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THEMA: Fernglas für "Blindfische" - meine Odyssee
01 Feb 2019 17:04 #547000
  • MichaelAC
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  • MichaelAC am 01 Feb 2019 17:04
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Hallo zusammen.

Dieser Beitrag soll allen helfen, die gerne ein Fernglas haben möchten und wie ich recht schlechte Augen haben: Astigmatismus (Hornhautverkrümmung) , evtl. noch stark fehlsichtig (kurz- oder weitsichtig) und dies auch noch sehr unterschiedlich auf beiden Augen.

Das Summary vorab:
--> Die Brille muss bei bestimmter Fehlsichtigkeit zwingend aufbleiben beim Blick durch's Fernglas.
--> Damit das geht, braucht das Fernglas ein sogenanntes Brillenokular und einen Augenabstand ("Eye Relief") von >15mm.
--> Auch wenn eine Fernglas all dies erfüllt, muss man probieren! Denn die Specs alleine sagen nicht, ob das Fernglas (Augenabstand, Einblickwinkel, Field-of-View) zum Menschen (Brille, Auge, Augenhöhle und Fernglashaltung) passt.


2008 hatte ich mir - damals für den Besuch des Grand Canyons - ein erstes Fernglas gekauft, irgendwas für 30€. Das habe ich dann nie benutzt. Für den ersten Südafrika-Urlaub ("Tiere") habe ich dann 2013 zu Mittelklasse-Ferngläsern gegriffen: Steiner Safari Ultrasharp 8x22 als kleines Pocketglas (O-Ton: „gutes Qualitätsfernglas, Einsteigermodell, gutes Preis-Leistungsverhältnis, 10 Jahre Garantie.“), ca. 120€ damals. Und Steiner Cobra 10x42 mit mehr Vergrößerung, Lichtstärke und Sichtfeld, ca. 350€, ein „gutes Mittelklasse-Glas ohne Schwächen“.
Ich bin mit beiden nie warm geworden, meine Frau auch nicht, 2015 in Namibia waren beide fast unbenutzt.

Ich nehme es mal vorweg: Beide sind für das Schauen mit Brille prinzipiell ungeeignet - wie die meisten preisgünstigen Ferngläser und viele der Mittelklasse-Gläser. Das sagt einem nur keiner.

Oder umgekehrt: Manche Brillenträger kommen ohne Brille mit diesen Ferngläsern zurecht - wenn man, neben der Optik, zusätzlich damit zurechtkommt, dauernd die Brille auszuziehen, den Dioptrienunterschied zwischen beiden Augen einzustellen, die Brille wieder zu suchen etc. Aber eben nur manche Brillenträger, wenn die Fehlsichtigkeit klein und einfach ist.


Hier mein Erkenntnispfad der letzten drei Monate.
Hintergrund:
Ich bin stark kurzsichtig, sehr unterschiedlich auf beiden Augen, früher waren es links -8 und rechts -10 Dioptrien. Zusätzlich Hornhautverkrümmung (Astigmatismus) von ca. 1,5 Dioptrien.
Im Laufe des Älterwerdens veränderte sich dies seit Anfang 40: Alterssichtigkeit (Presbyopie) kam hinzu, im Laufe der Jahre immer stärker. Dafür wurde die Kurzsichtigkeit immer weniger, heute noch -5 und -7. Zunehmend eben weniger "Scharfstellelastizität".
Ansonsten sind die Augen in Ordnung - keine Probleme mit Augenhintergrund, Sichtfeld, Augendruck, Trübungen.
Mit guten Gleitsichtgläsern ließ sich bisher alles zu meiner Zufriedenheit korrigieren.

Seit einigen Monaten, verstärkt ca. seit Herbst, fiel mir die Arbeit am Bildschirm immer schwerer. Ich sah immer wieder verschwommen, im November Großuntersuchung beim Augenarzt, Zweitmessung/-meinung beim Optiker, und die einhellige Aussage: Alles in Ordnung, aber mit einer Brille geht es nicht mehr - Nähe, Mitte, Ferne kann nicht mehr mit einem Gleitsichtglas korrigiert werden, dafür sind (alles gleichzeitig) Astigmatismus, Alterssichtigkeit und Unterschied zwischen den Augen zu groß geworden. Ich bräuchte jetzt zwei Brillen: eine für Ferne + Nähe für den Alltag, eine für die Arbeit, Mitte und Nähe (also 30 cm bis 2 m werden von den Gleitsichtgläsern abgedeckt).
Ich war echt deprimiert, habe Google gequält ... und mich dann für die beiden Brillen entschieden. 
---> Sehen ist in Ordnung, an das dauernde Brillenwechseln gewöhne ich mich langsam.
Beim Googeln stieß ich in irgendeinem Forum auf den Satz: "Willkommen im Klub, dann bist du bei Ferngläsern jetzt auch bei den teureren gelandet.“

Natürlich wollte ich wissen: Wieso das denn?

