Pilón
Pilón ist mit rund 30000 Einwohner eine Kleinstadt und in dieser dünnbevölkerten Gegend quasi das Zentrum der Zivilisation. Es gibt zwei oder drei Minisupermärkte, eine Bank, einen Terminal de Autobus (Busbahnhof), ein Hospital und einen schattigen Parque mitten im Zentrum.
Pilón
In der Casa Dalia werde ich schon erwartet. Mein Casawirt aus Marea del Portillo hat mich angekündigt, so dass Dalia und ihr Mann über mich Bescheid wissen. Trotzdem muss ich die ganze Geschichte noch einmal erzählen, wobei sie meinen Bericht mit mitfühlenden „Ay, ay, ay“ und „Dios mio“ – Ausrufen kommentieren.
Dalia rät mir ab, das örtliche Krankenhaus aufzusuchen. Dort muss ich mit langen Warteschlangen, mangelnder Hygiene und unmotiviertem Personal rechnen und zudem sei die Behandlung für Ausländer teuer. Sie schlägt vor, eine befreundete Ärztin, die im Hospital arbeitet, könnte nach der Arbeit kommen und mich behandeln. Dann müsste ich nicht ins Hospital gehen. Das ist mir recht, denn auf Krankenhausbesuch habe ich tatsächlich keine große Lust. Von früheren Besuchen weiß ich, dass kubanische Krankenhäuser nicht zu den Orten gehören, die man freiwillig gerne besucht.
Am Abend kommt Doctora und untersucht meine Verletzungen. In den vergangenen Tagen hat sich auf den Wundflächen ein weißer Fibrinbelag gebildet. Der muss weg, sagt Doctora, da sich darunter Infektionen bilden können.
Sie streift sich ein Paar Gummihandschuhe über und beginnt mit der Behandlung. Dazu packt sie in braunes Packpapier eingewickelte Stoffstückchen und eine Kernseife aus. Zuerst seift sie die Wunden kräftig ein, dann bearbeitet sie mit den Stoffstückchen den Fibrinbelag. Leider ist der ziemlich zäh und Doctora muss, zu meinem Leidwesen, ganz schön schrubben.
Dalia, die auch unbedingt etwas zu meiner Genesung beitragen will, hat derweil aus Blätter und Kräuter einen Sud zubereitet, den sie mir fast kochend über Arme und Beine schüttet.
„Esto desinfecta la herida“ (Das desinfiziert die Wunde) sagt sie und tätschelt mir beruhigend den Arm, als ich aufstöhne.
Ich könnte bei der Behandlung der beiden vor Schmerz an die Decke gehen, aber es ist die einzige Option, die ich im Moment habe. Diese Prozedur wiederholen sie zweimal am Tag, drei Tage lang.
Arztbesuch
Während der folgenden Tage kümmern sich Dalia und ihr Mann um mich, fast, als wäre ich Teil der Familie. Dalia lässt es sich nicht nehmen, zweimal am Tag ihren heilenden Sud aufzukochen und mir über Arme und Beine zu schütten. Sie laden mich zum Mittagessen ein, machen Einkäufe für mich, waschen meine Wäsche, bringen ständig Kaffee und helfen bei der Wundversorgung, die ich ab dem dritten Tag selber übernehme. Und das alles nicht gegen Extrabezahlung, sondern einfach, weil sie gute Menschen sind.
Mein Zimmer liegt etwas entfernt vom Wohnhaus an einem kleinen Innenhof. Tagsüber kann ich im Schatten der Bäume sitzen und mich mit Dalia, oder irgendwelchen Besuchern unterhalten, die gelegentlich vorbeikommen. Nur eine Sache macht mir zu schaffen. Jeden Morgen, ab etwa vier Uhr, kräht ein Hahn in Nachbars Garten, als würde er dafür bezahlt. Wieder und immer wieder. Nur durch eine dünne Steinmauer getrennt, ist er fast so laut, als säße er in meinem Zimmer. Weiter entfernt wohnende Hähne nehmen den Ruf auf, noch weiter entfernt wohnende Hähne antworten. So geht das reihum, bis mein Hahn wieder an der Reihe ist. Trotz Klopapier in den Ohren ist da an Schlaf nicht mehr zu denken.
Als ich Dalia daraufhin anspreche, zuckt sie nur mit den Schultern und sagt:
„No puedo hacer nada, es el gallo del vecino“ (Ich kann nichts machen, es ist der Hahn des Nachbarn)
Die Leute scheint das nicht zu stören. Mich würde es allmählich zum Wahnsinn treiben, wenn ich hier leben müsste.
Warum man in Kuba überall Schlange stehen muss
Jeden Nachmittag, wenn die Sonne schon deutlich tiefer steht, mache ich einen Spaziergang zum zentralen Park. Der Park ist eine WiFi-Area, also ein Ort, an dem man Zugang zum Internet haben kann. Abgesehen von den größeren Touristenhotels, sind die WiFi-Areas die einzige Möglichkeit ins Internet zu kommen. Man findet sie meistens in Parks oder auf öffentlichen Plätzen. Man erkennt sie an der Vielzahl der Menschen, die dort mit ihren Smartphones, Tablets und Laptops herumsitzen und den Zugang nutzen. Je mehr Menschen sich an so einem Hotspot befinden, umso langsamer ist die Verbindung. Aber im Parque von Pilón gibt es nur wenige Internetnutzer, so dass ich stets eine (für kubanische Verhältnisse) flotte Verbindung habe.
