14. Kapitel: Im Dschungel von Wilpattu
In der Nacht liegen meine Frau und ich lange wach. Wir diskutieren, wie am frühen Morgen handeln wollen, da unserer Große ja heute am Vortag noch kränklich war. Schweren Herzens beschließen wir, dass ich allein vor Sonnenaufgang in Richtung Wilpattu aufbrechen werde und der Rest der Familie – je nach Gesundheitszustand – den Nachmittagsgamedrive mitmacht. Das heißt zwar, dass wir am Mittag zweimal hin und her fahren müssen – und wie wir wissen, kommt man auf der Insel nicht wirklich schnell voran – aber das erscheint uns im Blick auf die aktuelle Situation die beste Lösung zu sein, um nicht alle auf die Morgensafari verzichten zu müssen. Ich sage an dieser Stelle nochmal ausdrücklich Danke, dass ich fahren durfte.
Um 5 Uhr fahre ich also allein mit meinem Betreuerteam in Richtung Schutzgebiet.
Der Wilpattu Nationalpark ist mit 1317 Quadratkilometern der größte seiner Art auf der Insel. Von 1988 an war er wegen der Bürgerkriegswirren geschlossen und wurde erst 2003 wieder für die Öffentlichkeit freigegeben. Auch 16 Jahre später ist noch kaum Infrastruktur entstanden. Es gibt ein einfaches Hauptgate mit Rangerstation und daneben einfache Sanitäranlagen. Im Gegensatz zu den anderen von uns besuchten Parks, ist man hier in den frühen Morgenstunden beinahe allein – vielleicht eine Handvoll weiterer Jeeps fährt mit uns um sechs Uhr früh zur Toresöffnung in den Park. Das gefällt mir schonmal sehr. Hier wird es zu keinen Konvoifahrten kommen.
Der Park trägt seinen Namen wegen der Vielzahl von Seen, die auf seinem Gebiet zu finden sind, den Willus. Diese bilden Lichtungen in dem ansonsten von dichtem Dschungel geprägten Gebiet. Im Vorfeld habe ich über Wilpattu gemischte Berichte gelesen – einerseits hat der Park einen guten Ruf in Bezug auf Beobachtungsmöglichkeiten von Leopard und vor allem Lippenbär. Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit von Sichtungen durch die Dichte der Vegetation schon sehr eingeschränkt. So habe ich viele Reiseberichte gelesen, die davon erzählen, in diesem Park nicht sehr viel gesehen zu haben.
Tatsächlich kann man jenseits der Lichtungen oftmals nur wenige Meter abseits der engen Straßen in den Wald sehen, dann wird der Pflanzenbewuchs zu dicht und das Sonnenlicht dringt nur spärlich bis zum Boden. Bezeichnenderweise macht ein Schild am Eingang des Parks darauf aufmerksam, dass die hier lebenden Leoparden zwar die Besucher sehen würden, dass dies aber noch lange nicht heißen müsse, dass auch die Besucher die Leoparden erblicken werden…
Damit man sich die Landschaft und deren Bewuchs etwas besser vorstellen kann, schicke ich zwei Fotos von typischen Wegen durch den Wald Willpattus voraus. Mir hat der Wald sehr gut gefallen und auch unabhängig von Tiersichtungen hat die Fahrt durch die urwüchsige Natur Spaß gemacht.
Nicht weit vom Gate entfernt – es ist noch recht dunkel – taucht neben der Straße plötzlich ein Muntjak auf. Leider ist die Vegetation hier dicht und das Licht spärlich und so entstehen keine guten Fotos. Trotzdem freue ich mich über diesen Neuzugang auf meiner Säugetierliste.
Wenig später kommt es zu einer weiteren Sichtung, über die ich mich sehr freue: Das endemische Ceylonhuhn lässt sich endlich von mir ablichten. Ohne den Nationalvogel Sri Lankas zu sehen, wäre ich tatsächlich ungern abgereist.
Die weitere Fahrt lässt uns Pfaue entdecken und führt einmal mehr an einigen Axishirschen vorbei.
Die Schlangenweihe scheint ein sehr typischer Raubvogel der Region zu sein – einige Male kann ich einen Vertreter dieser Art auf bodennahen Ästen auf Beute lauern sehen.
