THEMA: Reisebericht: Mit Fahrrad, Bus und Zug durch Kuba
17 Sep 2020 10:19 #594911
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  • Gu-ko am 17 Sep 2020 10:19
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picco schrieb:
Hoi GuKo

Ja, offensichtlich tragen sie die Torten zu den Männern, die sie dann essen...anders ist die Wampe ja kaum zu erklären, Bier allein reicht da nicht! B)

Wunderschöne Bilder zeigst Du uns hier, TOP!

Danke! Kubanische Männer sind übrigens stolz auf ihre Wampen, sie zeigen sie gerne, muß so eine Art Statussymbol sein :lol: Insgesamt ist die Ernährung in Kuba sehr kohlenydratlastig und fettreich, das macht sich dann mit der Zeit bemerkbar.
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20 Sep 2020 19:27 #595076
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Noche Guantanamera

Kurz nach Mitternacht ist es soweit. Eine Gruppe angetrunkener Männer gerät in Streit. Ich höre laute Stimmen, Stühle fallen, Glas splittert, Menschen um mich herum geraten in Bewegung. Ich spüre plötzlich aufkommenden Stress bei den gerade noch entspannt feiernden Menschen.

Ich war vor Jahren schon einmal in einer ähnlichen Situation, als auf einem nächtlichen Straßenfest in Santiago plötzlich die Stimmung kippte und die Menschen panikartig nach allen Seiten davonstoben. Noch bevor ich richtig begriff, was genau passierte, entstand um mich herum ein dichtes Gedränge und gleichzeitig spürte ich fremde Hände in meinen Hosentaschen. Außer einem feuchten Taschentuch fanden die zwar nichts, aber es war trotzdem eine unangenehme Situation.

Eine Frau in meiner Nähe greift mich am Arm und sagt:

„Mejor que te vayas ahora“ (Besser du gehst jetzt)

Ich schaue die Frau verwundert an. Vor mir steht eine Mulata, um die 40 Jahre alt, mit Sorge im Gesicht und einer filterlosen Zigarette in der Hand. Während sie mich vom Geschehen wegschiebt, sagt sie:

„Siempre son los negros que buscan problema“ (Es sind immer die Schwarzen, die Probleme suchen)

Da sie selbst ziemlich schwarz ist, muss ich bei der Feststellung etwas schmunzeln. Aber vermutlich spricht sie aus Erfahrung, schließlich verbringt sie schon ihr ganzes Leben in Kuba.

Wir quatschen noch ein bisschen und bevor ich mich verabschiede, lädt mich Yolanda ein, am nächsten Tag bei ihr zu Hause vorbeizuschauen. Sie wohnt zusammen mit ihrem 15-jährigen Sohn und ihrer Familie in dem Reparto (Viertel) La loma del Chivo, nicht weit vom Stadtzentrum.

Ich gebe ein vages „vamos a ver“ (mal sehen) zur Antwort und verabschiede mich.
Letzte Änderung: 20 Sep 2020 19:27 von Gu-ko.
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20 Sep 2020 19:29 #595077
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Sonntag und letzter Tag in Guantánamo


Bahnhof Guantanamo

Am Sonntagnachmittag bin ich pünktlich um 16 Uhr am Bahnhof. Eine andere Señora sitzt jetzt hinter dem Schalter. Aber sie könnte die Zwillingsschwester der ersten Señora sein. Ähnliches Alter, vergleichbares Übergewicht und genauso schläfrig.

Ihre Ansage: Im Moment gäbe es noch keine Tickets und keine Infos, ob der Zug morgen fährt. Ich soll um 18 Uhr wiederkommen.

Als ich um 18 Uhr wiederkomme sitzen etwa fünfzig Personen vor dem Bahnhof und nochmal zwanzig in der Wartehalle. Bei der Menschenansammlung handelt es sich um die berühmte kubanische „cola de espera“ (Warteschlange). Es gibt sie überall, vor Geschäften, Banken, an Bushaltestellen, vor Geldautomaten, Ämtern und auch vor Fahrkartenschaltern. Diese Warteschlangen sind nicht immer leicht zu erkennen, da die Leute nicht ordentlich hintereinanderstehen, sondern irgendwo in der Gegend herumsitzen.

Um sich in die Warteschlange einzureihen ruft man:

„Quien es el ultimo?“, oder einfach nur: „Ultimo?“. (Wer ist der Letzte?)

Und wenn sich wer meldet, hat man seinen Vordermann in der Schlange lokalisiert.

Ich frage nicht nach „el ultimo“, sondern gehe direkt zum Schalter, um mich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Die Señora schaut mich kurz an und sagt, ich müsse warten und mich in die Cola einreihen.

Nun weiß ich von früheren Zugfahrten, dass es für Ausländer meistens separate Devisenschalter gibt. Ausländer bezahlen den 24fachen Preis eines Kubaners und ein damit verbundenes Privileg ist, dass sie dafür keine Schlange stehen müssen. Allenfalls eine Devisen-Schlange und die ist, falls vorhanden, viel kürzer.

