THEMA: Namibische Mentalität
02 Sep 2019 21:32 #566476
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  • gdp77 am 02 Sep 2019 21:32
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Liebe Forums-Gemeinschaft,

ich habe diesen Sommer zum ersten Mal Namibia besucht, eine tolle Reise, für die ich viele wertvolle Tipps und Infos hier im Forum gefunden habe. Allerdings waren des Öfteren die Begegnungen mit Einheimischen für mich überraschend, manchmal auch irritierend. Bei meiner bisher einzigen Afrika-Erfahrung (Tansania) habe ich die Menschen dort meist als sehr fröhlich, offen, gut gelaunt und sehr bemüht erlebt, und auch bei anderen Fernreisen hatte ich das Gefühl, dass ich als Tourist sehr willkommen bin und man sich bemüht, auf meine Wünsche bestmöglich einzugehen (und dafür mit einem Trinkgeld „belohnt“ zu werden – was ja sehr OK ist).

Meine Erwartungshaltung vor der Namibia-Reise war daher eine ähnliche, und ich war deshalb sehr überrascht, wie unterkühlt viele Begegnungen waren: Mit einem Lächeln wurde ich selten begrüßt, der übliche Einheimische-Touristen-Smalltalk (Woher kommen Sie, wie gefällt es Ihnen hier?) fand kaum einmal statt, die Konversation hat sich oft auf das Nötigste beschränkt, und ein Lachen habe ich nur sehr selten gesehen. Da und dort hatte ich in Lodges oder bei Sehenswürdigkeiten richtiggehend das Gefühl, als Tourist ein Störfaktor zu sein – obwohl ich beileibe keine komplizierter, anspruchsvoller oder gar unfreundlicher Gast bin. Ich fand das irritierend, zumal der Tourismus für Namibia ein wichtiger Wirtschaftszweig ist und grade in strukturschwachen Gebieten für Jobs sorgt. So wirbt z.B. die Waterberg Wilderness Lodge damit, ihr Team vorwiegend aus Bewohnern der umliegenden Dörfer zu rekrutieren, in denen eine Arbeitslosigkeit von 45% herrscht, aber die Kontakte mit den Mitarbeitern dort waren ein negatives Highlight der Reise.

Nun ist mir natürlich klar, dass Namibia ein heterogenes Land mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ist, aber diese Erfahrung hat sich tatsächlich über die ganze Reise hin durchgezogen, vom Café in Swakopmund bis zum Waterberg, von der Grootberg Lodge bis zum Tankstellencafé in Sesriem. Und, auch wenn es natürlich heikel ist, das zu sagen: Die meisten dieser unterkühlten Begegnungen hatten wir mit dunkelhäutigen Menschen (auch wenn die schroffe Art auf manchen von Weißen geführten Farmcamps auch gewöhnungsbedürftig war). Wir haben in der Familie oft diskutiert, warum das so ist – ob die Menschen hier „einfach so sind“, ob sie (aus der Geschichte verständliche) Vorbehalte gegenüber Weißen haben, ob es am niedrigen Bildungsniveau liegt, an Unsicherheit, oder ob wir einfach Pech hatten.

Mich würde interessieren, welche Erfahrungen andere Reisende hatten und wie die echten Namibia-Kenner das Thema sehen.
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03 Sep 2019 02:51 #566484
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  • Randfontein am 03 Sep 2019 02:51
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Interressantes Thema! Eine einfache oder gar allgemeingültige Antwort gibt es sicher nicht.
Das "Gefälle" in einer von einer weißen Minderheit dominierten Kultur mag durchaus eine Rolle spielen.
Meine Erfahrung in Südafrika und Namibia (auch aus der Zeit, als es noch "ein Land" war) scheint mir
in die Richtung zu zeigen, dass schöne Kontakte dann möglich sind, wenn sich aus der Sicht der heimischen Bevölkerung eine gewisse Augenhöhe einstellt.
Im wirtschaftlichen Sinn ist das fast unmöglich, auf persönlicher Ebene zum Teil schon.
Das Zauberwort heißt "Respekt". Respekt für die Leistung, die ein Namibier erbringt und die du selbst nicht erbringen könntest. Ob es das Anspannen zweier Esel vor einen bemalten Einachser ist oder das Wissen über die biologische Bedeutung der Mistkäfer ist dabei zweitrangig.
Servicepersonal ist oft eingeschüchtert ob der unterschiedlichen Auffassung von Pflichterfüllung und des daher überwiegend negativen feedbacks der weißen "Bosse", ob nun Manager oder Kunden.

