon zuvor bemerkt, dass unsere heutige Unterkunft nur einen Steinwurf von den findigen Spritverkäufern entfernt liegt.
Unsere "Cabana" im Hotel del Paine ist ein wenig muffig und definitiv überteuert, aber für eine Nacht völlig okay. Schließlich waren wir froh, nach dem Buchungsdesaster überhaupt eine Lösung gefunden zu haben. Beim Abendessen kommt es zu einem Disput, denn es gibt nur ein Buffet und ich soll den vollen Preis zahlen, obwohl für mich als Vegetarierin fast nichts dabei ist. Ich trete in den Hungerstreik, was wiederum den Manager auf den Plan ruft. Schließlich darf ich mir für die Hälfte des immer noch stolzen Preises einen Teller Pasta mit Tomatensauce gönnen, allerdings keinesfalls etwas nachnehmen - was mir ohnehin nicht eingefallen wäre, denn es schmeckt weder Thomas noch mir. Aber immerhin gab es ein Entgegenkommen und auch der Blick auf das Bergmassiv ist gelungen.
Am Ende eines ausgefüllten Tages fallen wir in unsere mäßig komfortablen Betten, deren Qualität schlussendlich keine Rolle spielt: Mir erscheinen im Schlaf Gletscher, Berge und Eis - es ist der reinste Traum!