Von Bruchpiloten und Verkehrssündern
Strahlend blauer Himmel am frühen Morgen in Seydisfjördur, das ist toll und kann doch trügen, der Wetterbericht bestätigt das. Schnell Handeln ist das Gebot der Stunde, ich scheuche Thomas aus dem Bett und aus dem Haus.
Der sonnige Fjord, die bunten Häuser, die weiß gesprenkelten Berge belohnen uns. In Island reisen heißt den Augenblick nutzen, und ohnehin hat Morgenstund' angeblich Gold im Mund (was ich bis vor einigen Jahren allerdings gar nicht fand).
Hier legt die Fähre aus Dänemark an. Bei gutem Wetter muss es fantastisch sein, durch die Fjorde anzureisen.
Der Ort mit kaum 700 Einwohnern ist winzig, der See schnell umrundet, doch das Flair packt uns. Malerisch und abgelegen, lockt Seydisfjördur seit jeher Schöngeister an. Eine Künstlerkolonie mit Galerien, Bio-Läden und Slow-Food-Restaurants, die Island-Pullis sind selbstgestrickt, die Marmeladen handgemacht, wir lassen sie uns beim Frühstück in unserem gemütlichen Zimmer schmecken. Tee- und Kaffeestation zählen zum Standard in den Unterkünften, nicht nur eine feine, sondern auch kostensparende Sache in einem der teuersten Reiseländer der Welt.
Es ist noch immer früh, als wir nach Borgarfjördur Eystri aufbrechen. Eigentlich nur eineinhalb Fjorde in nördlicher Richtung entfernt, müssen wir rund 90 Kilometer weit fahren, weil Berge und Wasser im Weg sind. Schnell folgt der erste Stopp, nur wenige Schritte sind es von der Pass-Straße zum von Bergen umgebenen Gufufoss, dem "Dampfwasserfall".
So heißt er offiziell, nicht aber bei uns, wir taufen ihn kurzerhand in "Guggufoss" um, weil wir an eine liebe Forumsfreundin denken müssen - und so geht er auch dauerhaft in unsere persönliche Reisegeschichte ein.
Lovely Guggu(foss)
Die Hochebene Fjardarheidi zeigt sich von ihrer besten Seite, wir parken in einer Haltebucht und spazieren durch die stille, einsame Landschaft mit fischreichen Seen und fantastischen Farben.
Der Osten des Landes verfügt nicht über die üppige Vielzahl an Sehenswürdigkeiten, mit denen zum Beispiel die Südküste gesegnet ist. Doch großartige Wasserfälle, eine herrliche Küste, charmante Dörfer, der größte Wald Islands und Rentierherden, es ist eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch, ein Eldorado für Wanderer und Naturliebhaber.
Die Strecke zum Borgarfjördur, mittlerweile weitestgehend asphaltiert, ist eine eindrucksvolle Berg- und Talfahrt. Immer wieder halten wir an, es geht einfach nicht anders, und die Sonne spielt auch mit.
Wir biegen ab, über eine spektakuläre Küstenstraße...
...geht es immer tiefer in den Fjord hinein über Borgarfjarðarhöfn...
... bis zum kleinen Hafen Hafnarholmi, wo die Straße 94 endet. Wir sind da! Rund 10.000 Puffin-Paare nisten hier im Sommer auf der kleinen Halbinsel hinter der Marina, schon vom Parkplatz aus können wir sie hören und sehen.
Hafnarholmi, im Hintergrund der Vogelfelsen
Der Vogelfelsen ist eine Sensation. Papageitaucher überall, über uns, unter uns im Wasser, neben uns im Gras, wo sich eine Bruthöhle an die andere reiht.
Ein Puffin-Wunderland, so viele und so nah, wir schauen, staunen und hören, wie die drolligen Vögel unentwegt vor sich hin brummen. Wie ein Teddy, wenn man ihn kippt.
Treppen und Plattformen schützen die Landschaft und die Tiere, das wirkt auf den ersten Blick vielleicht nicht attraktiv, ergibt aber Sinn. Furchtlos liefern die putzigen Puffins direkt vor unserer Nase eine riesige Show.
Höhlen müssen ausgebessert,...
...die besten Balkonplätze erkämpft und besetzt...
...und der Nachwuchs nicht nur versorgt,...
...sondern auch auf den Ernst des Lebens vorbereitet werden.
Flugübungen
Die Flügel der Vögel sind insgesamt ein wenig mickrig geraten, bei der Landung fallen die kleinen Bruchpiloten fast wie ein Stein vom Himmel. Dazu der tolpatschige Gang, doch der Schein trügt: Im Wasser sind Papageitaucher nicht nur geschickte Schwimmer, sondern auch begnadete Fischer.
Perfekte Landung - gelingt nicht immer.
Stundenlang beobachten wir das Treiben. Ausgepowert, aber glücklich gehen wir schließlich zurück zum Auto, plündern unsere stets gut gefüllte Fresskiste und picknicken mit Blick auf die Vogelfelsen. Der Tag bleibt mir als einer der schönsten dieser Reise im Gedächtnis.
Was bemerkenswert ist, denn auf der Rückfahrt...
...gibt es einen ärgerlichen Zwischenfall. Ich weiß, dass es die Isländer mit ihrem Tempolimit ganz genau nehmen. Außerorts liegt es auf befestigten Straßen bei 90 km/h, die Kontrollen sind häufig und streng, Blitzer allgegenwärtig, die Strafen drakonisch. Doch die schöne Landschaft lenkt uns ab, und so sehen wir beide die Schilder nicht, die erst 70 und dann gar 50 anzeigen.
Wir sind in Hochstimmung und allein auf weiter Flur, dann plötzlich im Rückspiegel ein Auto, illuminiert wie New York in der Vorweihnachtszeit. Ich bin irritiert, kein Santa Claus, keine Häuserschluchten, nur wir, drei Schafe - und rechterhand ein Verkehrsschild. Oops!
Ob ich denn die Schilder nicht gesehen hätte, fragt die freundliche junge Polizistin und glaubt mir mein Versehen, weil ich knapp bei 90 lag - und somit scheinbar regelkonform. Doch es ändert nichts. Wir kriegen Rabatte, für Reue, Sofortzahlung per Kreditkarte, für was auch immer. Am Ende blechen wir weit über 200 Euro, das tut weh, doch der Lappen bleibt meiner. Immerhin.
Selbst schuld, natürlich, aber auch schwierig, diese Beschränkungen an jeder Milchkanne. Zügig wollen wir das Ereignis aus unserem Gedächtnis streichen, was auch deshalb gelingt, weil wir trotz allem viel richtig gemacht haben an diesem herrlichen Tag. Das wissen wir spätestens, als wir im dicken Nebel nach Seydisfjördur zurückkehren. Gute Zeiten, schlechte Zeiten, Sonne und Wolken - dazwischen liegt auf Island manchmal nur ein einziger Fjord.
Blick von Borgarfjördur Eystri nach Süden. In Richtung Seydisfjördur hat sich was zusammengebraut.