Warm anziehen in der Hexenküche
Unsere Reisen führen leicht zu falschen Schlüssen hinsichtlich meiner Schlafgewohnheiten. Ich bin bestimmt kein ausgesprochener Langschläfer, aber erst recht kein Frühaufsteher. Wären wir normale Menschen, die normale Urlaube machen, käme ich in dieser viel zitierten schönsten Zeit des Jahres wohl häufiger zu einer mehr oder minder wohlverdienten Extramütze Schlaf. Unsere Vorliebe für Afrika und andere naturorientierte Destinationen sowie fürs Fotografieren hat unser Schicksal jedoch in andere Bahnen gelenkt.
Nicht, dass ich mich beklagen möchte. Es gibt deutlich Schlimmeres, als morgens um Sechs auf Löwenpirsch zu gehen oder auf einem 4.300 m hohen Geysirfeld darauf zu warten, dass der Boden Gift und Galle spuckt. Aber als ich um kurz nach Vier in den Bus steige und meinen gepolsterten Sitz umgehend in die Schlafposition bugsiere, muss ich zumindest kurz darüber nachdenken, wann genau ich eigentlich von der Nachteule zum Morgenmenschen mutiert bin.
Ich finde die Antwort nicht mehr heraus, denn ich bin zu schnell wieder weggedämmert. Draußen herrscht finsterste Nacht, wie im Bus auch. Ich registriere wenig, doch wir fahren zügig, immerzu bergauf und über eine offensichtlich ziemlich ruppige Schotterpiste. Nach fast zwei Stunden stoppen wir, es ist kaum heller als zuvor und die berühmten El Tatio Geysire sind auch noch nicht recht zum Leben erwacht.
In der Luft liegt ein leichter Schwefelgeruch, vor allem aber ist es bitterkalt. Hier oben sinken die Temperaturen zuweilen deutlich in den Minusbereich, an diesem Morgen dürften sie sich um den Gefrierpunkt bewegen. Wir sind mit Handschuhen, Kapuzen und Zwiebellook bestens präpariert, aber mir Frostbeule kriecht die Kälte dennoch in die Glieder.
Das Martyrium verfolgt indes einen tieferen Sinn: Die Aktivität der Geysire ist zwischen 6 und 7 Uhr am höchsten, und tatsächlich brodelt und zischt es zusehends um uns herum.
In der kalten Luft ist der aufsteigende warme Dampf besonders gut zu sehen.
Langsam steigt die Sonne über die Kegel der umliegenden Vulkane. Ein wunderschönes Schauspiel. Einsam sind wir allerdings nicht: Eine ganze Armada von Bussen hat sich aus San Pedro auf den Weg gemacht. Aber die Menschen verteilen sich auf der weiten Fläche, und mich stören wenn überhaupt eher die kleinen Mäuerchen und bunten Steinkreise, die den Sicherheitsabstand markieren. Offenbar hat der gesunde Menschenverstand in der Vergangenheit nicht immer ausgereicht: Es sollen sich schon mehrfach Menschen schlimm verbrüht haben und sogar gestorben sein.
Turmhoch steigen die Dampfsäulen in den Morgenhimmel, es ist die reinste Hexenküche.
Auf dem Rückweg zum Bus verliebe ich mich in einen Mini-Vulkan und kann mich nur schwer von ihm lösen. Er köchelt so schön vor sich hin und sieht einfach perfekt aus. Thomas ist tendenziell genervt (nicht weil ich mich verliebt habe, sondern weil ich seiner Meinung nach zu sehr trödele) und kommt, um mich zum Bus zu lotsen. Was mir wiederum nicht passt.
Es kommt zu einem Disput, der so schnell endet wie er begann. Merke: Ein Ehekrach in über 4.000 m Höhe ist ein Ding der Unmöglichkeit. Kurzatmig, wie ich bin, bringe ich kaum einen Satz zu Ende, und schon der leiseste Ärger verursacht Kopfschmerzen. Nicht unpraktisch eigentlich ...
Nicht weit entfernt vom Geysirfeld gibt es heiße Quellen und einen geothermischen Pool. Wer möchte, kann sich im 35 Grad warmen Wasser aufwärmen.
Wir entscheiden uns dagegen und wollen in den verbleibenden 45 Minuten lieber weiter die Umgebung erkunden.
Das Morgenlicht ist herrlich und wir genießen es, auf Entdeckungstour zu gehen.
Die Sonne steigt höher und meine klammen Finger tauen auf. Die Dampfwolken sind allerdings immer noch imposant.
Erst nach und nach wird der Dampf weniger. Die Landschaft bleibt einzigartig und wir fühlen uns wie auf einem anderen Planeten.
Natürlich wären wir - wieder einmal - gerne noch viel länger geblieben. Tatsächlich sind aber schon Stunden seit unserer Ankunft vergangen - und das wie im Flug. Schließlich lassen wir das Geothermalgebiet hinter uns und machen uns auf den rund 100 Kilometer langen Rückweg.
Unterwegs gibt es einiges zu sehen, darunter Vicunas, die wilden Vorfahren der Lamas. Ihre Wolle ist das feinste Tierhaar der Welt und entsprechend kostbar.
Die Landschaft ist ein Traum. Ich setzte mich im Bus ganz nach vorne und begeistere den Fahrer mit meiner Begeisterung. Er legt einige Extra-Stopps ein, aber wenn es nach mir ginge, würden wir wohl kaum noch vom Fleck kommen.
An einer Schlucht wachsen meterhohe Kakteen und auch an einer schönen Lagune würde ich gerne noch viel mehr Zeit verbringen.
Unser nächster Stopp ist das Andendörfchen Machuca, das ebenso niedlich wie winzig ist. Das Schmuckstück ist eine schöne weiße Kirche.
Thomas holt sich zwei leckere Lama-Spieße, doch insgesamt fällt uns der Aufenthalt im Dorf wieder deutlich zu lang aus. Ich bin nicht unglücklich darüber, dass wir nicht mitten in der Nacht selbst zu den Geysiren hochfahren mussten. Aber ab und an vermisse ich die Flexibilität, die wir in den ersten drei Wochen als Selbstfahrer hatten.
Schließlich sind wir am späten Mittag zurück in San Pedro und zollen dem frühen Aufstehen und der Höhe Tribut: Wir schlafen - wenn auch nur kurz. Schließlich haben wir einen Ruf zu verlieren.