Ich selbst habe immer wieder schöne Kontakte zu Einheimischen gefunden, in Stadt und Land.
Es ist weniger eine devote Anbiederung als echte Freundlichkeit, die man sich erarbeiten muss oder die aus der Situation entspringt.
Beispiel:
Nach einem Raubüberfall in Windhoek schlug mir eine grandiose Welle der Hilfsbereitschaft entgegen.
Da war ich eben nicht der "reiche Geldsack", sondern ein Hilfsbedürftiger mit nur ein paar Nam$ in der Tasche, kaputter Brille, ohne smartphone etc. Unglaublich, wie sich alle mir geöffnet haben. Ich war ein Mensch, wie sie auch.
Das verbindet. Die einzigen Negativbeispiele waren die (weißen) Mitarbeiterinnen der deutschen Botschaft.
Die schwarzen Damen im Fotogeschäft nebenan sagten mir, ich könne jederzeit zum Telefonieren kommen.
Wenn ich kam, streckten sich mir sofort zwei smartphones entgegen, meine Brille wurde natürlich kostenlos zurechtgebogen, eine schwarze Mitarbeiterin im Kleiderladen legte ihren ganzen Ehrgeiz darin, mich für möglichst wenig Geld für den deutschen Winter einzukleiden (sie hat's für umgerechnet €13 von Kopf bis Fuß geschafft) und was ich an Lächeln an einem Tag bekam, dafür braucht Deutschland Wochen.

Oder man interessiert sich wirklich für die Menschen. Die haben ein feines Gespür dafür, wohl aus Erfahrung.
Es ist eben eher die tiefe Freundlichkeit eines Schwaben oder Westfalen als die schnelle oberflächliche Kumpelhaftigkeit eines New Yorkers oder Rheinländers (man verzeihe mir die Verallgemeinerung, es gibt ja überall "solche und solche").

Sag'mal einem Fahrer auf der Sundowner-Tour, es sei dir egal, ob du einen Löwen siehst - er solle dir einfach "seine" Natur zeigen und dass du dich auch an weniger spektakulären Dingen erfreust. Das reicht meist schon, denn es stellt "Augenhöhe" her. Er muss nun nicht "Kätzchen liefern" und ist nicht der Trottel, wenn kein Löwe da ist.
Nein, er kann dir Dinge zeigen, die du womöglich nicht kennst.
Schon hat er eine andere Perspektive und du kannst dich mit ihm über alles mögliche unterhalten.

Souvenirverkäufer an der Tankstelle sind natürlich ein eher undankbares Publikum für solche Versuche.
Für die bist du potenzielle Einkommensquelle fürs Überleben. Die haben andere Sorgen als philosophische Gespräche.
Und am ATM in Opuwo sollte man auch nicht gerade nach Freunden suchen. Dann lieber gleich in eine Shabeen.

Generell gilt aber auch für Namibia:
wer mit einem echten Lächeln auf Menschen zugeht, findet auch dort echte Freundlichkeit.
Ob im Miniladen in Warmbad, dem "Manchester United Supermarkt" irgendwo im Nirgendwo,dem Snack-Kiosk an der Spitzkoppe oder (ja tatsächlich!) der Touristenbäckerei in Solitaire,: was hatten wir Spaß mit den VerkäuferInnen und Umstehenden! Sollte eben nicht gerade eine Busladung auf sie einstürzen...

Okay, die Kranke, die wir von Etendeka bzw. Palmwag ins Hospital nach Sesfontein fuhren, war so eingeschüchtert, daß sie kein Wort herausbekam. Als Küchenhilfe war sie den Kontakt mit Europäern wohl einfach nicht gewohnt.
Aber dankbare Augen sind ja auch schon was.

Vielleicht hatest du Pech, vielleicht war's der fehlende "Touristen-smalltalk" (der mir jetzt weniger fehlt), oder - was ich dir nicht unterstelle - du machtest den Eindruck, Freundlichkeit "konsumieren" zu wollen.
Wie gesagt, es gibt auch bei uns Volksstämme, denen man zu Unrecht Unfreundlichkeit nachsagt.
Doch wenn man sie "knackt" offenbaren sie sehr viel Seele. So sehe ich die Namibier und viele Südafrikaner auch.

Grüßle aus dem Schwabenland
Randfontein
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03 Sep 2019 09:50 #566507
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  • busko am 03 Sep 2019 09:50
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@ Randfontein: 100% deiner Meinung und danke für den ausgewogenen Beitrag.

Unsere Erfahrung ist, dass man oftmals durchaus "hartnäckig" in "Vorleistung" gehen muss! Es ist uns mehr als einmal passiert, dass mehrere Anläufe nötig waren um durch die (vielleicht auch historisch bedingte) zurückhaltende Unsicherheit durchzukommen.

Liebe Grüsse,
Ulli
Der Übergang vom Affen zum Menschen sind wir! - Konrad Lorenz
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03 Sep 2019 12:18 #566531
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  • Yoda911 am 03 Sep 2019 12:18
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Auch wir haben in 2 x 3 Wochen Namibia sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht, aber die positiven haben weit überwogen. Was wir sehr wenig erlebt, aber auch nicht vermisst haben, ist diese übertriebene / antrainierte / auf Knopfdruck abrufbare Freundlichkeit, die das Tourismus-Dienstleistungsgewerbe in anderen Ländern oft bestimmt (in Japan wird Dir die Kaufhaustür geöffnet, in den USA der Einkaufswagen befüllt oder in Italien das Hafenrestaurant angepriesen - alles natürlich mit teilweise devot und damit unglaubwürdig wirkender Freundlichkeit.
So etwas gab es in Namibia kaum. Stattdessen machen viele wohl eher 'Dienst nach Vorschrift' oder trauen sich nicht an die weißen Touristen ran.