Und tatsächlich: Es gibt objektive Gründe, die in den Prospekten, Datenblättern und "0815-Tests" selten erwähnt werden:

1. Astigmatismus:
Führt dazu, dass man ohne Brille durch ein Fernglas prinzipiell nicht scharf sehen kann. Bei manchen Menschen schon ab 0.5 Dioptrien, wenige können noch bei 1.5 Dioptrien scharf sehen, meist so ab 1 Dioptrie kriegt man das Bild nicht mehr scharf. Selbst wenn man scharf stellen kann - es ist anstrengend und die Augen ermüden schnell.
Ich hatte immer schon 1.25-1.5 Dioptrien, mittlerweile 1.75. Darum habe ich lieber durchs Kamerazoom (mit Brille) geschaut als durchs Fernglas - es war schärfer.

2. Stärke der Fehlsichtigkeit:
Um ohne Brille z.B. als Kurzsichtiger durchs Fernglas zu schauen, muss man den Fokus um die Dioptrien seiner Fehlsichtigkeit "über unendlich" hinaus drehen können. Sonst wird's nicht scharf. Die Angabe "+- x Dioptrien" bei Ferngläsern drückt zunächst einmal aus, dass man zwischen links und rechts einen Unterschied bis "x" einstellen kann. Optisch bedeutet dies, dass die Linsengruppe sich um diese "x" Dioptrien über unendlich verschieben lässt. 
Gute Ferngläser können +-4 Dioptrien, sehr gute +-5 Dioptrien.
Bei meinen (heute) -7 Dioptrien kann ich also gar nicht mehr scharf stellen. 
(Und was einem keiner sagt: Wenn man 3 Dioptrien Überfokus braucht, dann geht selbst beim High-End-Fernglas, das "+-5" sagt, nur noch ein Unterschied von 2 Dioptrien zwischen linkem und rechtem Auge!)

Also: Bei 1. oder 2. (oder 1. und 2.) muss man zwingend seine Brille auflassen, um durch ein Fernglas scharf sehen zu können.

Das bedeutet aber, dass durch die Brille mein Auge weiter vom Okular des Fernglases entfernt ist. Siehe dieses Bild:

Und dafür muss das Fernglas ein

3. Brillenokular 
haben. Diese Linsengruppe muss dafür sorgen, dass das Bild mit einigen Millimeter Abstand vor dem Okular erst gebündelt wird - siehe dieses Schema.
Dieser Abstand heißt in englisch "Eye Relief", im deutschen verwenden die Hersteller verschiedenste Begriffe: Augenabstand, Augenokularabstand, Austrittspupillen-Schnittweite oder AP-Lage ... jeder Hersteller anders, hier einmal das interessante Zeiss-Glossar. Zudem ist die Messung dieses Werts nicht allgemein definiert, manche messen ab letzter Linse, manche ab Augenaufsetzpunkt (z.B. Nikon).
Leider ist diese Linsengruppe das komplizierteste und teuerste am Fernglas ... siehe oben, es wird teurer. 
Ohne genügend Eye Relief sieht man entweder nur Teile des Sichtfelds, oder dauernde (und bei jeder kleinsten Bewegung wechselnde) Abschattungen. 
Wieviel mm braucht man? Das hängt von Vielem ab, u.a. von der Brille (wie weit sitzt die vom Auge entfernt oder ist es eine John-Lennon-Brille?), wie tief sind die Augen in der Augenhöhle. Aber auch vom Sehfeld des Fernglases, vom Abstand des Okulars zur 1. Linse, wie man das Fernglas hält ... 
Im Internet findet man: mindestens 15 oder 16 mm, besser mehr.
(Standard-Okulare haben übrigens 6-9 mm Eye Relief. Also nur ohne Brille nutzbar.)


So viel zu meinen Erkenntnissen, wer noch mehr lesen möchte ... hier ist noch ein interessanter Zeiss-Artikel.

Und was ist mit den beiden Ferngläsern, die ich gekauft hatte?
Beide haben kein Brillenokular, Eye Relief ist gar nicht angegeben vom Hersteller. In einem Test las ich: 8 mm gemessen beim Steiner Cobra.

Brillenträgerokulare erkennt man auch daran, dass sich das Okular herausdrehen lässt. Denn für Nicht-Brillenträger muss der Abstand zur 1. Linse vergrößert werden, sonst sehen die nämlich nicht gut.
Viele Fernglastests, die man so liest ... sagen dazu nichts, vielleicht wissen die Tester das auch nicht.
Aussagekräftig sind - nach meinen Recherchen - nur Tests von/für Jäger und Birder.

Hier ein guter Ratgeber für Brillenträger.


... Wer bis jetzt durchgehalten hat ... so ist das Abenteuer weiter gegangen:

Ich wollte es natürlich wissen, ein 10x42 oder (für Brillenträger wohl geeigneter) 8x42 sollte es sein. Und eingedenk der eindringlichen Hinweise, als Brillenträger nie nach Spec zu kaufen, sondern immer ausführlich auszuprobieren, ging ich zu einem Fotogeschäft und zu einem Jagdhaus (denn 80% aller Ferngläser werden an Jäger und Förster verkauft, wie ich gelernt habe).

