Hallo Birgitt,
vielen Dank für deinen Post. Ich schätze es sehr, wenn ich nicht nur und ausschliesslich positive Reaktionen auf meine Beiträge erhalte. Und ich bin auch gern bereit, darüber zu diskutieren. Zu deinen Amerkungen über das Fotografieren besonders der nackten und halbnackten Menschen (ich habe auch nackte Männer fotografiert, aber für mich sind Frauen, in welcher Verpackung auch immer, der schönere Teil der Menschheit. Frauen mögen das anders sehen. Aber dann soll eine Frau die Männer fotografieren und zeigen). Nein, die fotografierten Menschen, bekleidet und unbekleidet, wissen in den seltensten Fällen, dass sie möglicherweise und vielleicht in einem fernen Land in einer Zeitung oder auf einem Online Portal vorgestellt werden. Für den grössten Teil der Bevölkerung im nördlichsten Kenia oder im südlichen Äthiopien liegt schon Nairobi auf einem anderen Stern. Das Ferne kratzt sie überhaupt nicht. Es ist doch so: wenn sich Menschen, unbekleidete, fotografieren lassen, dann sind sich ihrer Nacktheit überhaupt nicht bewusst. Sie ist ein Teil ihres Lebens und ihres Verhaltens. Glaubst du wirklich, dass die nackten Menschen, die vor hundert Jahren von den Missionaren "bekehrt" und dann gezwungen wurden, Kleider zu tragen, glücklicher waren als die unbekleideten? Die Pfaffen vermutlich schon! Wenn sich "Westler" an der Nacktheit der indigenen Völker stören, dann zeigt sich doch nur die Verklemmtheit und Prüderie dieser "Westler". So, wie Schönheit im Auge des Betrachters liegt, liegt auch Nacktheit im Auge (und im Hirn) des Betrachters. Unsere, die westliche, Gesellschaft ist, gerade was natürliche Nacktheit betrifft, verklemmt, ja krank. In Amerika dürfen ja nicht einmal mehr die kleinsten Kinder nackt am Strand rum laufen. Und bei uns gibts einen Aufschrei und gestörte Diskussionen, wenn eine Mutter ihr Baby in einem Caffee stillt. Die Menschen, die ich fotografiert habe, waren sich ihrer Nacktheit gar nicht bewusst; sie gehört zu ihrer Kultur. Dann kommen wir westlichen, aufgeklärten
Besucher und stossen uns an deren Nacktheit und erst recht, dass man diese Nacktheit auch noch fotografiert. Ich habe im Südsudan bei den Toposa fotografiert, in Uganda bei den Karamoja und in Kenia und Äthiopien bei den Hamar und Dassanetsch. Nicht einer oder eine hat sich daran gestört und wenn ich ihnen auf dem Monitor die Bilder gezeigt habe, waren sie stolz und versuchten, diese Bilder mit dem Fingernagel vom Monitor zu kratzen. Sie waren sich ihrer Nacktheit überhaupt nicht bewusst. Wenn sich bei uns die Menschen wegen einer nackten Brust aufregen, dann ist weder der Fotograf noch der Fotografierte an dieser Aufregung schuld, sondern der Vorgang, der sich im Hirn des Betrachters abspielt. Ich finde es traurig, dass wir in unserem Kulturkreis die Nacktheit entweder negieren (die "Anständigen") oder aber ausstellen (die Porno-Liebhaber). Beide haben meiner Ansicht nach keine "normale" Beziehung zu einem nackten Körper. Ob ich nun das eine oder andere Bild im Forum veröffentliche oder in einer Zeitung (wenn sie nicht von prüden Redakteuren zensiert wird), dann stört das die Seelenruhe der Toposa, Karamoja und Dassanetsch in keiner Art und Weise. Bilder von indigenen Menschen, die ich immer bei mir haben, stossen bei diesen nie auf Ablehnung. Leider ist es so, dass z.B. Regierungen, auch die in Kenia, den halbnackten Menschen versuchen, ihre Nacktheit bewusst zu machen und damit einen Teil ihrer natürlichen Identät zerstören. Nein, bilo, ich denke in vielen Beziehungen "afrikanisch" und kann deshalb mit gutem Gewissen auch Nacktheit fotografieren. Es gibt nicht Schöneres als ein nackter Körper - immer voraus gesetzt, er wird nicht voyeuristisch fotografiert.
Südsudan: junge Toposafrau mit Schmucknarben
Ich fotografiere keine weibliche Brust allein der Brust wegen, sondern weil zum Beispiel Schmucknarben zu sehen sind oder weil das Bild an sich umwerfend schön ist. Und ich hoffe dann immer, dass es der Betrachter mit "meinen Augen" sehen kann. Wenn ich die Bilder im privaten Fotoordner verstecken würde, gehörte ich gerade zu jenen Menschen, die keinen natürlichen Zugang zur Nacktheit mehr haben und die Bilder vielleicht dann betrachte, wenn sie sich unbeobachtet fühlen - mit schlechtem Gewissen und Gedanken.
Herzlichen Gruss WILLI