Ich frage die Señora, ob es hier keinen Devisenschalter gibt. Sie berät sich mit einer anderen Angestellten und tatsächlich, die Devisenfahrkarten werden von der Bahnhofsvorsteherin persönlich verkauft. In einem separaten Büro.

Diese Inkompetenz kubanischer Angestellten ist mir nicht ubekannt, erstaunt mich trotzdem immer wieder von neuem.


Ferrocarriles de Cuba

Das Büro der Jefa befindet sich auf der Rückseite des Gebäudes. Sie ist gerade damit beschäftigt, ein Pollo nebst Yucca und Tostones zu vertilgen (Hühnchen mit Maniok und frittierten Kochbananen). Ich muss warten, bis sie alles fein säuberlich abgenagt und ihre fettigen Finger an einer Papierserviette abgewischt hat. Dann wendet sie sich mir zu.

„Pasaporte“

Sie füllt ein paar Formulare aus, dann:

„Siete Dollares“ (7 Dollar)

Komisch, ich dachte der Dollar wäre in Cuba längst abgeschafft? Hat sich das in Guantanamo noch nicht herumgesprochen?

Ich gebe ihr sieben CUC und bekomme dafür ein Zettelchen, auf dem man mit viel Phantasie eine Sitzplatznummer und die Nummer des Waggons erkennen kann: Coche Tres, Asiento Nueve. 
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20 Sep 2020 19:43 #595078
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La Loma del Chivo (Der Ziegenhügel)

Nachdem alles erledigt ist, überlege ich, was ich mit meinem letzten Abend in Guantanamo anfangen soll. Da fällt mir die Einladung der gestrigen Nacht ein. Ich habe mir die Adresse nicht wirklich gemerkt, aber ich erinnere mich, dass Yolanda sagte, sie wohne in derselben Straße in der sich die „Casa del Changüí“ (Kulturhaus zur Pflege des Changüi) befinde und ich könne jeden auf der Straße dort nach ihr fragen, alle würden sie kennen.

Um nicht mit leeren Händen aufzutauchen, kaufe ich ein tiefgefrorenes Hühnchen und ein paar Getränke, stecke sie in eine Plastiktüte und mache mich auf den Weg zum Ziegenhügel. Das Hühnchen hält die Getränke schön kühl, denn obwohl die Sonne schon tief steht, ist es immer noch heiß in Guantanamos Gassen.


La Loma del Chivo

Die Loma del Chivo ist nicht gerade das beste Viertel Guantanamos. Der schwarze und damit ärmere Bevölkerungsanteil ist hier besonders hoch. Die Straßen und Gehwege sind rissig, die Häuser bis in die oberen Stockwerke vergittert. Abends mischt sich dumpfer Reggaeton mit rhythmischem Changüí und melancholischem Son.

Halbwüchsige Schwarze lungern auf den Straßen herum, oder spielen Pelota (Baseball). Ältere Herren sitzen im Schatten ihrer Veranden und spielen Domino. Mütter stillen ihre Babys vor ihren Häusern. Noch mehr, als anderswo in Kuba, habe ich den Eindruck, dass sich das Wohnzimmer der Menschen direkt auf der Straße befindet. Obwohl ich als Ausländer hier reichlich exotisch wirken muss, werde ich kaum beachtet.

Und, als ich nach Yolanda frage, scheint sie tatsächlich jeder zu kennen.

„Busco a Yolanda, una chica que vive en esta calle.“ (Ich suche Yolanda, eine Frau, die in dieser Straße wohnt.)

„Yolanda? Ella vive en la casa de la esquina.“ (Yolanda wohnt im Haus an der Ecke)


La Loma del Chivo


La Loma del Chivo


La Loma del Chivo


La Loma del Chivo


La Loma del Chivo

Dann stehe ich vor dem Haus an der Ecke. Türklingeln gibt es in Kuba selten, um sich bemerkbar zu machen, klopft und ruft man, bis jemand kommt. Ich klopfe mehrmals an die Tür und rufe laut:

„Yolanda“

Noch einmal: „Yolanda“.

Überraschend schnell erscheint sie aus den Tiefen des Hauses, eine filterlose Zigarette in der Hand blickt sie mich verwundert an.

„Ay mira, veniste, entra, entra.“ (Oh, schau an, du bist gekommen, komm rein)

Im Eingangsbereich liegt eine schmächtige Gestalt regungslos auf einem zerlumpten Lager.

„Mi tio“, stellt sie vor, „llegó borracho en la noche“. (Mein Onkel, er kam letzte Nacht betrunken nach Hause)

Eine ebenfalls ziemlich dürre, ältere Frau taucht aus einer dunklen Ecke auf und mustert mich neugierig.

„Mi tia“ (Meine Tante)

Ich sage: „Hola“ und die Tia grinst mich zahnlos an.