Ich habe dann jede Menge Gläser ausprobiert, festgestellt, dass ich sogar mit superteueren Zeiss- oder Leica-Gläsern nicht zurecht komme (obwohl die Specs auf dem Papier stimmen, aber ich komme mit diesen „Weitwinkelsehfeldern“ nicht klar) und bin am Ende bei einem 8x42 von Nikon gelandet. Jetzt bin ich ein sehr happy camper :) .

Und mein Rat an Brillenträger (also an "richtige", nicht so simple 2-Dioptrien-Kurzsichtige): Geht in ein Jagdgeschäft ;).
Zum Nachlesen auch dieser Question-Answer-Artikel.
Viele Grüße, Michael
Letzte Änderung: 01 Feb 2019 17:59 von MichaelAC.
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01 Feb 2019 23:16 #547039
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Hallo Michael,

Deine Probleme kenne ich irgendwoher... ;)

Das einzige Fernglas mit dem ich noch halbwegs vernünftig etwas sehe (also ohne Brille) ist ein Steiner Commander (ja das Ding mit Kompass). Das hat den tollen Vorteil, dass man Mitreisenden auch ganz genau sagen kann wo man die Tiersichtung gemacht hat... Nachdem man dann die "Dioptrinringe" wieder auf "normale Augen" verstellt hat finden dann Normalsichtige anhand der Angaben auch sofort die Richtung, leider ist das Fernglas aber recht schwer und unhandlich. :laugh:

Meistens verwende ich also meine Kamera und schaue einäugig durch das Teleobjektiv. Logischerweise habe ich die Brille auf wenn ich durch den Sucher schaue. Das schadet leider der Brille dann ziemlich, weswegen irgendwann die "Optik" der Brille leidet, Kratzer sind doof... ;)

Die Augenmuschel auf der Kamera verliere ich meistens schon am ersten Urlaubstag und irgendwann mache ich da auch keine mehr drauf (auch wenn billiger Ersatz immer mit dabei ist).

Gruß Markus
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02 Feb 2019 10:20 #547069
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Hi zusammen,

ich kenne Euer Einsatzgebiet für das Fernglas nicht (Detail vs. Großflächig), aber habt ihr mal über den Einsatz eines Spektivs nachgedacht. Da gibt es für Brillenträger (wovon ich auch einer bin) deutlich weniger Problematiken.

Viele Grüße aus dem regnerischen (Yes!) Windhoek
Christian
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02 Feb 2019 10:37 #547072
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MichaelAC schrieb:
Ich habe dann jede Menge Gläser ausprobiert, festgestellt, dass ich sogar mit superteueren Zeiss- oder Leica-Gläsern nicht zurecht komme (obwohl die Specs auf dem Papier stimmen, aber ich komme mit diesen „Weitwinkelsehfeldern“ nicht klar) und bin am Ende bei einem 8x42 von Nikon gelandet. Jetzt bin ich ein sehr happy camper :) .

Hallo Michael

Ich finde Deinen Beitrag überaus Interessant. Ich bin selber auch Brillenträger. Obwohl ich auch mal ohne Brille durchs Fernglas schauen kann, nutze ich das Fernglas meistens mit Brille. Ich habe über die Jahre viele Ferngläser auf Touren genutzt. Jeweils nicht nur einmal zum Durchschauen sondern während mehrerer Wochen. Von recht günstigen Gläsern bis zu sehr teuren von Swarowski und Zeiss. Mein liebstes Fernglas ist aber immer noch das Nikon 8x42 welches ich mir vor 18 Jahren gekauft habe. Das passt mit der Brille einfach super. Ich habe auch noch ein neueres Nikon 10x42. Damit fühle ich mich aber weniger wohl.

Viel Spass beim gucken :laugh:

Ich werde in ein paar Wochen wieder im KTP sein und mein Glas hoffentlich wieder sehr oft im Einsatz haben.

Herzliche Grüsse
Chrigu
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02 Feb 2019 11:46 #547080
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  • MichaelAC am 01 Feb 2019 17:04
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Hallo Christian,

Spektiv habe ich auch (einige wenige Male) probiert, das Einblickverhalten ist deutlich unproblematischer. Aber es fehlt mir das „dreidimensionale“, das „Eintauchen“ in eine Szene. Das habe ich nur, wenn beide Augen schauen.

Spektiv und Kamera mit großem Zoom finde ich ziemlich ähnlich. Man kommt nah ran, keine Brillenprobleme, aber eben „tunnelartig“.
Viele Grüße, Michael
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03 Feb 2019 15:42 #547251
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  • NOGRILA am 03 Feb 2019 15:42
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Hallo Chrigu, kannst du mir bitte sagen welches Modell du von Nikon meinst und warum du mit dem 10*42 weniger klar kommst!

LG NOGRILA
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