THEMA: Reisebericht: Drei Wochen Äthiopien mit dem Rotel
18 Jan 2020 17:02 #577685
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Nun führt unsere Reise in den Ostafrikanischen Graben hinab auf etwa 1.600 Meter. Am Grabenbruch halten wir an einer Stelle mit Obsidianvorkommen. Ein kleines scharfes Steinchen verirrt sich dabei auch in unsere Tasche.



Wir erreichen Ziway am gleichnamigen See und bauen unser Rotel im Hof des Hotel Bethelhem auf. Die Anlage ist sehr gepflegt und sauber. Außerdem liegt sie nur wenige Meter vom See entfernt.



Unsere Reiseleiterin ruft uns zusammen. Wir müssen etwas besprechen.
Vor einige Tagen haben Moslems in Harar eine christliche Kirche angezündet. Die Region ist zur Zeit sehr unruhig. Der lange schwelende Konflikt zwischen den Oromo und Amharen bricht immer wieder aus. Wir erfahren, das dies wohl nicht immer so war. Früher fühlten sich alle Einwohner Äthiopiens als Äthiopier. Noch unter dem diktatorischen und grausamen Mengisto-Regime von 1977 bis 1991 wurde die Einheit der Äthiopier betont. So spielte es wohl in der Bevölkerung keine entscheidende Rolle, wer Oromo, Amhare oder von sonstiger Ethnie war. Auf unseren Fahrten durch Äthiopien haben wir in allen Regionen auch dieses Mit- und Nebeneinander der verschiedenen Ethnien erlebt: In Gebieten der Oromo gab es neben Moscheen auch immer christliche Kirchen. Und in den Gebieten der Amharen und Tigray neben Kirchen auch immer Moscheen.
Aber unter Meles Zenawi ab 1995 bis 2012 wurde die regionale Identität der Ethnien in den Vordergrund gestellt. 1998 wurden die Verwaltungsregionen neu nach ethnischen Gruppen aufgeteilt. Was angesichts der oben erwähnten Vermischung der Bevölkerungsgruppen in allen Landesteilen natürlich schwierig war und für Konflikte sorgen sollte. Es entstanden die Regionen Oromia, Amharta, Tigray, Somali, Afar und drei weitere Regionen, welche die kleineren Ethnien zusammenfassen. Die Regionen erhielten größere Befugnisse. Unter anderem auch jeweils eine regionale Polizeitruppe aufzustellen. Heute fühle sich kaum noch jemand in erster Linie als Äthiopier. Viele identifizieren sich jetzt anscheinend zuerst mit ihrer Ethnie.
Traditionell waren die im Norden lebenden christlichen Amharen und Tigray die wichtigsten und somit staatstragenden Volksgruppen in Äthiopien. Entsprechend fühlen sich die Oromo als zweitgrößte Volksgruppe bis heute benachteiligt. Zumal die Oromo historisch gesehen erst spät endgültig ins äthiopische Herrschaftsgebiet integriert wurden und vorher sowohl von amharischen Christen, aber auch vom südlichen Königreich Kaffa bis ins 19. Jahrhundert als Sklaven gefangen und verkauft wurden.
Aktuell hat Äthiopien mit Abiy Ahmed jetzt zwar erstmals einen Oromo als Ministerpräsidenten (der für seinen Friedensschluss mit Eritrea den Friedensnobelpreis erhielt), aber bei den Oromo gärt es immer noch. Der Internetaktivist und Regierungskritiker Jawar Mohammed, ebenfalls ein Oromo, half Abiy Ahmed ursprünglich an die Macht. Mittlerweile haben die beiden Männer sich aber entzweit und der radikalmuslimische, von Saudi-Arabien unterstützte Jawar Mohammed kritisiert jetzt auch die aktuelle Regierung. Zunehmend erhält der bisher eher ethnisch begründete Konflikt zwischen Oromo, Amharen und Tigray jetzt auch noch eine immer stärkere religiöse Dimension. Die Oromo sind Musline, die Amharen und Tigray orthodoxe Christen.
Heute betrachten viele Äthiopier das brutale Mengisto-Regime aufgrund der damals herrschenden nationalen Einheit sogar wieder in einem positiven Licht. In Diktaturen werden eben neben den freiheitlichen auch die radikalen Kräfte unterdrückt und an ihrer Entfaltung gehindert. Bei vielen Menschen herrscht große Angst vor einem Krieg. In der Woche vor unserer Ankunft haben Priester in allen orthodoxen Kirchen in Äthiopien 7 Tage lang rund um die Uhr für den Frieden gebetet. Und diese Gebete wurden auch rund um die Uhr wie üblich per Lautsprecher nach draußen in die Orte übertragen.
Wir wussten schon, das Äthiopien mit über 80 unterschiedlichen ethnischen Volksgruppen eine der komplexesten und vielfältigsten Staaten Afrikas ist. Das wir uns aber nun so intensiv mit dieser Tatsache auseinandersetzen müssen, hätten wir nicht geahnt.
Jetzt ist es jedenfalls so, dass vom Militär alle Straßen nach Harar gesperrt wurden und der Notstand in der Region ausgerufen wurde. Wir können also morgen nicht nach Osten Richtung Harar aufbrechen. Das gesamte Programm unserer ersten Reisewoche ist somit hinfällig.
Unsere Reiseleiterin schlägt vor, am nächsten Tag in einer gewaltigen Fahretappe ca. 370 Kilometer nach Süden bis Arba Minch zu fahren. Raus aus dem Gebiet der Oromo. Was bleibt uns auch anders übrig ?
Bei Abendessen im Hotel lernen wir erstmals Injera kennen. Es handelt sich um ein weiches, säuerliches und schwammartiges Fladenbrot, welches aus der glutenfreiem Hirseart Teff, oft unter Zugabe des ertragreicheren Sorghum, hergestellt wird und bei kaum einer äthiopischen Mahlzeit fehlen darf. Einigen schmeckt es nicht so, aber wir mögen es.
Letzte Änderung: 18 Jan 2020 17:06 von CrocV.
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18 Jan 2020 17:19 #577686
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18.11.2019 Auf Abwegen unterwegs in Äthiopien
Am Morgen werde ich um 5 Uhr von den Gebetsgesängen der orthodoxen Priester geweckt: Die Morgenandacht hat begonnen. Diese per Lautsprecher aus den Kirchen übertragenen Gebete werden uns die ganze Reise begleiten. Die Morgenandacht dauert jeweils 1-2 Stunden.
Vor dem Frühstück laufe ich vom Hotel aus zum See. Erste Fußgänger und Pferdegespanne sind auf der Straße unterwegs.







