Gestrandet in der Wüste
Ein leicht erhöhter Puls und ein eher unruhiger Schlaf - das ist die Bestandsaufnahme nach unserer ersten Nacht in gut 2.400 m Höhe. Einige wenige Vorsorgemaßnahmen haben wir uns selbst auferlegt, dazu zählen möglichst wenig Kaffee, null Alkohol, viel Wasser und ich lange zudem reichlich beim Tee aus Coa-Blättern zu, der in unserer Unterkunft kostenfrei rund um die Uhr angeboten wird und angeblich einer Höhenkrankheit vorbeugen soll.
Wir haben auch bei diesem Teil der Reise die Ausflüge größtenteils vorab gebucht. Es war ohnehin relativ schnell klar, welche wir machen würden, nur an unserem letzten vollen Tag in San Pedro möchten wir spontan entscheiden. Ich bin etwas überrascht, als uns morgens um Sieben ein ausgewachsener Reisebuss einsammelt. Ich hatte mir darüber im Vorfeld keine großen Gedanken gemacht, aber instinktiv mit einer kleineren Gruppe gerechnet. Im Bus sind alle noch etwas verschlafen, aber sehr freundlich, wir sind eine echte Multikulti-Truppe und haben sogar einen Reiseleiter mit Mikrofon und allem Pipapo - ein bisschen fühle ich mich wie bei einer Butterfahrt.
Das Mikro ist glücklicherweise defekt, und so stellt sich der Guide in den Gang und spricht direkt mit uns, was schon viel besser ist, doch es folgt die erste dicke Enttäuschung. Worauf wir uns auf dieser Tour am meisten freuen würden, fragt er, und ich antworte wie aus der Pistole geschossen: "Piedras Rojas!" Doch er schüttelt bekümmert den Kopf, die Lagune ist derzeit gesperrt. Die Begründung liegt mir mindestens ebenso schwer im Magen wie die Sperrung selbst: Die Lagune, als eine der letzten frei von Eintritt und vollkommen naturbelassen, sei zu einer Müllkippe verkommen. Besucher haben ihre Namen in die roten Steine geritzt, die dem Naturwunder seinen Namen geben, und sie überdies als öffentliche Toilette missbraucht. In die Zeit unseres Aufenthalts fällt nun also nicht nur die "Grundreinigung", sondern auch die Errichtung eines Kassen- sowie Klohäuschens. Der Mensch macht sich alles selbst kaputt...
Wir kommen gut voran, die Straßen sind in perfektem Zustand und weitgehend leer. Die Landschaft ist unwirklich und wunderschön, doch ich habe zunächst vor allem an der Hiobsbotschaft des Guides zu knabbern, die mich nachhaltig erschüttert.
Unser erster Stopp ist Toconao, das für seinen alten Kirchturm von 1750 bekannt ist. Das kleine Andendorf hat sich spürbar auf die Touristen eingestellt und bietet allerlei Folklore-Artikel an. Natürlich sollen wir einkaufen, aber als wir über zwei Kaltgetränke hinaus kein Interesse zeigen, werden wir auch nicht bedrängt. Wir machen einen kleinen Rundgang, insgesamt fällt der Halt für unseren Geschmack zu lang aus.
Danach gewinnen wir zügig an Höhe, ich habe Druck auf den Ohren, und schließlich erheischen wir einen ersten Blick auf unser erstes Etappenziel: die Lagunas Altiplanicas, zwei am Fuß zweier großer Vulkane nebeneinander liegende Seen auf einer Hochebene.
Ich kann es kaum abwarten, aus dem Bus zu kommen, und tatsächlich bleiben wir - wenn auch etwas unvermittelt mitten auf der Straße - stehen. Doch schnell merken wir: Hier stimmt was nicht. Der Fahrer versucht zu starten, doch der Bus macht keinen Mucks mehr. "No problem", meint der Guide, wir sind ohnehin am Ziel und erst einmal eine Zeit lang unterwegs. Bis dahin hat der Busfahrer das Vehikel sicher flottgekriegt und sammelt uns an der zweiten Lagune wieder ein. Soweit die Theorie.
Wir sind nun auf über 4.100 m Höhe, so hoch war ich noch nie, doch bis auf einen leichten Kopfschmerz geht es mir - ebenso wie Thomas - gut. Die Laguna Miscanti ist ein atemberaubender Anblick und wir sind ganz aus dem Häuschen, müssen uns allerdings immer wieder zu langsamen Bewegungen zwingen, sonst geht uns in der dünnen Luft sofort die Puste aus und der Kopfschmerz wird stärker.
Wir schlendern also wie zuvor eindringlich ermahnt ausschließlich auf den gekennzeichneten Wegen an der Lagune entlang und an Vulkanen vorbei ...
... zur Lagune Miniques, die einen nicht minder spektakulären Anblick bietet.
Wir laufen zu ihr hinunter und lassen uns auch dabei viel Zeit, denn von unserem Bus ist auf dem benachbarten kleinen Parkplatz noch immer nichts zu sehen.
Der Rest unserer Gruppe hat sich bereits zusammengefunden und beratschlagt, was zu tun sei, was reine Zeitverschwendung ist, denn die Antwort des Guides fällt ebenso knapp wie pragmatisch aus: nichts. Der Bus, so erläutert er, sei allein mit Bordmitteln nicht flottzukriegen. Die Agentur sei aber per Funk informiert, schicke einen Mechaniker und zudem einen Ersatzbus, was aber natürlich eine ganze Weile dauere, denn das Ersatzfahrzeug müsse ja erst die lange Anfahrt bewältigen.
Links hinter mir im Bild der Pannen-Bus.
Zum Glück geht es uns allen gut, nur ein junger brasilianischer Familienvater sorgt sich - sicher auch zu Recht - um seine sechsjährige Tochter, die allerdings topfit erscheint. Ich wundere mich dennoch darüber, dass a) so ein kleines Kind bei dieser Tour dabei ist und b) es keinen - zumindest erkennbaren - Plan B zu geben scheint, sollte jemand Probleme bekommen.
Bei mir selbst trifft diese Information auf große Gelassenheit. Diese unvorhergesehene Panne verschafft uns an diesem fantastischen Ort wertvolle Zeit, die wir sonst nicht gehabt hätten. Die anderen Gruppen sind längst weitergezogen und wir sind ganz allein. Es ist angenehm warm, alle haben ausreichend Wasser dabei und fühlen sich gut, wir können die Stille und Weite nach Herzenslust genießen. Gemächlich spazieren wir zurück zur Lagune Miscanti. Irgendwo dahinter, denke ich zwischendurch ein wenig sehnsüchtig, liegen die Piedras Rojas.
Volle drei Stunden vergehen bis zu unserer "Rettung". Dann tauchen drei Kleinbusse auf, mit denen wir unsere Tour fortsetzen. Das Mittagessen entfällt, das Restaurant am Weg hat seine Pforten längst geschlossen. Doch ich tausche es gern gegen die unverhoffte Zeit an den Lagunen ein.
Ohnehin ist unser Ausflug ja noch längst nicht vorbei: Es folgt Teil zwei, in dem Flamingos eine zentrale Rolle spielen. Und auf die freue ich mich ganz besonders.