Aus unserer Erfahrung mit Fernreisen mit kleineren Kindern würde ich dem so nicht in allem zustimmen. Ich denke, Kinder nehmen ganz viel mit vom Reisen, auch wenn sie nach Jahren die Routen nicht mehr erinnern.
Unsere Kinder waren 8 (Sohn) und 6 (Tochter), als wir mit ihnen zum ersten Mal in Indonesien, meist abseits der Hauptreiserouten, unterwegs waren. Wann immer es ging, sind wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln gereist. Mit Motorradtaxis, in meist überfüllten Bussen und auf Pickup-Ladeflächen. Selbst an Orten, an denen wir nur für wenige Tage waren, wurden die Kinder schnell ins Alltagsleben integriert. Sie waren mit den einheimischen Kindern auf dem Fußballplatz, haben ihnen das Seilspringen und Radschlagen beigebracht und im Gegenzug gelernt auch bei absoluter Windstille noch Drachen steigen zu lassen. Sie haben gemeinsam mit den Kindern dort Muscheln gesucht, im Meer geplanscht, Uno und Ligretto gespielt, Freundschaftsbänder geflochten, Malbuchseiten geteilt, sie haben mit den anderen Kindern zusammen auf dem Busdach gesessen, waren mit ihnen im Schulunterricht und nach Schulschluss mit am Kiosk zum Süßigkeiten kaufen, teilen und naschen. Sie durften den Handwerkern zuschauen und immer wieder mal ‚mithelfen‘, mit Fischern nachts aufs Meer fahren, Orchesterproben lauschen, auf den Märkten von tausend Dingen naschen.
Mein Sohn erinnert sich von der ersten Reise an quasi an alles, oft an mehr Details als ich.
Meine Tochter erinnert sich tatsächlich von den ersten Reisen kaum an einzelne Orte und auch nicht an viele Sehenswürdigkeiten, die wir gemeinsam besucht haben. Manche Reiseerlebnisse haben sich aber auch ihr eingeprägt: Baden in heißen Quellen im Fluss oder in Wasserfällen, Zelten am Kraterrand von Vulkanen, schnorcheln inmitten bunter Fische.
Was sie aber vor allem auch mit sechs Jahren schon ganz bewusst wahrgenommen hat, ist, wie anders viele Dinge gehandhabt werden. Das fand sie enorm spannend zu beobachten und es hat mich überrascht, wie aufmerksam sie da in ihrer Wahrnehmung war. Schnell ist ihr z.B aufgefallen, dass viel weniger geschimpft wird als bei uns und die Kinder harmonischer miteinander umgehen. Sie hat gemerkt, dass alten Menschen viel mehr Respekt entgegen gebracht wird als bei uns. Dass alles länger dauert als gewohnt und Ungeduld einen gar nicht weiter bringt. Dass Kindern insgesamt viel mehr zugetraut wird als bei uns, Jungs aber viel mehr Freiheiten genießen als Mädchen…
Einmal waren wir in einer ganz einfachen Unterkunft. Im Bad nur kaltes, braunes Wasser zum Schöpfen aus Eimern. Unser Sohn wollte duschen, kam nach einer halben Minute unverrichteter Dinge wieder zurück und verkündete, heute mal aufs Waschen zu verzichten. Unsere Tochter schaut ihn ungläubig an und meint: „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Die Leute hier waschen sich im Fluss. Ihr Leben lang. Und du kannst dich nicht zwei Tage lang mit diesem Wasser duschen?“
Ich denke, dass viele Sachen, die sie auf Reisen erlebt haben, unsere Kinder bis heute prägen: ihr Weltbild, ihre Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen und für andere zu engagieren. Ich finde aber auch, dass man dazu bereit sein muss, sich beim Reisen auf Land und Leute einzulassen und ein Land nicht nur als exotische Kulisse wahrzunehmen