Überall in den Bäumen stehen Marabus. Ein Marabu gleitet in 3 Metern Höhe die Dorfstraße entlang direkt über mir vorbei.
Am See wimmelt es vor Vögeln: Reiher, Triele, Kingfisher, Pelikane, Ibisse etc. Die Morgensonne taucht die Szenerie in ein goldenes Licht. Afrika wie aus dem Bilderbuch.


Hagedasch


Heiliger Ibis


Kuhreiher ?



Morgens fahren wir zunächst auf der A7 (dem East African Highway) bis Shashemene, einer Hochburg der Oromo. Daneben ist es auch als Siedlungsort der Rastafari-Bewegung bekannt.



Bei der Fahrt durch Shashemene fallen uns die teils finsteren Blicke der Passanten auf. Zwar gibt es immer wieder auch Menschen, die uns freundlich zuwinken. Aber viele bleiben sehr reserviert und es wird in unsere Richtung auch manch eine Geste gemacht, die eindeutig kein freundlicher Gruß ist. Wir spüren erstmals eine gewisse Spannung in der Luft.
Nach Shashemene folgen wir weiter der A7. Wir verlassen jetzt die Region „Oromia“ und kommen in die „Region der südlichen Nationen, Nationalitäten und Völker“, eine der drei Regionen, welche die kleineren Volksgruppen zusammen fassen. Wir sehen in der trockenen Region immer wieder Eselskarren mit vielen gelben Kanistern, die Wasser vom nächsten Brunnen oft kilometerweit ins Dorf transportieren. Wer keinen Esel besitzt muss den Wasserkanister selbst tragen. Dies ist Aufgabe der Frauen und Kinder.









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18 Jan 2020 17:23 #577687
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Äthiopien, ein mir noch unbekanntes Land. Lese Deinen ausführlichen Bericht sehr gerne.
LG
Bazi
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18 Jan 2020 17:33 #577688
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Wir sind jetzt im Gebiet der Hadiya. Wir halten beim Dorf Halaba, welches Besuchergruppen willkommen heißt.
In der ersten Reihe die schön bemalten Hütten.






