Schlussakkord in Mordor
Wie schnell drei Wochen vergehen. Denke ich auf dem Weg in Richtung Reykjanes. Auf der Halbinsel verbringen wir unsere letzte Nacht, bevor wir zu einer denkbar unchristlichen Zeit im Morgengrauen nach Hause fliegen. Was schade ist. Wie gerne würde ich noch bleiben - ein nur allzu bekanntes Gefühl am Ende all unserer Touren. Fernweh, schon bevor die Reise zu Ende ist - das muss mir erst mal einer nachmachen.
Isländische Erinnerungen: Am Raudisandur
An Reykjavik, wo wir im Vorjahr eine grandiose Zeit hatten, rauschen wir diesmal vorbei. Lieber kein Stadtbesuch in Zeiten von Corona.
Fast alle Reisenden kennen Reykjanes. Schließlich liegt hier ganz im Südwesten der internationale Flughafen Keflavik. Ansonsten wird die Halbinsel oft übersehen. Was ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen kann, denn im Sommer 2019 war die erste halbe Stunde auf Island nach unserer Ankunft in Keflavik ein kleiner Schock. Das sollte mein Sehnsuchtsort sein? Endlose schwarze Lavafelder, karg, öde, trostlos: Wir sind in Mordor gelandet! Der Anblick wirkte jedenfalls wie eine eiskalte Dusche auf mein enthusiastisches Gemüt. Der Reiz von Reykjanes, einer der vulkanisch aktivsten Regionen Island, und seine triste Schönheit erschlossen sich mir erst auf den zweiten Blick.
Wir übernachten wie im Vorjahr in Vogar. Einem Ort, der nicht gerade durch architektonische Pracht besticht, sondern vor allem durch seine praktische Lage nur gut 35 Kilometer von Reykjavik und rund 15 Kilometer vom Flughafen entfernt. Von hier ist es auch zur wohl beliebtesten Attraktion der Insel nicht weit: der Blauen Lagune. Ihr warmes, mineralreiches Wasser, quasi ein Abfallprodukt des benachbarten Geothermalkraftwerks, soll Heilkraft haben und wahre Wunder wirken. Was ich so nicht bestätigen kann. Jedenfalls entstieg ich den Thermalbecken 2019 nach Ablauf unseres mühsam erkämpften Zeitfensters nicht gerade als Venus von Milo - trotz Gratis-Gesichtspackung, die das einzig erschwingliche an dieser ansonsten kostspieligen Veranstaltung blieb.
Andere mögen zu anderen Schlüssen kommen: Für uns war diese durchgetaktete Massenabfertigung bei unserer zweiten Reise 2020 keine Wiederholung wert. Wer sich zu einem Besuch des vermeintlich verheißungsvollen, wenn auch nicht durchweg sauberen Spa entschließt, muss früh dran sein und monatelang vorher reservieren - oder auf bereits erwähnte Alternativen wie am Myvatn zurückgreifen.
Eine Stippvisite bei der Blauen Lagune lohnt trotzdem. Denn direkt neben dem Wellness-Tempel ist ein Teil der Lagune mit ihrem milchig-blauen Wasser inmitten des zerklüfteten Lavafeldes "Illahraun" ("Lava des Bösen") frei zugänglich. Spektakulär, fotogen - und gratis.
Westlich davon liegt das Hochtemperaturgebiet Gunnuhver. Hochaktiv, dampfend und ziemlich düster. Nach einer Explosion in einer der heißen Schlammquellen im Jahr 2014 musste das Gebiet zeitweise gesperrt werden, es zischt, raucht und blubbert gewaltig. Ganz besonders in Islands größtem Schlammloch mit einem Durchmesser von 20 (!) Metern. Die Midlina, die Brücke zwischen den Kontinenten in der Nähe, haben wir ausgelassen. Die Drift der amerikanischen und eurasischen Kontinentalplatten verbreitert den Graben jedes Jahr um circa zwei Zentimeter.
Endzeit-Stimmung bei Gunnuhver 2019
Besser als das trostlose Gunnuhver und sogar richtig gut gefällt uns Seltun. Weshalb wir unseren ersten Besuch von 2019 ein Jahr später bei glücklicherweise viel besserem Wetter wiederholt haben. Das Schwefelfeld liegt zwischen den Städten Grindavik und Hafnarfjördur an der Straße 42. Kurz davor schimmert der Graenavatn, ein kleiner See in einem Explosionskrater, intensiv türkisblau.
Unter dem Hochtemperaturgebiet brodelt der Vulkan, der keine Rücksicht auf feine Nasen nimmt. Es stinkt nach faulen Eiern - Augen auf und durch.
Holzstege führen vorbei an bunter Erde und blubberndem Schlamm. Das Gebiet ist nicht ganz so imposant wie Hverir am Myvatn, aber imposant genug.
20 Minuten, dann sind wir durch. Doch wir wollen noch auf den Berg, der Seltun überragt. Er ist steil und der Untergrund rutschig, eine Kette zum Hochziehen, damit klappt's. Der Blick von oben ist groß. Als sich die Sonne verzieht, machen wir das auch.
Der See Kleifarvatn in die eine...
...und der Graenavatn in die andere Richtung.
In Vogar wohnen wir wieder im Motel Arctic Wind. Nette Besitzer, die gegenüber eine neue Pizzeria betreiben, blitzsaubere Zimmer und eine tolle Gemeinschaftsküche, perfekt ausgestattet. Wir plündern unsere Fresskiste. Resteessen mit Pasta, Brot und Tütensuppe, zwei Schweizer sind gerade angekommen und warten auf ihr Testergebnis. Fünf Tage später müssen sie einen weiteren Test absolvieren. Die Dinge ändern sich, und kurz darauf sowieso. Island macht die Schotten dicht. Zumindest so gut wie.
Für uns endet die Reise am nächsten Morgen um Fünf mit der Autoabgabe, dem Transfer zum Flughafen und schließlich dem Rückflug. Alles unkompliziert, wie die gesamte Tour, auf der Corona so weit weg war. Für eine kurze, tolle Zeit, glücklich und unbeschwert, in einem faszinierenden, berauschenden Land, das uns beiden so sehr ans Herz gewachsen ist.
Takk fyrir, Island! Und auch takk fyrir an alle, die mitgelesen und uns virtuell begleitet haben!
Ein abschließendes Fazit folgt.