Um ins Netz zu kommen, kauft man bei der ETECSA (kubanische Telekom) Internetzeit in Form von Guthabenkarten (Tarjetas de Navegación). 1 Stunde kostet 1 CUC. Da meine Karten alle aufgebraucht sind, gehe zur Verkaufsstelle der ETECSA um neue zu besorgen. Ich habe Glück, vor mir ist nur ein Kunde, also kein Schlangestehen. Das ist in Kuba alles andere als selbstverständlich, meistens muss man für die Tarjetas lange anstehen, oder sie für den doppelten Preis auf der Straße kaufen.
Doch zu früh gefreut. In Kuba geht selten etwas schnell. Die ETECSA-Angestellte, eine Dame mittleren Alters, ist damit beschäftigt, ein Bündel Geldscheine zu zählen. Sie betrachtet jeden einzelnen Schein von beiden Seiten, legt ihn dann auf den Tisch und streicht ihn sorgfältig glatt, dann kommt der nächste dran und so geht das Schein für Schein. Ihre Hände bewegen sich wie in Zeitlupe. Zuletzt schnürt sie das Bündel mit einem Band zusammen und legt es in eine Schublade. Sie tippt das Ergebnis ihrer Zählung in den Computer, betrachtet den Monitor, holt das Bündel wieder aus der Schublade, öffnet das Bändchen und beginnt von neuem zu zählen…
Ihr Telefon klingelt und sie unterbricht die Zählarbeit.
„Hola Mimi, cómo estás?“ (Hallo Mimi, wie geht es dir?)
Während sich hinter mir eine Warteschlange (Cola) bildet, die rasch länger wird, unterhält sie sich mit „Mimi“. Sie plaudern entspannt über ihre Pläne fürs Wochenende, über gemeinsame Bekannte und was weiß ich noch alles.
Nachdem sie das Telefonat mit Mimi beendet hat, zählt sie das Geld noch einmal durch. Das Bändchen drumherum und ab in die Schublade. Der Kunde vor mir bekommt seine Quittung und ich bin dran.
Für den Kauf der Internet-Tarjetas muss ich meinen Ausweis vorzeigen. Sie beginnt die Daten in ein Formular einzutippen. Dann fragt sie mich, welche Nationalität ich habe.
Ich sage: „Aleman“. (Deutsch)
Ein strahlendes Lächeln geht über ihr Gesicht. Sie greift ihr Smartphone und scrollt durch die Menüs. Stolz zeigt sie mir Fotos ihrer Familie:
„Mi hija, ella vive en Alemania, esta casada con un Aleman“ (Meine Tochter, sie lebt in Deutschland, sie ist mit einem Deutschen verheiratet)
Das kommt mir bekannt vor, es scheinen einige kubanische Töchter in Deutschland verheiratet zu sein.
Während die Schlange hinter mir länger wird und die Eingangstüre erreicht, muss ich alle Fotos ihrer in Deutschland verheirateten Tochter ansehen und bewundern. Die ersten Wartenden verlassen bereits wieder das ETECSA-Büro. Aber niemand beschwert sich. Nur einer versucht sich vorzudrängen, wird aber mit einem scharfen „Espere!“ (Warte!) zurückgescheucht.
Lange Wartezeiten und Schlangestehen gehört zum Alltag in Kuba und meistens nehmen die Menschen es ohne zu murren hin. Endlich bekomme ich meine Internetkarten und bin froh, aus dem ETECSA-Büro herauszukommen.
Straßenfest in Pilón
Straßenfest in Pilón
Am dritten und letzten Abend schlendere ich ein letztes Mal durch Pilón. In zwei Wochen soll ein Volksfest stattfinden. Dafür werden schon die ersten Fressstände und Karussells aufgebaut. Es gibt gekochte Maiskolben, Chicharrónes (frittierte Schweinehaut), Cajitas (Pappschächtelchen mit Reis, Bohnen und Fleisch), und Krabbenspieße – eben alles, wonach das kulinarische Herz eines Pilóneros verlangt. Die frittierten Krabben sind tatsächlich lecker, bei den Chicharrónes halte ich mich zurück.
Morgen werde ich meine Radreise Fortsetzen. Da ich durch die unfreiwilligen Aufenthalte in Marea del Portillo und Pilón mehrere Tage verloren habe, muss ich die ursprünglich geplante Route etwas kürzen. Ich habe das Fahrrad nur für 15 Tage zur Verfügung und eine Verlängerung ist laut Vermieter nicht möglich. Ich streiche also den Abstecher über Niquero zu den Playas Coloradas und mache mich auf den direkten Weg nach Media Luna.