Dahinter dann die unbemalten Hütten:




Hier kann man die Bauweise gut erkennen, da etwas renovierungsbedürftig.

Die Bewohner zeigen uns ihre Hütten:









Und auch den Nutzgarten, wo unter anderem auch Khat angebaut wird. Dieses Kraut ist auch in Äthiopien weit verbreitet und entfaltet beim Kauen eine berauschende Wirkung.




Khat
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18 Jan 2020 17:39 #577690
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Mittagspause machen wir in einem schön gelegenen, noblen Restaurant oberhalb der Stadt Soddo.



Ich stehe etwas früher vom Tisch auf, um in einer daneben befindlichen Tankstelle noch Wasser zu kaufen. Die Tankstelle ist aber schon länger verlassen. Dennoch haben sich einige Frauen auf dem Gelände einen provisorischen Verkaufsstand eingerichtet und so bekomme ich doch noch Wasser.
Während ich so mit meinem Sixpack Wasser am Straßenrand stehe und auf die Gruppe warte, kommen immer wieder Passanten vorbei. Vor allem die Jugendlichen, die gerade aus der Schule kommen, sind besonders neugierig. Manch kurzer Gruß und Händedruck folgt. Für mehr reicht leider bei den meisten das Englisch nicht. Irgendwann kommt der Wachmann des Restaurants auf mich zu und reicht mir die Hand. Neben dem Händedruck zieht er dreimal meine Schulter an seine. Die übliche äthiopische Art, um vertraute Menschen zu begrüßen oder einem Menschen seine Hochachtung zu zeigen. Der Wachmann erklärt mir, das er in all den Jahren noch niemals einen Gast des Restaurants erlebt habe wie mich. Einer der sich einfach an die Straße stellt und mit den einfachen Menschen redet.
Wir fahren jetzt durch das Gebiet der Wolaytta nach Arba Minch am Abaja-See.



Am Ufer des Sees leben die Gamo und in den Guge-Bergen dahinter die Dorze.
In engen Hof eines Hotels bauen wir unser Rotel auf. Heute abend gibt es erstmals Rotelküche.
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18 Jan 2020 17:50 #577691
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19.11.2019 Besuch bei den Dorze
Morgens laufe ich wieder einige Meter auf der Straße vor dem Hotel. Auch hier stehen vielen Marabus auf ihren Übernachtungsbäumen. Am Straßenrand sind Säcke mit Holzkohle zum Verkauf aufgestellt. Einige Einwohner und TukTuks sind im ersten Licht der Morgensonne bereits unterwegs.






Afrikanischer Paradiesfliegenschnäpper ??

Die Fahrt hoch in die Berge zu den Dorze führt uns auf einer unbefestigten Straße in Serpentinen steil nach oben.




Zwischen den beiden Bildern liegen nur 10 Minuten - und etliche Höhenmeter.

Hier ist es deutlich kühler. Nebel hängt noch in der Luft und verbirgt die Sonne, als wir ankommen. Makonnen, unser Dorze-Guide erwartet uns bereits vor seinem Haus. Er erklärt uns, das die Form der Häuser an die einstmals hier lebenden Elefanten erinnern soll. Uns erinnern sie auch etwas an Bienenstöcke.








Das besondere an diesen ca. 10 Meter hohen, aus Bambus und den Blättern der Ensete gefertigten Hütten ist, dass diese mit den Jahren schrumpfen ! Wie das ? Die Termiten fressen die Hütten von unten. Mit den Jahren werden die Hütten so nach und nach kleiner. Der Eingangsbereich wird immer wieder neu so ausgeschnitten, so das ein Mensch gut durchgehen kann. Auf diese Art können die Hütten zwischen 70-100 Jahre genutzt werden. Bei Makonnen stehen 3 Hütten unterschiedlicher Größe (sprich: Alter) nebeneinander. Die mittlerweile kleinste Hütte hat sein Großvater gebaut und wird heute nur noch zum Brotbacken genutzt, da hierbei viel Rauch entsteht.

Anhang:
Letzte Änderung: 02 Feb 2020 17:37 von CrocV.
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