Die Sonne ist noch nicht ganz aufgegangen, als es auf einer kleinen Lichtung zu einem ersten Höhepunkt der Ausfahrt kommt: In einiger Entfernung sitzt tatsächlich ein Leopard, der sich von uns bei der Morgentoilette beobachten lässt.
Das Licht ist nicht optimal und das Tier sitzt auch nicht gerade neben der Straße – aber immerhin: Leopard im Wilpattu: Check! Ich freue mich.
Nachdem wir unseren Weg fortgesetzt haben, kommt es bald zu einer weiteren schönen Sichtung: Einige Sambarhirschkühe sind nah des Weges unterwegs. Das Licht wird langsam besser und so freue ich mich über diese Sichtung sehr – im Yala sahen wir schließlich nur einen Sambar in der Düsternis der Abenddämmerung.
Weiter geht es mit viel Vegetation und einigen Axishirschen. Eine Schlangenweihe ist wieder auf der Lauer. Und im Dickicht liegt ein Sambarbulle. Toll.
An den Willus, an denen wir vorbeikommen, ist dagegen wenig los. Immerhin einige trinkende Grünflügeltauben können wir beobachten.
Dann geht es durch über einen engen Waldweg durch dichtesten Bewuchs. Mitten auf der Straße steht hier ein weiterer Jeep. Ohne diesen wären wir wahrscheinlich einfach weitergefahren und hätten die zwei Leoparden, die sich im Dickicht verborgen halten, nicht erspäht.
Man muss sich schon einige Mühe geben, um die Tiere links und rechts des Weges durch den grünen Vorhang Wilpattus zu erkennen. Fotos mit Autofokus sind hier wegen der vielen Bläter und des schummrigen Lichtes unmöglich. Und so mühe ich mich mit manuellem Fokus und fiesen Verbiegungen auf der Ladefläche unseres Pickups ab, um einen einigermaßen vegetationsfreien Blickwinkel zu erreichen. So entstehen immerhin einige – wenn auch nicht ganz scharfe – Erinnerungen an die zwei schönen Katzen.
Die Fahrt geht weiter. Einige Hutmakaken verkürzen uns die Zeit und auf einer großen Lichtung treffen wir auf einen kapitalen Axishirsch.
An einem großen Willu machen wir eine Picknickpause – erst hier sammeln sich wieder die wenigen Jeeps, die im Park unterwegs sind.
Auf der Rückfahrt ist an verschiedenen Willus jetzt mehr los: Eine Wildschweinrotte lässt sich beim Trinken in einiger Entfernung beobachten. Viel näher sind Axishirsche und ein hübsch posierender Waran.
Noch einmal fahren wir zurück zu den zwei Leoparden. Es ist nur noch einer von beiden zu sehen – dieser hat sich aber umgelagert und lässt sich nun auf einem Termitenhügel dösend gut beobachten und ablichten. Wenn man denn bereit ist, sich bäuchlings auf die Ladefläche zu legen…
Auf der Weiterfahrt beobachten wir einige graue Languren.
Und dann folgt das unverhoffte Highlight der Ausfahrt: An einem Willu nahe dem Gate trinkt ganz ruhig und friedlich ein Lippenbär!
Ich traue meinen Augen nicht und dann explodiert die Freude. Lange können wir das Tier beim Trinken beobachten. Schließlich spaziert der Bär in aller Ruhe auf uns zu und wir können ihn ein Stück auf seinem Streifzug begleiten, bis er schließlich im Dickicht des Waldes verschwindet. Solch eine Begegnung hatte ich mir im Vorfeld der Reise so sehr gewünscht – und jetzt hat es tatsächlich geklappt. Ich bin selig.
Am „Bären-Willu“ sehen wir schließlich noch einen Bindenwaran.
Und dann ist die Fahrt vorbei – und ich bin hochgradig zufrieden.
Wir fahren zurück nach Anuradhapura und verbringen die Mittagszeit gemeinsam als Famlie im Hotel. Ich zeige meiner Familie die Fotos und wir freuen uns darauf, den Nachmittag gemeinsam im Wilpattu Nationalpark verbringen zu können – unserer Großen geht es nach einigen Anlaufschwierigkeiten am Morgen wieder gut.