Yolandas Haus ist eines dieser schmalen, aber tiefen Häuser, nur ein Zimmer breit, dafür aber drei oder vier Zimmer tief. Und am Ende schließt sich noch ein kleiner Patio an, in dem zwischen allerlei Schrott ein paar Hühner gackern.

Yolanda zieht mich in ein Zimmer. Es ist ein kleiner fensterloser Raum, darin ein Bett, ein Stuhl, ein uralter Ventilator. Auf einer kleinen Kommode flimmert ein SW-Fernsehgerät, in den Fächern darunter Bücher und die Schulhefte ihres Sohnes. In einer Zimmerecke eine Elektrokochplatte und ein paar Kochutensilien, in der anderen Ecke ein Altar für die Santos (Heiligen). Die Wände sind grob verputzt und wurden wohl vor längerer Zeit mal mit wässriger Farbe gestrichen. Hier wohnt sie zusammen mit ihrem 15-jährigen Sohn.

Sie strahlt mich an mich an und sagt: "Sientate" (setz dich)

Ich drücke ihr die Tüte mit dem tiefgekühlten Hühnchen und den Getränken in die Hand und setze mich aufs Bett. Da das Zimmer kein Fenster hat, ist die Luft heiß und stickig. Schon nach kurzer Zeit läuft mir der Schweiß den Rücken hinab. Sie sieht es, schaltet den Fernseher aus und dafür den Ventilator ein. Beides zusammen funktioniert nicht.


Yolandas Kochnische

Dann beginnt sie mit den Vorbereitungen fürs Kochen. Hühnchen zerlegen, Reis von Steinchen und Dreck säubern, Zwiebeln und Gemüse schneiden. Immer wieder kommen Leute in das kleine Zimmer. Ihr Sohn, dessen Freunde, Nachbarinnen und die Tante.

Yolanda lacht und meint, sie sind neugierig, sie wollen den Yuma (Ausländer) sehen.

Dann sagt sie nüchtern und fast beiläufig einen Satz, der mich berührt:

„Hier kannst du den Grad der Armut sehen in dem ich lebe.“


Eine Zimmerecke ist für die Santos reserviert

Die Zubereitung des Hühnchens dauert etwa zwei Stunden. Die Getränke verteile ich an die Tante und an Yolandas Sohn. Das Essen ist ausgesprochen lecker. Keine Ahnung wie sie das mit den wenigen Zutaten geschafft hat, vielleicht haben die Santos aus der hinteren Ecke ein bisschen mitgeholfen.

Bald verabschiede ich mich, denn ich muss morgen früh raus. Ich verspreche wiederzukommen, falls es mich noch einmal nach Guantanamo verschlagen sollte. Als ich zu meiner Casa zurücklaufe, sind die dunklen Straßen menschenleer. In vielen Häusern flimmern die Fernsehgeräte, es ist Telenovela Zeit und die will in Kuba niemand verpassen. 
Letzte Änderung: 20 Sep 2020 20:09 von Gu-ko.
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20 Sep 2020 20:41 #595085
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Hallo Guko,
sehr interessante Geschichte. So wie Yolanda leben auf Cuba sehr viele Menschen, nur die Pauschaltouristen kommen damit leider nicht in Berührung, und dann entsteht ein völlig falsches Bild über die kubanische Lebenssituation.
Es ist immer sehr von Vorteil, wenn man die jeweilige Landessprache beherrscht. Letztes Jahr besuchten wir in der Gegend um San Vito/Costa Rica eines der wenigen noch existierenden Indianergemeinschaften. Eine alte Frau lud uns ein in ihr Haus, und dort verbrachten wir ein paar sehr gesellige Stunden inmitten ihrer 14 (!) Kinder nebst Anhang. Als ich der erklärte, dass ich leider nur 2 Kinder habe, dachte sie, ich wäre krank :dry: , und hätte daher keine weiteren bekommen. Sie kochte moros y cristianos für uns in einer Küche, in der das Federvieh am ungefliesten Boden rumwuselte, und es schmeckte herrlich :).
Hier ein paar hastig gemachte Fotos, es war mir unangenehm :blush: , und daher habe ich nur kurz geknipst







Danke für das Teilen deiner Reiseerlebnisse. Ich bekomme Fernweh, und eigentlich sollte nächstes Wochenende der Flieger Richtung Ostafrika gehen, aber......, es wurde alles gecancelt.

Herzliche Grüße
Beate
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Letzte Änderung: 20 Sep 2020 20:43 von Old Women.
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21 Sep 2020 11:34 #595100
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Moin Guko, dein Reisebericht ist wirklich klasse, auch wenn ich noch nie in Kuba war, kann ich mir das Land jetzt viel besser vorstellen. Ich lese gerne Reiseberichte, die neben den Landschaften auch die Menschen, ihre Mentalität und Lebensweise beschreiben, das machst du sehr gut. Und super Fotos!!
Gruß Franz
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