Wenn wir von uns aus versucht haben, mehr Kontakt zu bekommen, hat das eigentlich IMMER toll funktioniert - beim Fahrer der Autovermietung, der uns noch von vor zwei Jahren kannte und von seiner Familie erzählt hat, beim Game-Drive-Fahrer, der noch eine Stunde draufgelegt hat und am Ende meinte, so viel Spaß, wie er mit uns hatte, reicht für die ganze Woche, beim Koch, der in der Lodge mal um die Ecke geschaut hat und den wir gleich auf ein Rezept angesprochen haben, beim Kofferwagenschieber, der sich freute, dass wir mit angeschoben haben, sogar beim Straßenpolizisten, der uns angehalten hat und mit dem wir über die deutsche Bundesliga geredet haben.

Auffällig war für uns, dass teilweise (weiße) südafrikanische Gäste sehr schroff und im Befehlston mit den (schwarzen) Angestellten umgegangen sind und diese dann entweder eingeschüchtert oder mürrisch reagiert haben.
Und teilweise waren die schwarzen Angestellte nicht besonders sicher im Englischen, was zu mehr Einsatz von Händen und Füßen führte, aber weniger intensive Gespräche möglich machte.

Den negativsten Eindruck machten einige 'Offizielle' (erkennbar durch besonders tolle Uniformen und Abzeichen), die ihre 'Macht' - vielleicht auch gerade gegenüber einem Weißen ? - gern mal ausspielen (Grenzübergang Mata-Mata, Veterinärkontrolle Etosha-Gate, Nationalparkverwaltung Okaukuejo). Wenn man dann aber so einen Kennzeichen-Listenschreiber mit Klemmbrett besonders fröhlich und freundlich begrüßt "Hello, have a nice day. We're happy, to be here again. ", direkt aufs Wetter, auf die Dürre oder den nervigen Bus voller Spanier anspricht, den er vor uns abgefertigt hat, schon ist die Atmosphäre o.k. und ein muffeliges Gesicht strahlt plötzlich.

Christoph
Letzte Änderung: 03 Sep 2019 12:20 von Yoda911.
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16 Sep 2019 16:10 #567875
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  • Ungarnfreund am 16 Sep 2019 16:10
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Hi,

ich war jetzt das erste mal in Namibia. Meine Frau ist Namibianerin (Damara) und es war mein Antrittsbesuch.

Also andere Situaion, ich bin kein Tourist.

Zu mir, ich selbst bin Deutscher, habe seit Ewigkeiten einen Zweitwonsitz in Ungarn und habe viele
Reisen mit meinem Jeep gemacht, von der Ukraine über Moldawien, Rumänien, Bulgarien, Mazedonien, Albanien,
Montenegro, Griechenland bis Istanbul. Daher habe ich keine Probleme mit einfachen Verhältnissen.

Meine Erfahrung ist das viele Europäer panische Angst vor den einfachen Verhältnissen. Das geht beim Wasser los,
Angst vor der Kriminalität usw.

Ich bin einfach auf die Leute zugegangen und habe keine Probleme gehabt.

Wir haben uns jetzt in Namibia noch ein Haus gebaut (Brautgeld... Dient zur Absicherung der Familie (meine Frau und unsere Tochter)) und ich habe die Nachbarn immer gegrüßt. NAch dem 4. oder 5. Tag waren alle freundlich, obwohl es eine schwarze Gegend ist. Also alles ganz entspannt bis jetzt.

Gruß


Michael
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16 Sep 2019 17:23 #567905
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Liebe Forums-Gemeinschaft,

ich bedanke mich für die wirklich sehr interessanten Antworten und Erfahrungsberichte. Nur kurz noch als Ergänzung: Auf den klassischen Touristen-Smalltalk (Woher kommt ihr, gefällt es euch hier etc.) lege ich an und für sich keinen Wert, aber er ist oft ein guter Eisbrecher bzw. Einstieg in ein "richtiges" Gespräch. Keinen besonderen Wert lege ich auch auf die manchmal geradezu devote Dienstfertigkeit, der man z.B. in Asien manchmal begegnet, ein respektvoller Umgang auf Augenhöhe (wechselseitig) ist mir da weitaus lieber.
Wenn ich eure Antworten gesammelt lese und überdenke, so scheint mir naheliegend, dass das, was ich in Namibia oft als abweisend, unterkühlt, distanziert wahrgenommen habe, eher etwas mit Unsicherheit zu tun hat - möglicherweise hätte ein offensiveres Auf-das-Gegenüber-Zugehen da Abhilfe geschafft; beim nächsten Mal probier ich das aus.
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